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Vermintes Terrain

Gastbeitrag  im Magazin „Ratio“ (Ausgabe September 2017)

Von Martin Benninghoff

Stimmungen waren schon immer ein relevanter Faktor in politischen Debatten – aber das Ausmaß ist neu. Journalisten müssen sich auf die Strategien der virtuosen Populisten einstellen. 

Wenn es den Menschen besser geht, merken sie, wie schlecht es ihnen geht. Dieser Analyse des Soziologen Heinz Bude kann man nur zustimmen, zumal als Journalist. Nie ging es den meisten Deutschen so gut wie heutzutage, nie waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen, sich ein schön es Leben zu bereiten, so günstig wie heute. Und doch ist die Unzufriedenheit für viele, denen es eigentlich sehr gut gehen müsste, ein murrender Begleiter geworden. Eine Unzufriedenheit, die sich nicht nur gegen Politiker richtet, sondern auch – oft pauschal – gegen Journalisten.

Wie groß die Gruppe der Unzufriedenen ist, lässt sich schwer beziffern. Nehmen wir einmal die Zustimmung für die AfD, eines ihrer Sammelbecken, dann zeigt sich: Die Partei, die sich so gern als Stimme einer bislang schweigenden Mehrheit verkauft, kann allenfalls für eine „kleine, isolierte Minderheit“ sprechen – das legt eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach nahe. Aber egal wie klein die Gruppe sein mag, sie artikuliert sich umso lautstarker gegen die „Mainstream-Medien“ oder „die Altparteien“, womit CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne und wohl die Linke gemeint sind. 

Journalisten sind in diesem neuen Meinungsgrabenkampf nicht mehr die Komplizen, die den Mächtigen auf die Finger schauen und, je nachdem, auch auf die Finger hauen, sie sind in den Augen der Unzufriedenen Teil der verachteten Elite. Für Journalisten ist das eine neue Herausforderung. Nicht nur, weil es für sie ungewohnt ist, sondern weil sie die Stimmungen auf sich ziehen. Es wird persönlich, inklusive Hass und manchmal Drohungen. 

Stimmungen sind nicht per se schlecht

Stimmungen sind ja nicht per se schlecht. Sogar eine Portion Gereiztheit tut mancher langweiliger und ritualisierter Debatte gut, selbst bei Debatten um die Themen Einwanderung, Flüchtlinge, Islam, Trump oder Putin. Gefühle, selbst der vielgescholtene Stammtisch, können alte Verkrustungen wegkratzen und Diskussionen in Fahrt bringen. Stimmungen entstehen nur selten „einfach so“, oftmals wachsen sie auf dem Nährboden realer Probleme und ungelöster Konflikte. Aber leider schlägt Gereiztheit immer häufiger in blanken Hass und Destruktivität um, was sich vor allem in der Flüchtlingsdebatte der vergangenen beiden Jahre gezeigt hat. 

Neu ist der Hass nicht: Schon in den Jahren zuvor hat sich in Deutschland – und mehr oder minder in der gesamten westlichen Welt – etwas zusammengebraut. Meistens entlang von Themen, die für Veränderung stehen, sei es durch Einwanderung oder die Modernisierung von Gesellschaften. Der Islam ist ein solches Reizthema, Migration insgesamt, aber den Zorn überraschend vieler Zeitgenossen ziehen auch vermeintlich kleinere Themen wie Genderforschung oder sogar Fleischessen auf sich. So kommt es vor, dass mancher Leser einen harmlosen Artikel über Vegetarier für wüste Beschimpfungen von Muslimen, die kein Schweinefleisch essen, missbraucht. Solche Kommentare in den Foren müssen deshalb aussortiert werden. 

Diese Themen, die im engen Sinne nichts miteinander zu tun haben, sind allesamt Symptomdiskurse einer sich schnell wandelnden Welt. Das klingt banal, ist es aber in der Konsequenz nicht: Einwanderer reißen natürlich die tradierten Selbstverständlichkeiten ein Stück weit ein, wie sollte es anders sein? Pathologisch wird diese Erkenntnis allerdings bei Leuten, denen dazu nichts anderes als die Kölner Silvesternacht einfällt. Genderforscherinnen, die jahrhundertelang eingeübte Geschlechterklischees hinterfragen, rütteln an tradierten Selbstverständlichkeiten ebenso wie Grünen-Politiker, die für die Kantine einen wöchentlichen Vegetarier-Tag ins Spiel bringen. Für Leute, die Fleischessen als Zeichen ihrer Männlichkeit werten, ist das ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit. 

