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Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (07.01.2015)
Von Martin Benninghoff
Helmut Schmidt hat die Fremdenfeindlichkeit der Pegida-Demonstranten verurteilt. Das ist gut und richtig. Allerdings hat der Altkanzler auch seinen Anteil an Klischees über Muslime
Wenn zwei Altkanzler sich in eine aktuelle Debatte einmischen, dann muss Gefahr im Verzug sein. Nun haben sich nach der amtierenden Kanzlerin auch ihre beiden Vorgänger Gerhard Schröder und Helmut Schmidt (beide SPD) zu Wort gemeldet und die Pegida-Demonstrationen harsch verurteilt: Schröder forderte einmal mehr seinen „Aufstand der Anständigen“, Schmidt bescheinigte den Demonstranten und ihren Sympathisanten „dumpfe Vorurteile, Fremdenhass und Intoleranz“. Deutschland müsse „weltoffen und tolerant“ bleiben.
Eine interessante Koalition zweier Alphatiere, die sich in vielen Dingen ähnlich sind und in ihrer schwierigen Verbindung zur eigenen Partei auch beide als Kanzler letztlich an ihr gescheitert sind. Im Grunde waren sich beide zumindest in den vergangenen Jahren mehr oder minder einig, was zentrale Politikfelder angeht, mit einer Ausnahme: Integration und Islampolitik in Deutschland.
Gerhard Schröders Lieblingsthema war das nie, in seiner Regierungszeit aber wurden wichtige politische Impulse gegeben, die das Land in Sachen Integrationspolitik vorangebracht haben: etwa bei der Neujustierung des Staatsbürgerschaftsrechts und der Debatte, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist. Im Großen und Ganzen hat Schröder stets Sympathie für die Möglichkeiten eines modernen Einwanderungslandes erkennen lassen, er war da vielen Deutschen um Nasenlängen voraus.
Bei Helmut Schmidt allerdings sah das anders aus, weshalb sein jetziges Urteil über die Pegida-Demonstranten zwar ehrlich gemeint zu sein scheint und sicherlich inhaltlich richtig und in seiner Wirkung wichtig ist, aber auch nicht verdecken sollte, dass Schmidt in seiner merkwürdigen Schwarz-Weiß-Argumentation der verbreiteten Islam-Stimmung in der Vergangenheit teils Nahrung gegeben hat.
Kampf der Kulturen?
Auf einen Nenner heruntergebrochen hat Schmidt mehrmals in Interviews vor einem Zusammenprall der Kulturen gewarnt und sich dabei Samuel Huntingtons zu Recht umstrittene These vom „Clash of Civilizations“ zu eigen gemacht, die in Deutschland ungeschickt als „Kampf der Kulturen“ auf den Buchtitel gepackt wurde. Schmidt zeigte sich wiederholt skeptisch, was „die Einwanderung aus islamischen Kulturen“ angehe und stellte als Kontrast die angeblichen Integrationsleistungen von Italienern und Spaniern in den Raum.
Davon abgesehen, dass die Schulleistungen italienischer Einwandererkinder aufgrund ähnlicher Sozial- und Bildungshintergründe auch ähnlich durchwachsen waren wie die türkischer Kinder (und spanische Einwanderer oftmals Bessergebildete waren, die ihre Kinder in spezielle Nachhilfevereine gaben), steckt in Schmidts Argumentation ein fehlgeleiteter Kulturbegriff, der unsere Integrationsdebatte bis heute negativ beeinflusst: das Argument der angeblich unveränderlichen Kultur.
Denkt man dieses Argument weiter, dann kann also ein Migrant aus einem kulturell andersartigen Gebiet – sagen wir: dem arabischen Raum – grundsätzlich keinen Zugang in die hiesige Kultur erlangen, er bleibt sozusagen für alle Zeit ausgeschlossen, weil Kulturen ja unveränderlich seien. Schmidts Logik, der ja von Integrationspolitik wenig Ahnung hat, rührt wohl von seinen Beobachtungen im Felde der Außenpolitik her, die ja zu Recht Anlass zur Sorge geben: „Die große Gefahr ist ein großer Zusammenstoß der muslimischen Welt mit den Nationen des Westens“, hat er 2004 der “Bild” in einem Interview gesagt.
