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Einer muss den Job ja machen

Text erschienen bei FAZ.NET am 14.04.2018

Von Martin Benninghoff

Tote-Hosen-Sänger Campino hat die Echo-Bühne genutzt, um die Rapper Kollegah und Farid Bang zu kritisieren. Ist das schon das vielbeschworene Comeback politischer Popmusiker?

Dann also wieder Campino! Als der Sänger der Toten Hosen am Donnerstagabend die beiden umstrittenen Rapper Kollegah und Farid Bang auf der Echo-Bühne wegen einer antisemitischen Textpassage kritisierte und sich auch allgemein gegen antisemitische, homophobe oder frauenfeindliche Aussagen wandte, musste mal wieder einer der alten Recken kommerzieller Rock- und Popmusik ran. Einer, der sich bei seinem letzten Engagement für das Benefiz-Projekt „Band Aid“ eine blutige Nase geholt hatte, weil es Zweifel an der Sinnhaftigkeit solcher Aktionen gab, die, so der Vorwurf, zu häufig einen einseitigen Blick zum Beispiel auf die Nöte in afrikanischen Ländern generierten. Neben sachlicher Kritik hagelte es Spott für das Engagement Campinos – und anderer Promis.

So leicht es einerseits scheint, sich als Künstler für einen sozialen Zweck einzusetzen, so groß ist die Gefahr, dass das Engagement in Teilen der Öffentlichkeit gar nicht gut ankommt. Campino musste nach seiner Echo-Rede zwar einmal mehr Spott und Kritik einstecken, es dürften aber die wohlwollenden oder sogar dankbaren Kommentare zumindest einen ähnlich hohen Resonanz-Anteil erhalten haben. Offenbar hat sich etwas verändert: Nachdem jahrelang politisches Engagement von Pop- und Rockkünstlern mindestens kritisch beäugt worden war, so scheint es nun ein kleines Comeback des politischen Künstlers zu geben, zumindest für diesen einen Fall. Wie nachhaltig die Entwicklung ist, das lässt sich noch nicht sagen.

Kommerziell erfolgreiche Künstler, die sich als politisch verstehen, haben in Deutschland seit einiger Zeit ein Imageproblem, das teilweise selbst verschuldet ist. Der Sänger Herbert Grönemeyer beispielsweise, der erfolgreichste aus der Riege der stadiontauglichen Musiker, zu denen sonst noch andere Altstars wie Marius-Müller Westernhagen, Udo Lindenberg, Peter Maffay, oder bei den Bands die Ärzte und eben die Toten Hosen gehören, hat sich mehrmals pauschal negativ über Politiker geäußert: Er vertraue keinem deutschen Volksvertreter, sagte er und warf damit zugleich die Frage auf, ob er denn wirklich alle kennt. Auch das Engagement von BAP-Sänger Wolfgang Niedecken – oder auf internationalem Parkett von U2-Frontmann Bono oder Bob Geldof – stieß nicht nur auf Gegenliebe von Fans und Öffentlichkeit. Zu konstruiert, zu wohlfeil, zu inkompetent, zu heuchlerisch, so die Vorwürfe. Dass Bono viel Geld für die Entwicklungshilfe in Afrika gesammelt hat, ist allerdings unbestritten.

Trotzdem kaufen Künstlerkollegen, die eher im subkulturellen denn im kommerziellen Bereich unterwegs sind, es ihren prominenten Kollegen oft nicht ab, wenn die sich engagieren und zu einer moralischen Instanz aufschwingen. Wobei häufig mit zweierlei Maß gemessen wird: Wenn sich Schauspielerin Meryl Streep bei den amerikanischen Oscar-Verleihungen über Präsident Donald Trump auslässt, dann wird das in Deutschland wohlwollender rezipiert als wenn sich Schauspieler Til Schweiger zur Flüchtlingsdebatte äußert. Warum? Weil Streep etwas Klügeres zu sagen hat? Oder weil Künstler in Deutschland gefälligst in ihren Schubladen zu bleiben haben? Politische Sänger wie Hannes Wader oder Konstantin Wecker klebten stets im Fach Liedermacher fest. Dass Ton Steine Scherben mit ihrem charismatischen Sänger Rio Reiser die Brücke zwischen Politik und Pop schlugen, war eher die Ausnahme – und ist Jahrzehnte her.

Nach der Wiedervereinigung kam das Thema Rechtsradikalismus noch stärker als zuvor auf und schob sich weit ins öffentliche Bewusstsein, was ein Comeback politischer Popmusik zur Folge hatte. „Arsch huh“, ein Anti-Rechts-Konzert auf dem Kölner Chlodwigplatz mit BAP, Brings und sogar Willy Millowitsch (!), wurde zur Legende, überregional räumten die Ärzte mit ihrem Anti-Neonazi-Song „Schrei nach Liebe“ ab sowie die Toten Hosen mit „Sascha“. Protestsongs im Biermann’schen Sinne waren das freilich nicht – eher die musikalischen Artikulationen von mehrheitsfähigen Meinungen. Politik und Künstler ließen sich bei solchen Gelegenheiten gerne zusammen auf der Bühne blicken.

Um die Jahrtausendwende übertrieben es die Rockstars der ersten kommerziellen Garde: Als Westernhagen im Beisein von Bundeskanzler Gerhard Schröder das Bundesverdienstkreuz erhielt, oder Scorpions-Sänger Klaus Meine sich all zu gerne in die Nähe der Bundesregierung begab, war es endgültig vorbei mit dem Ansehen von Musikern mit politischem Sendungsbewusstsein. Ein Jahrzehnt der Zurückhaltung folgte darauf: Tocotronic, Blumfeld, Wir sind Helden – sie geben und gaben sich weniger plakativ, verklausulieren ihre politische Zeitkritik eher lyrisch, zum Preis, eventuell weniger gehört zu werden in der politischen Öffentlichkeit. Dafür stieg die Anerkennung bei Rezensenten und Fachleuten.

Insofern wäre es eigentlich eine gute Nachricht, wenn Rap-Bands nach den politisch eher zahnlosen Fantastischen Vier oder Fettes Brot die Politik wieder in die Musik zurückbrächten. Aber nicht mit Grenzüberschreitungen, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und Homophobie. Aus der Szene meldeten sich nach der Echo-Verleihung immerhin die Rapper der Antilopen Gang deutlich zu Wort: Sie bezeichneten Kollegah als „faschistischen Agitator“. Aber das war eben eher eine Stimme aus der Subkultur. Dass beim Echo selbst Punk-Legende Campino den Mund aufmachen muss, zeigt, dass unter den kommerziell erfolgreichen Künstlern auf die Altstars Verlass ist – und auf die Jüngeren, die in ihrer Karriere noch etwas zu verlieren haben, offenbar weniger. Oder wie singt Panik-Rocker Udo Lindenberg? Einer muss den Job ja machen.

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