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Make wine not war

Text erschienen in der FAZ am 07.04.2018, Storytelling bei FAZ.NET am 10.04.2018

Von Martin Benninghoff

Wein aus Südafrika ist bekannt, aber aus Kongo? Der Darmstädter Hobby-Winzer Michael Ortmanns baut im krisengeschüttelten Osten des Landes Rotwein an. Worauf kommt es in tropischen Gefilden an?

FRANKFURT, im April. Es klingt gewöhnungsbedürftig: Weinbau in Kongo. Aber warum eigentlich nicht? Wein aus Südafrika ist schließlich eine auf der ganzen Welt bekannte Marke, und auch in Ländern wie Tansania und Kenia wird Wein angebaut. Andererseits sind das auch Urlaubsländer, nicht frei von Problemen, aber frei von Bürgerkriegen, und damit nicht vergleichbar mit dem zentralafrikanischen Staat Kongo.

Warum also Weinbau in Kongo? In einem Land, das für seine intakten Urwälder bekannt ist, für Vulkane und Seen, dazu für immense Rohstoffvorkommen an Coltan, Kobalt und Gold, die es eigentlich zum reichsten Land Afrikas machen müssten. Müssten. Denn Kongo ist eines der ärmsten Länder, ein Bürgerkriegsgebiet, zerrieben zwischen Regierungs- und Rebellentruppen. Ein Land, das seit langem leidet unter den Interessen rohstoffsuchender Großmächte, einer kleptokratischen einheimischen Elite und den Nachwirkungen einer brutalen Kolonialgeschichte. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die östlichen Regionen in Kongo. Es ist kein Land für liebliche Rebhänge, lauschige Weinproben und eine südfranzösische Sommelier-Kultur.

Das ist alles richtig – aber nicht die ganze Wahrheit, Das weiß auch Michael Ortmanns. Der Darmstädter, früher Pressesprecher der ARD-Talkshow „Sabine Christiansen“, ist heute Konzernsprecher eines Energieunternehmens, zudem Hobby-Sommelier mit Ausbildung und Weinliebhaber. Und er ist immer mal wieder in Kongo unterwegs, seit die Bremerin Katja Reith, eine Freundin von ihm, in der ost-kongolesischen Stadt Goma lebt. Ihr südafrikanischer Partner Dries Coetzee betreibt in der Provinzhauptstadt am Lake Kivu eine Sicherheitsfirma. Gemeinsam mit den beiden kam Ortmanns auf die Idee, auf einer nahegelegenen Insel im See Rotwein anzubauen – „auch als politische Botschaft“, sagt er.

Strenggenommen war es der Plan eines anderen Freunds, eines Belgiers, der seit Ende der siebziger Jahre in Kongo lebte und sich Gedanken über Weinbau dort machte – auch, weil in der Region Kaffee wächst und Safran und Maniok, das Grundnahrungsmittel der Kongolesen. Doch aus der Idee wurde erst mal nichts. Nach dem Tod des Belgiers ließen Ortmanns und seine Freunde dann dessen Idee wieder aufleben, als „Schnapsidee“, wie Reith sagt. Und ein bisschen auch als Reminiszenz an den verstorbenen Freund.

Doch Ortmanns wurde schnell klar: Mit Weinbau wie im Ahrtal oder in Franken hat das „nichts, aber auch rein gar nichts zu tun“. Die Hitze im Land ist gut für die Trauben, auch die mineralischen Böden vulkanischen Ursprungs haben ihre Vorteile – aber die Feuchtigkeit, vor allem zur Regenzeit, und die im Vergleich zu deutschen oder französischen Lagen dauerhaft geringe Lichtdauer könnten zum Problem werden. In Goma geht die Sonne jeden Tag gegen 18 Uhr unter, kein Spätsommerlicht bescheint die Trauben noch zu später Stunde. Also war Expertise nötig, und die fand Ortmanns bei einem befreundeten Winzer in Südtirol, in Bozen. Mit ihm wählte Ortmanns Rebsorten aus, die tropentauglich sein sollten, vor allem widerstandsfähig gegen Pilze. Schließlich fiel die Wahl auf Lagrein, Prior und mehrere Cabernet-Varianten.

Im März 2018 flog Ortmanns mit 600 Setzlingen aus Südtirol in zwei Aluminiumkisten nach Goma. Mit Hilfe seiner Freunde und zehn einheimischer Männer begann die Pflanzung auf einem leicht geneigten Hang auf der Lake-Kivu-Insel – so kann das Regenwasser besser abfließen. Doch neben der Feuchtigkeit könnten auch wilde Tiere den Setzlingen schaden. Auf der Insel leben Affen, gegen die Vögel mussten die Hobby-Winzer Zäune und Netze bauen. Die größte Gefahr aber kommt von unten: Termiten. Darauf wies ihn Wolfgang Schäfer hin, zu dem Ortmanns in den Tagen der Pflanzung telefonisch Kontakt hielt, eine „Standleitung“, sagt er. Schäfer gilt als einer der besten Kenner des tropischen Weinbaus, ein Mann für schwierige Fälle. Mit seiner Firma Tropical Viticulture Consultants berät er seit knapp 40 Jahren Unternehmen, tropische Winzer und solche, die es werden wollen. In Angola, Brasilien, Burundi, Kuba, Peru und anderen Ländern hat er bei der Weinkultivierung geholfen, zuletzt war er in Indonesien und Aserbaidschan unterwegs. Für ihn ist Ortmanns Wein-Idee in Kongo zwar nur ein kleines Nebenprojekt, das er bislang unentgeltlich berät – aber eines, das er sympathisch findet und das ihm Respekt abnötigt: „Ich fände es schade, wenn so ein Versuch an einfachen Fehlern scheitert.“

