Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (27.05.2015)
Von Martin Benninghoff
Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel haben das Ressentiment in die Parlamente gebracht. Sollten sie noch ein Fünkchen Anstand haben, wäre es nun an der Zeit, sich ins Privatleben zurückzuziehen.
Bernd Luckes Gesichtszüge haben sich in diesen Tagen bedrohlich dem Boden angenähert; ganz so, als sei er gerade erst aufgewacht nach einer fröhlich-durchzechten Nacht. Er, der es fast geschafft hätte, eine neurechte Partei am Politikmarkt zu etablieren, war vom Rausch des Erfolges derart benebelt, dass er nicht sehen wollte, mit wem er da eigentlich feiert. Hauptsache, die Hütte ist voll. Am Morgen danach zeigt sich ihm das Grauen, die Bierleichen liegen neben ihm und riechen streng. Er will türmen, aber eines ist sicher: Der Gestank hat sich an ihm festgesetzt.
AfD-Gründer Lucke wird seinen Ruf als honoriger Ökonomie-Professor nicht wieder herstellen können, und seinem Mitstreiter, Ex-BDI-Chef Hans-OIaf Henkel, wird dies ebenso wenig gelingen; selbst wenn beide sofort austreten, bevor die Partei gänzlich im Sumpf von Fremdenfeinden, christlichen Fundamentalisten und Homophoben versinkt. Die AfD-Truppe in ihrer jetzigen Form ist auch das Produkt von Lucke und Henkel.
Die Partei wäre als politische Alternativstimme in Sachen Eurorettung ein Gewinn für die Meinungsvielfalt in Deutschland gewesen. Allerdings wusste Lucke von Anfang an, dass sich mit Euro-Kritik alleine keine Wahl erfolgreich bestreiten lässt; ellenlange Alarm-Stellungnahmen über gemeinschaftliche Schuldenhaftungen, wie sie unter AfD-Sympathisanten kursierten, sind eben schwere Kost für Normalbürger; Feindbilder wie Muslime oder Flüchtlinge sind leider ein „lohnenderes“ Mittel für Wahlerfolge.
Also kümmerte sich Lucke lieber mehr oder minder aktiv um den „Beifang“ seiner Euro-Kritik, gab den Islam-, Fremden- und Schwulenhassern, den Genderalarmisten und Veggie-Day-Geknechteten Köder zum Fressen. Weil er darauf nicht wirklich Lust hatte und sich zudem die Finger nicht schmutzig machen wollte, überließ er anderen die Drecksarbeit, Frauke Petry zum Beispiel oder auch Alexander Gauland. Zwar verwahrte er sich im Stil gegen allzu plumpes Herangewanze an Pegida, inhaltlich blieb er jedoch in Rufweite, auf dass die Pegida-Sympathisanten künftig ihr Kreuz bei der AfD machten. Diese Strategie hat bei einigen Landtagswahlen trefflich funktioniert.
Zum Preis allerdings, dass Petry und Gauland immer mächtiger wurden und ihm bald die Führungsrolle innerhalb der Partei streitig machten. Selbst das war für Lucke okay: Alle sollten schließlich Heimat finden in seiner „kleinen Volkspartei“, all jene, die in der Merkel-Republik fremdeln mit Kita-Ausbau oder Islamunterricht. Die Euro-Kritik geriet immer unwichtiger, wurde zugedeckt durch allerlei Verschwörungszeug und Deutschtümelei. Dazu kamen solche, die sich früher links nannten, die ihren Anti-Amerikanismus oder ihre strenge Religionskritik aber nicht mehr bei den Linken vertreten sahen.
Lucke war damit wahltaktisch erfolgreich: Die AfD zählt derzeit (noch) etwas mehr als 20.000 Mitglieder, sie sitzt in mehreren Landesparlamenten. Aber vor allem hat sie dem Ressentiment gegenüber Minderheiten eine Stimme in den Medien und Parlamenten gegeben. Da darf man sich nicht täuschen lassen: Das ist vor allem das politische Vermächtnis von Bernd Lucke und seinen Mitstreitern wie Hans-Olaf Henkel.
Die Trennung von Rechten und Euro-Kritikern, von Deutschnationalen und Wirtschaftsliberalen, wie sie uns Henkel und Lucke nun weismachen wollen, hat es in Wahrheit nie eins zu eins gegeben. Vieles funktioniert in Personalunion: Henkel schrieb schon frühzeitig für rechtsnationale Blätter, von denen er sich nun lautstark abgrenzen will. Für die „Freie Welt“ zum Beispiel, ein rechtes Magazin des Netzwerkes „Zivile Koalition“ der Familie von Storch, die gegen Schwule, Abtreibung und Gender Mainstreaming wettert. Dessen Chefin Beatrix von Storch sitzt mit Lucke und Henkel im Europarlament. Zwar war Lucke die umtriebige Netzwerkerin stets suspekt, andererseits brauchte er sie, um an die christlichen Fundis heranzukommen, die Abtreibungsgegner und Leitkultur-Prediger.
Henkel wiederum gab Islamhasser-Medien wie „Blu TV“ bereitwillig Interviews, wohlwissend, mit welchen Leuten er sich dort einließ. Wer glaubt noch einem Mann, der sich nun wortreich von jenen distanziert, denen er bei jeder Gelegenheit in die Kameras gesprochen hat? Beide – Lucke und Henkel – sind intelligente Männer, die genau wussten, was sie tun, die jetzt aber offenbar realisiert haben, dass sie zu weit gegangen sind: Sie haben den Teppich ausgelegt, auf dem randständige Personen wie Pegida-Gründer Lutz Bachmann und Kathrin Oertel ihre kruden und teils paranoiden Thesen in die Gesellschaft transportieren.
Was bleibt in der Katerstimmung? Für Henkel und Lucke wahrscheinlich nur Aufräumarbeiten. Andererseits: Luckes und Henkels Glaubwürdigkeit ist zerstört, weder Freund noch Feind glaubt an die politische oder persönliche Integrität dieser Männer. Sie sollten sich ins Privatleben zurückziehen und hoffen, dass die Schäden, die sie mitverursacht haben, nicht allzu groß sein werden. Sollte dann Frauke Petry die AfD übernehmen, ist wenigstens Schluss mit der bürgerlich-wirtschaftsliberalen Maskerade dieser Partei.
Martin Benninghoff ist Journalist in Berlin. Seine OC-Kolumne “Grenzgänger” erscheint jeden zweiten Mittwoch.