Reportage bei FAZ.NET zum Erdogan-Besuch in Deutschland (erschienen am 29.09.2018)
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Von Martin Benninghoff, Köln
Der türkische Präsident weiht am Nachmittag die Ditib-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld ein. Am Mittag füllt sich die Stadt mit seinen jubelnden Anhängern. Für Unterstützer aus der Stadtpolitik ist der Tag dagegen eine herbe Enttäuschung.
In Ehrenfeld herrscht an einem Samstag immer geschäftiges Treiben: Der Kölner Stadtteil ist ein ehemaliges Arbeiterviertel, das durch meist türkischstämmige Einwanderer, Studierende und Alteingesessene geprägt ist. Es gibt kleine Geschäfte, internationale Restaurants, eine multikulturelle Bevölkerung. Ehrenfeld ist das Kreuzberg Kölns. Aber heute liegt dazu noch eine Spannung über der Stadt. Der türkische Staatspräsident Recep Tayipp Erdogan wird die große Zentralmoschee in diesem Viertel offiziell einweihen. Hubschrauber kreisen in der Luft, Polizisten und Sicherheitskräfte sichern das Gebiet rund um den Moscheekomplex mit der riesigen Kuppel und den beiden jeweils 55 Meter hohen Minaretten ab.
Die Zugänge zur Moschee sind gesperrt. Nur durch einen Eingang dürfen VIP-Gäste mit Einladung rein, die anderen müssen draußen bleiben. Das ficht die angereisten und heimischen Erdogan-Fans, die keine Einladung haben, kaum an: An den Absperrungen entlang der Venloer Straße stehen Hunderte seiner Anhänger mit türkischen Fahnen, Erdogan-Zeichnungen auf der Baseballkappe, Erdogan-Schals, T-Shirts mit weißem Halbmond auf rotem Grund. Aus einem Fenster hängt ein riesiges Banner mit einem scharf gezeichneten Konterfei des Präsidenten, es reicht fast bis hinunter auf die Straße. Bis 15 Uhr füllen sich dann die Straßen mit Tausenden Erdogan-Anhängern, die „Erdogan, Erdogan“ skandieren oder „Türkei, Türkei“.
Es ist eine Mischung aus größtenteils türkischstämmigen Erdogan-Anhängern und weit weniger Gegnern des türkischen Präsidenten, der am Nachmittag eintreffen wird. Die meisten Kritiker protestieren derweil anderswo in Köln, am Ebertplatz zum Beispiel, dort hat die Alevitische Gemeinde zur Gegendemo geladen. An der Deutzer Werft protestieren am Nachmittag etwa 2000 Erdogan-Gegner.
Jahrelange Kontroverse um die Ditib-Moschee
An der Moschee in Ehrenfeld sieht man viele Kopftücher, aber genauso viele weltlich-säkular gekleidete Menschen. Aydan, 29, kommt aus Köln, ist dort geboren, aber trägt eine große türkische Flagge vor sich her. Auf die Frage, warum sie hierherkommt, sagt sie: „Der Präsident hat die Türkei groß gemacht. Das ist etwas, worauf man stolz sein kann.“ Andere sind nicht wegen Erdogan gekommen, sondern wegen der Eröffnung der Moschee, die sie gelungen finden. Ein türkischstämmiger Alevite, der ungenannt bleiben möchte, hat sich in die Menschenmenge gemischt, er will „sich das angucken“. Er traue sich aber nicht, seinen Protest hier offen zu zeigen.
Auch Deutsche ohne Migrationshintergrund sind unter den Schaulustigen. Viele zieht es hierher, weil sie jahrelang gegen den Bau der Moschee gekämpft haben. Oder sich für das Gotteshaus eingesetzt haben, das die zehntausenden Muslime, die in Köln leben, aus den Hinterhöfen und ehemaligen Fabrikgebäuden holen sollte, wo bis dato gebetet wurde. Der Streit hat die Lokalpolitik Kölns mehr als ein Jahrzehnt beschäftigt, eine rechtsradikale Kleinpartei schaffte es sogar mit diesem Thema in den Stadtrat. Deren Anhänger standen zeitweise alle paar Tage vor dem Bauzaun der Moschee, um lautstark zu protestieren. Die Gruppierung hat sich mittlerweile aufgelöst, und es sind keine rechten Protestgruppen vor Ort, zumindest nicht direkt an der Moschee.
Einer, der sich damals den Rechten entgegenstellte, ist Josef Wirges. Den SPD-Bezirksbürgermeister von Ehrenfeld, immerhin seit 21 Jahren im Amt, nennen manche den „Heinz Buschkowsky von Köln“, in Anspielung auf den früheren Bezirksbürgermeister im anderen „Kölln“, in Berlin-Neukölln. Die Ähnlichkeiten sind da: Beide sind zupackend, Männer der Tat, bei der SPD – und stehen in ihren Städten im Ruf, mit schnoddriger Schnauze zu sagen, was aus ihrer Sicht Sache ist. Dann hören die Gemeinsamkeiten auf, denn während sich Buschkowsky mit seinem Buch „Neukölln ist überall“ als Integrationskritiker einen überregionalen Namen gemacht hat, ist Wirges lokal bekannt für seine Unterstützung des Moscheebaus. Auf dem Höhepunkt der Proteste postierte er sich vor dem Bauzaun, um sich den rechten Demonstranten in den Weg zu stellen.
