Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (26.11.2014)
Von Martin Benninghoff
„Ängstliche weiße Männer“ schießen gegen Islam, Schwule und Genderstudien. Chronische Wut allerdings ist ein schlechter Ratgeber. Wo sind bloß die gelassenen, weisen älteren Männer?
Kennen Sie angry white men, wütende weiße Männer? Ich muss gestehen, irgendwie gehöre ich ja auch dazu, also zu den weißen Männern. Gerade in diesen ersten kalten Tagen, an denen die Sonne sich nur mühsam für ein paar wenige Stunden aus dem Winterschlaf nach draußen schält, bin ich ziemlich weiß. Minimal pigmentiert, um maximal Sonne rauszuholen. Ein genialer Trick der Evolution.
Angry aber, also wütend, bin ich überhaupt nicht. Zumindest nicht dauerhaft als Gemütszustand, der einem die Sinne so weit vernebelt, dass es kaum noch gelingt, die Dinge halbwegs objektiv und gelassen zu betrachten. Wut kann zwar im Moment Energie und Engagement erzeugen, chronische Wut jedoch führt unweigerlich in einen Dauerzustand pathologischer Erregung, der einen Relationen und wichtige Fakten nicht mehr erkennen lassen. Einschätzungen geraten zu bloßen Verschätzungen.
Zu beobachten ist dieses Störungsbild bei den Motzern und Pöblern in den Kommentarspalten im Internet, die – geschützt in der Anonymität – ihrer Wut freien Lauf lassen und dabei die Mindeststandards an Bewertungskraft und Höflichkeit missen lassen. Moderater und im Ton bürgerlicher zeigen sich die konservativen Kolumnisten und Journalisten, die unter echten Namen ihren Wuttexten ein anderes Gewand geben. In der Sache aber ähneln sich die beiden Typen wütender weißer Männer (und weniger Frauen) doch augenfällig.
Putin, Einwanderung, Islam
Sobald im Internet ein Artikel mit den Reizworten Putin, Einwanderung, Islam, Homosexuelle oder Gender auftaucht, ist der Grundstein für den Shitstorm gelegt. Interessant ist immer – so meine Erfahrung -, dass Kommentarschreiber die abenteuerlichsten Querverbindungen hinkriegen, um diese Reizworte am besten noch in einem Abwasch mit ihrem Hass abzuarbeiten: Schreibt wer einen sachlichen Artikel zum Outing eines berühmten Fußballers, kann man sicher sein, dass irgendjemand im Kommentarbereich die Brücke zum Islam schlägt. Weil der Islam doch so schwulenfeindlich sei und das eigentliche Problem. Oder so.
Nun ist der Islam als Thema ja noch so allgegenwärtig in den Medien und relevant, dass ein großes Interesse daran durchaus verständlich ist. Spannend ist aber die Frage, warum das totale Nischenthema Gender sowohl bei pöbelnden Kommentarschreibern als auch moderateren Kolumnisten derart populär ist. Wer so kühn ist, über Feminismus und Genderstudien zu schreiben oder zu sprechen, darf sich getrost auf einen ganz besonderen Shitstorm freuen. Ein Dauerthema übrigens auch auf den Meinungsseiten der konservativen Zeitungen wie FAZ und “Welt”; und es hat es sogar recht prominent ins Wahlprogramm der AfD geschafft, der derzeit angesagtesten Interessenvertretung der angry white men (and women) in Deutschland.
Man fragt sich, woran rührt dieses Reizwort in diesen Menschen, dass sie es mit Schmähungen und pathetischen Meinungsartikeln von sich weisen müssen, als handele es sich um den Untergang des Abendlandes. Eigentlich sind Genderstudien doch ein Nischenfach an den Universitäten, ein Orchideenfach, eine Orchidee mit Stachel. Im Grunde doch nur interessant für einige Fachleute und Aktivisten, aber doch kein Anlass für Montagsdemonstrationen! Die Antwort ist: Genderstudien stellen die Macht und Deutungshoheit der männlichen Bevölkerung in Frage, so wie der Feminismus insgesamt und auch einzelne andere Themen wie der Grünen-Vorschlag eines Veggiedays beispielsweise im vergangenen Bundestagswahlkampfes. Auch so ein eigentlich unwichtiges Randthema, das für wahnsinnige Furore sorgte.