Mögliche Fehlerquellen gibt es genug. „Früher war man der Meinung, dass Weinbau in den Tropen nicht funktioniert“, sagt Schäfer. Heute gebe es 160000 Hektar Weinbaugebiete in tropischen Regionen, Tendenz steigend. Der Vorteil: In den Tropen tragen die Reben auch dann, wenn in Europa keine Erntezeit ist – wenn man die mangelnde Lichtzufuhr in den Griff bekomme, sagt Schäfer. Dafür gibt es mehrere Methoden, die Reben so zu binden, dass sie genügend Sonne abbekommen. Zunächst aber gehe es darum, den Anbau in Kongo auszuprobieren und zu schauen, ob die Reben das erste Jahr überleben und gedeihen. Dann „kann man sich weitere Gedanken machen“, sagt Schäfer.

In Goma könne man leider nur einmal im Jahr ernten, in anderen tropischen Regionen hingegen mehrmals. „Die Bedingungen in Ost-Kongo sind nicht ganz optimal“, sagt Schäfer, etwas zu viel Regen. Selbst für den Fachmann ist das ein Experiment mit ungewissem Ausgang: Von den ungefähr 15000 Rebsorten auf der Welt hat Schäfer nach eigenen Angaben rund 500 in den Tropen ausprobiert. 20 davon seien geeignet, den widrigen Umständen zu trotzen. Rotwein sei der richtige Wein für die Tropen, stabiler und widerstandsfähiger gegen Wärme als Weißwein. Eine Temperatur von bis zu 22Grad sei zur Lagerung problemlos, je höher die Temperatur, desto schneller die Reifung. In Deutschland wird bei etwa 12Grad gelagert.

Ortmanns baut bei der Verarbeitung der Trauben, Abfüllung und Lagerung auf die Erfahrung eines Italieners, der in der Nähe von Goma eine Bierbrauerei betreibt. Abgefüllt werden soll in Bierflaschen, die in Kongo 0,65 Liter fassen. Für Schäfer „eine gute Idee“, weil deren Kronkorken verschlussdicht und kostengünstig seien. Vielleicht könnte das die kongolesischen Konsumenten, bislang mehrheitlich eher Bier- als Weintrinker, zum Kauf animieren. Doch bei einem erwarteten Ertrag von 350 Litern, „wenn es gut läuft“, wie Ortmanns sagt, lässt sich ohnehin kein großer Profit herausschlagen. Ortmanns hat bisher rund 1500 Dollar in sein Projekt gesteckt und noch keinen Cent verdient. Ihm geht es um die politische Botschaft: „Entwicklungshilfe funktioniert nicht, wenn man das Geld versickern lässt“, sagt er. Im Idealfall gelingt es ihm, Weinbau in Kongo zu etablieren und Einheimische auszubilden, die das Projekt selbständig weiterführen könnten. „Eigentlich braucht da keiner Hilfe aus Europa, Landwirtschaft ist deren tägliches Brot“, sagt Ortmanns.

Für ein Land wie Kongo, in dem mehr als zwei Drittel der Menschen weniger als zwei Dollar am Tag zum Leben haben, wäre das eine Hoffnung. Zwei Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, die meisten in wenig effizienter Selbstversorgung, weshalb das Land Nahrungsmittel importieren muss. An Tourismus in größerem Stil ist im krisengeplagten Goma wie im ganzen Land noch nicht zu denken, aber vorstellbar wäre nach Ansicht Schäfers eine Entwicklung wie zum Beispiel in Thailand: Dort hat der Sohn des Red-Bull-Erfinders Chaleo Yoovidhya, Chalerm Yoovidhya, ganze Weinbaugebiete mit der Hilfe Schäfers aus dem Boden gestampft. Die Idee: Weinbau als Attraktion über die eng gefassten Weinliebhaber-Kreise hinaus etablieren, inklusive Elefantenreiten durch die Rebhänge.

Vielleicht noch ein Hirngespinst für das Bürgerkriegsland Kongo, aber Ortmanns und seine Mitstreiter haben sich von ihrer „Schnapsidee“ ja auch nicht abbringen lassen. Im Mai 2019 wird sich zeigen, ob die Reben Früchte tragen, und ob weitere Überlegungen überhaupt sinnvoll sind. Bis dahin heißt es: abwarten und Wein trinken.

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