Eine lange Geschichte der Entfremdung
Das ist Jahre her. Heute steht Wirges vor der Moschee, die er nach wie vor „gelungen und schön“ findet. Der Rest aber ist eine Geschichte der Entfremdung. „Ich bin enttäuscht“, sagt er an diesem Tag, der eigentlich der Tag der Freude sein sollte. Seit Jahren sitzt er im Beirat, den der Moscheeverein Ditib eigens gegründet hat, um besser ins Gespräch mit den Kölner Bürgern und Politikern zu kommen. Doch bei den Planungen zur Eröffnungsfeier waren Wirges und die anderen gar nicht mehr involviert. Der Beirat steht nun kurz vor der Auflösung.
Andere federführende Stadtpolitiker wie die amtierende Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) oder der ehemalige Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) waren nur sehr kurzfristig eingeladen worden. Aus Frust und aus der Befürchtung heraus, bei der Einweihung nur noch als Statisten einer türkischen Propagandaveranstaltung geladen worden zu sein, sagten beide ab. „Ein Akt der Unhöflichkeit“, beschreibt Schramma seine Gefühlslage. „Eine Unverschämtheit“, er fühlt sich von Ditib schlecht behandelt. „Wir hätten uns einen Tag der offenen Tür oder ein Volksfest mit Beteiligung der Bevölkerung gewünscht“, sagt er. Reker, die sich jüngst in einer Rede vor dem Rat „auch die Oberbürgermeisterin der Kölner muslimischen Glaubens“ nannte, zeigte sich in einer Erklärung ebenfalls enttäuscht von Ditib über den „Umgang mit Vertretern der Stadtgesellschaft“. Auch Wirges schlug die Einladung aus: Den „Sultan vom Bosporus“, wie er Erdogan nennt, will er nicht noch unterstützen.
Aber zur Geschichte der Entfremdung gehört auch: Nur wer vorher Hoffnungen hatte, kann enttäuscht werden. Und die Kölner Lokalpolitik hatte Hoffnung. 2001 beantragte Ditib, auf eigenem Gelände und mit eigenem Geld eine große Moschee zu bauen. Die Debatte, die sich danach entwickelte, zog sich wie ein Riss durch die Stadtgesellschaft. Intellektuelle wie der verstorbene Ralph Giordano warnten vor dem Machtanspruch eines politischen Islams, andere, wie der Journalist Günter Wallraff, hofften auf eine weitere bauliche Attraktion in einer Stadt, die in der Nachkriegszeit ziemlich verbaut worden war. Ihre Kritiker versuchte die Ditib mit einem integrativen Konzept zu beruhigen: Zwar sollte die Moschee natürlich in erster Linie ein Haus für die gläubigen Muslime sein, aber eben auch ein Haus der offenen Tür für Andersgläubige und interessierte Atheisten: für Türken, Deutsche, Kölner mit und ohne Migrationshintergrund. Der damalige Oberbürgermeister Schramma ließ sich überzeugen, das Projekt wurde genehmigt. Allerdings musste sich die Ditib zu einem Architekturwettbewerb verpflichten.
Streit mit dem Architekten
Der Rest ist teilweise tragische Stadtgeschichte: Der Sieger, der renommierte Architekt Paul Böhm, geriet alsbald mit der Ditib wegen angeblicher Baumängel und gesteigerter Kosten aneinander. Die für 2012 geplante Eröffnung wurde mehrfach verschoben. Seit knapp zwei Jahren wird die Moschee mit ihrem riesigen und schmuckvollen Saal, in dem etwa 1000 Männer Platz finden, als Gotteshaus mit angrenzender Ladenzeile und Bürotrakt für die Ditib-Verwaltung genutzt. Für Frauen finden sich eine Etage höher Balkone, von denen sie in den Saal schauen können.