Der Journalist rückt in den Fokus

Dabei geht es ja nicht um legitime Kritik. Wer darüber schreibt, hockt auf vermintem Terrain. Nicht nur, dass die Themen kontrovers sind, sondern der Journalist selbst rückt in den Fokus. Der Hauptvorwurf mancher Leser: Voreingenommenheit. Die Berichterstattung, so eine populäre Forderung, solle sich an die Fakten halten und „objektiv“ sein, wobei der Begriff der „Objektivität“ häufig unreflektiert verwendet wird. Denn „objektiv“ ist nicht das, was einem selbst in den Kram passt, sondern ein Idealzustand, der niemals hundertprozentig erreicht wird, der aber als journalistische Zielmarke unbedingt richtig ist. 

Um der Objektivität möglichst nah zu kommen, reicht das gewöhnliche journalistische Handwerk: alle relevanten politischen Lager zu Wort kommen lassen, Fakten und Studien prüfen und die Kriterien einer Einordnung wie „rechtspopulistisch“ offenlegen. Wer die AfD als „rechtspopulistisch“ bezeichnet, sollte klarmachen, dass es populistisch ist, die Welt in „wir“ und „die“, in „gut“ und „böse“ und „wir da unten“ und „die da oben“ einzuteilen. Populisten schießen sich auf vermeintliche Eliten ein, auf eine angeblich abgehobene Politiker- und Medienkaste, während sie selbstredendden Willen des Volkes für sich reklamieren. Ein Spiel, das nicht nur AfD-Politiker beherrschen, sondern auch einzelne Vertreter anderer Parteien. Auch das zu benennen gehört zu einer ehrlichen Berichterstattung. 

Die erfolgreichsten Populisten kreieren nicht nur Stimmungen, sondern sie geben ihnen den Anstrich von Objektivität und Faktentreue. Die AfD gab sich am Anfang das Image einer Professorenpartei. Sie konnte anknüpfen an ihren Vorarbeiter, den ehemaligen Bundesbanker und SPD-Politiker Thilo Sarrazin, einem besonders virtuosen Populisten im spröden Gewand des faktentreuen Technokraten. Eine seiner Hauptthesen: Die angeblichen Probleme vor allem durch muslimische Zuwanderer seien von den Medien verschwiegen worden – was kurios ist, schließlich erntete Sarrazin ein lautes Echo in sämtlichen Publikumsmedien, inklusive Vorabdrucken seines Buches „Deutschland schafft sich ab“. Bei der AfD wurde dieses durchsichtige, aber extrem erfolgreiche Taktik gar zum Slogan: Mut zur Wahrheit. 

Provokationen verfangen – auch dank mancher Medien

Die Provokationen der Populisten verfangen. Auch dank der Medien. Die Dresdner Rede des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, in der er sich über das Berliner Holocaust-Mahnmal ausließ, sorgte natürlich für eine überregionale Debatte. Beatrix von Storch brachte einen möglichen Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge an der Grenze ins Spiel – ein Tabubruch mit lautem Aufschrei. Die AfD bringt sich mit solchen Provokationen immer wieder ins Gespräch. Ein Teufelskreis: Je mehr über sie berichtet wird, desto bekannter wird die Partei. Je bekannter sie wird, desto relevanter ist sie für die Berichterstattung. Einen einfachen Ausweg aus diesem Dilemma gibt es nicht. 

Eines ist aber klar: Die AfD ist nach dem Einzug in zig Landesparlamente zu einer politischen Kraft geworden, über die man berichten muss. Allerdings sollte man sich als Journalist bei jeder neuen Provokation fragen: Wie viel Höcke muss sein? Schließlich ist er lediglich Fraktionsvorsitzender dieser Partei in Thüringen – und nicht amerikanischer Präsident. Nie war Einordnung wichtiger, und das ist etwas ganz anderes, als sich an Stimmungsmache zu beteiligen, in welcher politischen Richtung auch immer.

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