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Die Maschine läuft und läuft und läuft

Text erschienen im FAZ.NET-Feuilleton (25.06.2018)

Von Martin Benninghoff, Mannheim

Guns N’ Roses zu Gast auf dem Mannheimer Maimarktgelände: Der lebende Rockstar-Mythos ist sich für kein Klischee zu schade, und die Fans lieben das. Allerdings macht sich auch erster Unmut breit.

Hätte es das vor 20 Jahren gegeben? „Die Mannheimer Polizei zieht eine durchweg positive Bilanz nach dem Konzert der Band Guns N‘ Roses“, heißt es in einer Pressemitteilung noch in der Nacht zu Montag. Bitte was? Was ist denn da los? Die angeblich gefährlichste Band der Welt, berüchtigt für Eskapaden und einen Sänger, der früher Konzertfotografen verprügelte und mit seinen leichten bis mittelschweren psychopathischen Anwandlungen den Archetyp des aggressiven Rockstars gab – ein Liebling der Polizei?

Axl Rose ist mittlerweile 56 Jahre alt, den Jugendsünden weitgehend entwachsen. Als Guns N‘ Roses sich 2016 partiell wiedervereinigten und ihre große „Not In This Lifetime Tour“ starteten, sollen sich die beiden anderen Mitglieder der Urbesetzung, Gitarrist Slash und Bassist Duff McKagan, gegenüber ihrem sprunghaften Frontmann ausbedungen haben, dass Rose dieses Mal pünktlich auf den Bühnen zu erscheinen habe – und die Fans, Band und Tourveranstalter nicht wieder zwei oder drei Stunden warten lässt wie zu Zeiten der legendären „Use Your Illusion“-Tour. Rose hält sich mit großer Disziplin daran, so auch gestern Abend.

Es ist 19.26 Uhr, vier Minuten vor dem angekündigten Konzertbeginn, als das Vorspiel beginnt: Auf dem großen Bildschirm in der Mitte der Bühne startet der Trailer, ein großer Panzer schießt in Richtung Publikum, es ist die gänzlich unironische Ästhetik einer Stadionband, die sich stets sehr ernst genommen hat, und die deshalb und wegen der teils altbacken wirkenden grafischen Umsetzung voll in die Klischeekiste greift. Aber sei’s drum, Guns N‘ Roses ist die pure Rockstar-Ikone, die anderswo peinlich und wie ihre eigene Karikatur wirken würde, nicht aber hier unter den rund 50.000 herbeigepilgerten Fans auf dem Mannheimer Maimarktgelände. Die Band ist Kult, selbst Zwanzigjährige, die noch nicht einmal geboren waren, als Axl Rose und Slash schon nicht mehr miteinander sprachen, tragen heute ihre T-Shirts, so wie vielleicht nur noch bei Nirvana, Metallica oder AC/DC. Das muss schon eine Art Magie sein.

Wenige Minuten später legen Rose, Slash, McKagan aus der Urbesetzung, Keyboarder Dizzy Reed aus der Zeit der „Use Your Illusion“-Tour, Gitarrist Richard Fortus aus Axls “Chinese Democracy“-Ära und die Neuzugänge Frank Ferrer (Schlagzeug) und Melissa Reese (Keyboard und Background Vocals) – wie meist – mit „It’s so easy“ los. Die anderen Urmitglieder Steven Adler und Izzy Stradlin sind nicht dabei, aber das haben die Fans mittlerweile verwunden. Wichtig ist: Slash und Axl Rose mögen sich wieder, na ja, sie teilen zumindest wieder die große Bühne auf der offenen Freifläche.

29 Songs, dreieinhalb Stunden Show

Das Set danach dauert drei Stunden und 20 Minuten, 29 Songs! Fulminant, erst recht für die Herren im fortgeschrittenen Alter. Die Setlist ist ein Best of ihrer ja gar nicht so umfangreichen Diskografie von gerade einmal sechs Alben, wobei „Chinese Democracy“, das 2008 erschienene Werk, ja mehr eine Axl-Rose-Solo-Scheibe ohne Mitwirkung von Slash und Duff McKagan ist. Dazu ein paar Cover-Versionen, die nach wie vor grandiose Version von „Live and Let Die“ und, natürlich, „Knockin‘ on Heavens Door“.

Es wird viel geboten fürs Geld, keine Frage: Die Band liefert mittlerweile wie ein Uhrwerk. Alle Hits. Pünktlich. Ohne Eskapaden. Das ist zwar keine Kunst, aber Handwerk auf höchstem Niveau. Rose ist stimmlich an diesem Abend sehr gut drauf, kein Vergleich mit anderen kommerziell erfolgreichen Stadion-Rockstars dieser Ära, wie Jon Bon Jovi, der seine Songs fast nicht mehr singen kann und stattdessen seiner Band und dem neuen Gitarristen Phil X die hohen Passagen überlässt. Rose schafft noch alle Höhen, auch wenn er in den letzten 20 Minuten konditionell etwas nachlässt – aber das wäre auch jedem Mittzwanziger nach knapp dreieinhalb Stunden auf einer Bühne dieser Größe so gegangen. Abgesehen von einem dicken Einsatz-Patzer beim Soundgarden-Cover „Black Hole Sun“ ist Rose um Meilen besser als vor zehn oder 15 Jahren. Insgesamt ist die Band spielerisch auf den  Punkt – kein Vergleich mit dem vielfach kritisierten ersten Deutschland-Konzert in Berlin vor wenigen Wochen.