Genderstudien stellen nicht das Fleischessen in Frage, sondern die Vorstellung von zwei biologisch fest geformten Geschlechtern. Eine solche Einteilung der Welt in männlich und weiblich – und damit all die Rollenzuschreibungen, wie sich Männer und Frauen zu verhalten haben -, sei ideologisch und kulturell konstruiert, und zwar von denen, die die Macht bislang innehatten und haben: den weißen Männern, die Politik und Regierungen machen und in den Konzernvorstandsetagen hocken. Diese weißen Männer, so die feministische Annahme, hätten die Welt nach ihren Vorstellungen geformt, eine Welt mit lauter heterosexuellen Kleinfamilien, in denen Mutter die Hausarbeit erledigt und Papa das Geld nach Hause bringt.
Tatsächlich ist im Westen dieses Monopol weitgehend gebrochen, auch wenn diese Lebensform als eine unter vielen selbstverständlich weiter existiert. Aber zunächst war es doch wichtig, dass Feministinnen schon vor Jahrzehnten bestimmte Dämme der ungleichen Machtverteilung eingerissen haben, und ein wichtiges Werkzeug war die Sprache: Wer mal auf einem Friedhof spazieren geht, kann sich davon überzeugen, dass vor wenigen Jahrzehnten die Frauen allenfalls unter Nennung ihres Vornamens auf dem Grabstein erwähnt wurden – unter dem Patriarch und männlichen Familienoberhaupt. Zu meiner Kinderzeit war es auch noch üblich, die Post an meine Eltern ausschließlich an meinen Vater zu adressieren, was mich als Jugendlicher allerdings einigermaßen aufgeregt hat.
Übertreibungen gehören dazu
Damals wie heute ist Sprache das Werkzeug der Feministinnen. Und ich muss gestehen, dass ich einiges, was Gender-Forscherinnen heute vorschlagen, albern und überzogen finde (ich nenne jetzt keine Beispiele, denn dieses Zitate-Rausreißen ohne Kontext finde ich schon beim Thema Islam kontraproduktiv). Solche Übertreibungen lassen mich andererseits ziemlich kalt; leisten wir uns doch einmal kurz den Luxus, wie ein Historiker auf unsere Zeit zu schauen: Ja, natürlich hat es diese und jene Übertreibung gegeben, aber der gesellschaftliche Fortschritt und die Liberalisierung – insofern, als dass es mehr als den einen allgemein anerkannten Lebensentwurf gibt – ist unter dem Strich eine gute Sache.
Und da könnte sich doch jeder weiße Mann wenigstens ab und ab mal an die eigene Nase fassen und sich selbst hinterfragen: Muss jede liebgewordene Tradierung für alle Ewigkeit in meinem Hirn Bestand haben, nur weil ich das so in meiner Kindheit gelernt habe? Der selbstbewusste Mann, der sich seiner Identität sicher ist, hat es gar nicht nötig, mit dem Finger auf Muslime, Schwule (die angeblich zu viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekämen), insgesamt Minderheiten und ein paar versprengte Genderforscherinnen zu zeigen. Dann überzeugt die Kritik an Übertreibungen der Genderforschung auch stärker, weil sie nicht mehr aus der Wut geboren ist, sondern aus der Kraft der Einsicht und des Arguments.
Martin Benninghoff, Journalist in Berlin und Redakteur bei „Günther Jauch“ hofft, dass sich die wütenden Pöbler mal fragen, ob sie vielleicht selbst ein Problem haben. Seine OC-Kolumne “Grenzgänger” erscheint jeden zweiten Mittwoch.