Hier die Muslime, da der Westen – ich halte dieses Argument in der Außenpolitik für mindestens fragwürdig, weil die Konfliktlinien oftmals zwischen verschiedenen muslimischen Gruppen verlaufen und weniger zwischen Muslimen und „dem Westen“. Auf dem Feld der Innenpolitik allerdings, wo es um längerfristige Anpassungsprozesse geht, ist es schlichtweg absurd. Natürlich gibt es Reibungen, aber über die Jahre hinweg funktionieren selbst schwierige Anpassungsprozesse, wie selbst besonders ignorante Zeitgenossen langsam anerkennen sollten.
Dieses Bild einer unveränderlichen Kultur ist falsch, wie wir an Tausenden Beispielen vorgeführt bekommen, von denen ich nur einige wenige anführen kann: etwa die Anpassung der islamischen Strömungen an lokale afrikanische Gepflogenheiten, die etliche Mixturen ergeben hat, die sich deutlich unterscheiden von arabischen Varianten.
Oder in Europa: Trotz aller islamfeindlicher Stimmen hierzulande, die uns weismachen wollen, dass „der Islam“ nicht zur Demokratie passe, gibt es gerade auch in Deutschland viele Beispiele absolut gelungener Symbiosen aus „deutscher Kultur“ und islamischen Einflüssen. Von einer Säkularisierung hier lebender Muslime einmal ganz zu schweigen. Sowohl die Bildungserfolge als auch die Identifikation islamischer Einwanderer und ihrer Kinder mit Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren wesentlich verbessert – auch wenn zum Gesamtbild natürlich das Problem wachsender Radikalisierung an den Rändern gehört, das sich derzeit am stärksten an den Salafisten exemplifiziert.
„Wir“ und „die Fremden“
Die Schwarz-Weiß-Einteilung in „Wir“ und „die Fremden“, die sich in Helmut Schmidts Statements zur Zuwanderung immer wieder zeigte, war Nährboden für diejenigen, die noch immer behaupten, Muslime und Demokratie – das sei ein großes Missverständnis. Fairerweise muss ich dazu sagen, dass Schmidt an anderer Stelle auf die Verwandtschaft von Christentum und Islam hingewiesen hat, etwa was die Propheten im Koran und im Alten Testament angeht oder die positive und herausgehobene Rolle Jesus‘ im Koran.
Schmidt ist in seiner Inkonsistenz nicht alleine, was nur ein schwacher Trost ist: Mehrmals habe ich erlebt, dass jemand nun gegen Pegida ist und es gutheißt, wenn eine Stadtverwaltung das Licht abschaltet, um die Demonstranten im Dunkeln stehen zu lassen. Andererseits am Kneipentisch aber munter Klischees über „die Muslime“ verbreitet oder aber die Wohnung lieber nicht an Migranten vermietet, weil man ja nie wisse…und sich in seiner Homogenität nicht vom angeblichen Fremden stören lassen will.
Onlinepetitionen unterschreiben gegen Pegida ist die eine Sache: Die Klischees im Alltag abbauen, das Schwarz-Weiß-Denken und die künstliche Aufteilung in „Wir“ und „Die“ aufzugeben ist eine viel schwierigere Aufgabe. Vielleicht ist es dann doch tröstlich, dass selbst der Welterklärer Helmut Schmidt diesen Bewusstseinswandel selbst durchmachen musste. Oder sogar noch mittendrin steckt.
Martin Benninghoff ist Journalist in Berlin und Redakteur bei „Günther Jauch“. Seine OC-Kolumne “Grenzgänger” erscheint jeden zweiten Mittwoch.