Aber für alle, die die Band seit Jahren und Jahrzehnten verfolgen, fehlen die Überraschungsmomente, so wie im vergangenen Jahr in Hannover beispielsweise, als plötzlich und für alle unerwartet AC/DC-Gitarrist Angus Young mit auf die Bühne sprang. Die Songs sind weitgehend gleich geblieben, nur wenige Stücke leicht umarrangiert. Slash liefert – wie seit Jahrzehnten gewohnt – sein Instrumentalstück mit der Filmmelodie aus „Der Pate“, im Anschluss folgt, natürlich, „Sweet Child of Mine“, am Schluss „Paradise City“. Pyrotechnik, Raketen, Goldregen. Die Band zieht sämtliche Rockstar-Register. Erwartbar und genau das, was die Fans wollen. Allerdings ließ sich Rose offenbar erweichen, den knochentrocken-starken Song von Slashs und Duffs zwischenzeitlicher Supergroup „Velvet Revolver“, „Slither“, mit ins Programm zu nehmen. Im Gegenzug spielt Slash klaglos Axls Songs aus der „Chinese Democracy“-Ära, auch wenn er dann – als Statement? – seine giftgrüne Gitarre nimmt statt der guten alten Gibson Les Paul, mit der er seinen singenden Marshall-Sound bei Stücken wie „Estranged“ oder „November Rain“ veredelt.

Ob das Publikum begeistert ist? Schwer zu sagen. Die ersten 20 Minuten ist die Stimmung noch recht verhalten, bei „Welcome to the Jungle“ explodiert sie dann, um dann bei neueren Songs wie „This I Love“ wieder abzuflachen. Aber ein solches Open-Air-Konzert ist ohnehin wie ein lebendiger Organismus. Mal wird der gut ausgesteuerte Klang vom Winde verweht, mal kämpft sich die Leadgitarre in den Vordergrund und der Gesang verschwindet hinter einer breiten Schallmauer, seltener verhält es sich genau umgekehrt. Insgesamt aber ist der Sound besser als beim Konzert in Berlin, wo viele danach ihren Unmut über den Klangbrei auf Twitter kundtaten.Was bleibt, ist ein zwiespältiges Bild: Guns N‘ Roses fährt einerseits eine – nach den Maßstäben dieses Genre – grandiose Show ab, andererseits verwalten die Musiker ihr großes Erbe nur noch, nicht zuletzt, um ihren Mythos nach Jahren der Funkstille vor allem zwischen Slash und Axl Rose wieder zu Geld zu machen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen, die laufende Tour gehört jetzt schon zu den kommerziell erfolgreichsten Tourneen aller Zeiten. Aber die Frage, ob neben allem Marketing und Handwerk künstlerisch etwas zu erwarten ist, bleibt unbeantwortet. Reicht die reine Dienstleistung?

Gemeinsames Bierchen? Kaum vorstellbar

Im Internet machen zunehmend mehr Fans ihrem Ärger Luft, dass die Band finanziell alles aus ihrem großen Namen herauspresst, aber nichts Neues ankündigt. Wer die Vorgeschichte, die langjährigen Streitigkeiten und den schwierigen Charakter von Axl Rose in Rechnung stellt, mag nicht so recht an neues Material glauben, zumal die Musiker auf der Bühne weitgehend aneinander vorbei agieren. Ob sie nach dem Konzert gemeinsam ein Bierchen trinken gehen? Kaum vorstellbar, eher rauschen sie in eigener Limousine ins separierte Hotelzimmer. Wäre ein gemeinsamer Studioaufenthalt überhaupt noch denkbar? Zumindest wäre es wünschenswert, dass sie ihre alte Musik neu interpretieren würden, um auch den grundsätzlich konservativen Hardrockfan zu erschüttern. Auch wenn der das nicht will, aber das haben Konservative nun mal an sich.

Was aber bis in alle Ewigkeit bleibt, ist die herrliche musikalische Naivität einer Band, die kein Klischee vermeiden muss; sie hat sie ja schließlich erfunden. Fill-ins auf dem Schlagzeug wie bei „November Rain“, die einen Schlagzeuglehrer zwar leicht erröten lassen und im Rocklexikon der größten musikalischen Klischees stehen, aber eben untrennbar mit dieser Band verbunden sind. Wie einst der Schrei von Joe Cocker. Oder die Kopfstimme von Prince. Insofern ist es auch ein Alleinstellungsmerkmal im Rockstarhimmel, eine Coverversion von Pink Floyds „Wish You Were Here“ aufzuführen, bei der Slash und der zweite Gitarrist Richard Fortus sich solistisch duellieren. Ja, bitte, wo gibt es so was? Das sind eigentlich Einfälle von Schülerbands, an der Popakademie würde man dafür Spott ernten. Aber: Guns N‘ Roses darf das.

Na und, würde einem Slash ohnehin entgegen rotzen: Was dieser Mann, der in den dreieinhalb Stunden natürlich weder Sonnenbrille noch Zylinder absetzt, den ganzen Abend liefert, ist mehr als Gitarrespielen, er ist nichts anderes als die Rockstar-Chiffre schlechthin. Wenn er spielt, räkeln sich auf der Leinwand Schlangen (er ist Schlangenliebhaber), und ein animierter Totenkopf mit Zylinder hüpft über den Bildschirm. Selbst wenn Rockmusik eines Tages tot sein sollte, steht Slash noch im Fegefeuer und spielt das Solo von „Don’t Cry“ lässig zu Ende, schmeißt die Gibson ins Feuer – und angelt sich die Doppelhalsgitarre, die ein verschwitzter Roadie ihm hinhält. Alleine deshalb pilgern die Fans eben hin. Heute und wahrscheinlich auch noch in der Zukunft.

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