Als Schramma im Beirat Anfang 2018 fragte, wann die offizielle Eröffnung stattfinden soll, hatte die Ditib noch keine konkrete Antwort. Der erste Staatsbesuch von Erdogan in Deutschland war dann offenbar die geeignete Gelegenheit, die möglicherweise auch die Ditib überraschte. Das eilig zusammengezimmerte Sicherheitskonzept reichte der Stadt Köln nicht aus. Stattdessen wurden Sicherheitszonen eingerichtet – am Nachmittag ließ die Polizei weitere 600 Besucher in den Außenbereich der Moschee. Zwei jüngere Männer, die ihre Namen hier nicht lesen wollen, interpretieren die strengen Sicherheitsvorgaben der Behörden als bewusste Drangsal der Erdogan-Anhänger. Wie sie darauf kommen? „Keine Ahnung, denke ich mir so.“
Für Josef Wirges sind solche Gefühle das Resultat auch dieses Erdogan-Auftritts: „Das reißt alte Wunde wieder auf“, sagt er. Jeder koche da jetzt sein eigenes Süppchen, für die vielen Bemühungen um eine gute Integration sei das ein Rückschritt. Dabei gehe es eben nicht um Assimilierung der türkischstämmigen Mitbürger – verschiedene kulturelle Einflüsse seien ausdrücklich gewünscht. „Alles auf dem Boden des Grundgesetzes und nicht aus dem Koran oder der Bibel“, sagt er. Und bei aller Zuneigung für die eigenen Wurzeln oder die anderer: Erdogan sei einer, der sich, gelinde gesagt, über Menschenrechte hinwegsetze. „Da gibt es für mich eine Grenze.“ Als sei eine Bestätigung nötig, wird am Samstagnachmittag gemeldet, dass die Istanbuler Polizei mit gepanzerten Wagen eine friedliche Demonstration der sogenannten Samstagmütter aufgelöst hat – und dabei auch Journalisten bedrängte. Wie viel dieser Türkei unter Erdogan möchte man in Köln haben?
Ditib – der verlängerte Arm Erdogans?
Eine Frage, die zwangsläufig zur Ditib führt: Sie ist der Trägerverein der neuen Moschee und der deutsche Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet – und untersteht dem türkischen Präsidenten. Erdogans Arm reicht also bis nach Köln-Ehrenfeld. Als es damals um die Genehmigung für den Bau ging, stellte sich die Ditib als deutscher Verein dar, der er formal auch ist, ohne Einfluss aus der Türkei. Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün, selbst mit türkischen Wurzeln, warf der Ditib 2008 in einem Gastbeitrag vor, aus Ankara gesteuert zu sein. Die damaligen Verantwortlichen wehrten sich öffentlich: „Das ist schlichtweg nicht wahr. Der Vorstand fasst alle Beschlüsse selbständig und setzt diese auch selbständig um.“
Der damalige Geschäftsführer Mehmet Yildirim versuchte alles, um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sogar Karnevalsorden verteilte er gemeinsam mit Oberbürgermeister Schramma – in Köln ist das kein ganz unwichtiges Zeichen für gegenseitige Toleranz, Dialog und Integration. Yildirim war dann irgendwann weg, Schramma aber bemerkte in den vergangenen Jahren schon eine zunehmende Abschottung der Ditib gegenüber dem Moschee-Beirat, in dem er und Wirges an einem Tisch sitzen, und der Öffentlichkeit: „Die Kommunikation mit Ditib verläuft sehr schleppend.“
Das Jahr 2018 wirft dann ein deutlicheres Licht auf das Bild, das die Ditib abgibt. Erst versuchte der frühere Generalsekretär Bekir Alboga, der jahrelang seine Distanz zu Ankara betont hatte und als Dialogpartner für die deutsche Politik fungierte, auf die Liste der Erdogan-Partei AKP für die Parlamentswahlen zu kommen. Das klappte nicht. Dann die Nachricht, dass Staatspräsident Erdogan die Einweihung persönlich übernehmen würde. Für die Unterstützer der Moschee ein Schlag ins Gesicht, auch aus einem anderen Grund: „Mich ärgert, dass sich nun die Rechten die Hände reiben“, sagt Wirges. Es fällt auf, dass kaum rechte Protestler auf den Kölner Straßen sind. Wirges macht sich da seinen Reim: „Das haben die gar nicht nötig. Die schlagen sich jetzt schon lachend auf die Schenkel.“ Er habe Mails bekommen, in denen er als „Naivling“ oder „Gutmensch“ beschimpft werde, jetzt, da man sehe, wie die Ditib agiere.
Ein Beitrag zur Integration?
Auch der ehemalige Oberbürgermeister Schramma berichtet von gehässigen Kommentaren. Er will sich aber nicht naiv schimpfen lassen: „Wir hatten vor zehn Jahren eine andere Gesprächsebene mit der Ditib“, sagt er. „Es war vernünftig und klug, mit denen im Gespräch zu sein.“ Beide, Wirges und Schramma, finden die Moschee gelungen, architektonisch und für das Stadtbild. Vom Konzept sei sie so geplant, dass „sie einen Beitrag zur Integration leisten kann“, sagt Schramma.
Ob das gelingt, wird sich aber erst zeigen, wenn sich die Aufregung um den Erdogan-Besuch gelegt hat und der türkische Präsident und seine Jubelschar wieder abgereist ist. Die Ehrenfelder, das wird auf der Straße an diesem Tag sehr deutlich, sind das friedvolle Zusammenleben gewöhnt – und sie wollen sich das durch politische Propagandaveranstaltungen nicht kaputtmachen lassen. Das sieht zumindest Wirges so: Seiner Schätzung nach seien 40 Prozent der türkischstämmigen Ehrenfelder in seinem Bezirk „nicht glücklich mit dem Erdogan-Besuch. Und wir zusammen müssen dann die Scherben wieder aufkehren.“