Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (3.9.2014)
Von Martin Benninghoff
Die Union sollte Lucke und Co nicht totschweigen. Besser wäre, sie in gemeinsamer Regierungsarbeit auf Landesebene zu entzaubern – und ihr die Grundlage als Protestpartei zu entziehen
Das Selbstverständnis von CDU/CSU verlangt es eigentlich, sich ernsthaft mit der AfD zu beschäftigen – und Koalitionen mit der Newcomer-Partei auf Landesebene in Erwägung zu ziehen. Von ihrer Selbstcharakterisierung ist die Union staatstragend: Wer sich in der CDU oder CSU engagiert, tut dies nicht unbedingt, um zu reformieren oder gar eine Revolution anzuzetteln, sondern um den Status Quo zu bewahren. Konservativ eben. Staatserhaltend.
In diesem Sinne sollten die Konservativen überlegen, ob sie es hinnehmen, dass sich rechts von ihnen eine national-chauvinistische, ressentimentgeladene Partei schnell, aber sicher im Parteiensystem etabliert. Das schwächt die Mitte-Rechts-Volkspartei, nachdem die Mitte-Links-Volkspartei SPD vorgeführt hat, wie man einen politischen Konkurrenten, die Linkspartei, ungewollt stärkt. Geschichte könnte sich wiederholen.
Das Erstarken der AfD rüttelt am politischen Status Quo der Bundesrepublik: Es wäre eine im besten Sinne staatstragende Aufgabe für die Union, die AfD in Regierungsarbeit zu entzaubern, ihre teilweisen kruden Vorstellungen einem Realitätscheck zu unterziehen. Eine Grenzüberschreitung, ja sicher, aber eine, die nötig ist (wohlwissend, wie schwer es für Politiker ist, mit viel Tamtam selbstgezogene „rote Linien“ zu ignorieren). Unionspolitiker wie Volker Kauder irren, wenn sie die AfD für eine politische Eintagsfliege halten und mit den Republikanern, der DVU oder der Hamburger Schill-Partei vergleichen. Die AfD ist wesentlich professioneller aufgestellt, ihr Führungspersonal klüger und im Politikgeschäft erfahrener als die Mannschaften jener Parteien, die allesamt von jeweils einem Charismatiker (Franz Schönhuber und Ronald Schill) oder einem millionenschweren Sponsor (Gerhard Frey) lebten.
In allen drei Fällen zeigte sich: Ist die Galionsfigur weg, stirbt auch die Partei – abrupt oder einen langsamen Tod, weil sich die Nachfolger gegenseitig das Leben schwer machen oder schlicht nicht über genügend Charisma verfügen, um potentielle Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Bei der AfD ist das anders. Mit Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel stehen zwei Figuren vorne am Bühnenrand, die Bürgerliche ansprechen, zumindest aber nicht abschrecken. Das trifft auch für Alexander Gauland zu, den AfD-Spitzenkandidaten in Brandenburg, dem Charisma allerdings weitgehend abgeht. Als ehemaliger Staatskanzleichef in Hessen ist er jedoch ein erfahrener Politmanager.
Fehlt nur noch eine vorzeigbare Frau. Die ultra-reaktionäre Sektiererin Beatrix von Storch dürfte nicht zum Publikumsliebling der AfD-Wähler avancieren, zumal sie eher verbissen wirkt und wenig sympathisch. Frauke Petry, die AfD-Vorsitzende in Sachsen, hat vielmehr das Zeug, dem Altmännerverein AfD einen jugendlicheren und vor allem weiblicheren Anstrich zu verpassen. Egal, wie wenig Inhalte bislang von ihr überliefert sind.
Die Entzauberung dieser Partei, die derzeit von einem diffusen Protestpotential lebt und kräftig – mehr oder minder offen – national-chauvinistische Ressentiments in der Bevölkerung anspricht, funktioniert nur im Alltag parlamentarischer und exekutiver Regierungsarbeit. Eine Kostprobe gaben die AfD-Granden vor einigen Wochen selbst, als Lucke und Henkel im EU-Parlament eine russlandkritische Resolution unterschrieben – und damit ihrem russlandfreundlichem „Außenexperten“ Gauland öffentlich einen einschenkten. Der warnte gleich vor einer Spaltung der Partei.
So schnell kann es gehen. Dabei war das nur ein Beispiel von vielen kleinen Auseinandersetzungen, die die Partei intern derzeit in Atem hält. Es ist eben eine kaum zu leistende Arbeit, will man weiter ausländer-, schwulen- und genderfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung ansprechen, andererseits aber wegen der Außenwirkung rechte Politiker, die vorher beispielweise bei der Islamhasser-Partei „Die Freiheit“ aktiv waren, aus Spitzenämtern heraushalten. An diesem Spagat könnte die AfD scheitern, wenn sie erstmal ans Regieren kommt.
Der Kurs der Union hingegen – vor allem Kauders und des Generalsekretärs Peter Tauber -, birgt die Gefahr, dass die AfD weiter gestärkt wird. Die anstehenden Landtagswahlen dürften jedenfalls in diese Richtung weisen.
Ignorieren, totschweigen, am Rand liegen lassen, das ist eine Taktik, mit der die SPD auf Bundesebene versucht hat, das „Gespenst Linkspartei“ loszuwerden – um die Mitglieder eines Tages wieder in die eigene Partei zu lotsen. Hat ja, gelinde gesagt, nur suboptimal funktioniert! Arroganz gegenüber dem Politneuling AfD liefert deren Politikern nur neue Vorlagen, sich als Anti-Establishment-Partei zu gerieren.
Martin Benninghoff, Journalist in Berlin, ist Co-Autor des Buches „Aufstand der Kopftuchmädchen“, das sich mit der Reform des Islam und der Integration in Europa beschäftigt. Seine OC-Kolumne “Grenzgänger” erscheint jeden zweiten Mittwoch.