Beitrag im „Schlaflos“-Blog der F.A.Z. (erschienen am 09.10.2018)
Von Martin Benninghoff
Das Kind ist da, muss nun die Taufe her? Was früher selbstverständlich war, spielt für manche Eltern keine Rolle mehr – andere sind ratlos. Was bringt eine Taufe? Und muss das Kind nicht eigentlich selbst irgendwann entscheiden?
Vermutlich habe ich ein Mal zu viel eine katholische Taufe besucht.
Immer dann, wenn der Priester am Taufbecken den Eltern und Paten die Frage „Widersagt ihr dem Satan, dem Urheber des Bösen?“ in dieser oder einer ähnlichen Formulierung stellte, wäre ich am liebsten sofort aus der Kirche gelaufen oder aus dem nächstbesten Kirchenfenster gesprungen. „Ich widersage“, die erwartete Antwort, machte die Sache nicht besser, es ist für viele nur die Kapitulation vor einem Kirchen-Schauspiel, das sie unter Androhung familiärer Konsequenzen zu ertragen bereit sind.
Es ist schon klar, dass Theologen an dieser Stelle einhaken möchten, um mir die Abrenuntiatio diaboli einzuordnen und zu erklären. Aber aus einer lebensweltlichen Perspektive gedacht, sind Begriffe wie „Satan“ und „das Böse“ schlichtweg keine, die ich aussprechen möchte. Da kann man mir gleich drohen, den Rest meines Lebens mit Bruder Malachias von Hildesheim aus „Der Name der Rose“ eine karge Kemenate bei Wasser und Brot zu teilen, natürlich bei entsprechender täglicher Bibel-Exegese auf Latein.
Aber nicht nur deshalb haben wir uns erst einmal gegen die Taufe unseres Sohnes Elias entschieden – katholisch wäre die ohnehin nicht geworden. Die Taufe ist vielmehr für Katholiken und Protestanten eine ernste Sache, ein Sakrament. Also nichts, das man aus gesellschaftlichem Druck oder Opportunismus unterschreiben sollte. Das Kind wird durch sie ein Leben lang in die Glaubensgemeinschaft der Christen aufgenommen, und wenn die Eltern damit wenig anfangen können, warum sollte es für das Kind gut sein? Wobei: Ganz so einfach ist der Fall bei mir nicht, dazu später mehr.
Längst ist die Taufe kein gesellschaftliches Muss mehr. Zwar sind die Zahlen immer noch beachtlich: 2016 wurden laut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 163.000 Kinder evangelisch getauft, 2015 etwas mehr als 161.000. In der römisch-katholischen Kirche wurden 2015 laut Statistischem Bundesamt 167.226 Kinder getauft, die Verteilung zwischen Protestanten und Katholiken entspricht ungefähr dem Verhältnis der beiden Konfessionen in Deutschland. Mittlerweile sind geringfügig mehr Menschen katholisch als evangelisch getauft, das war einmal umgekehrt. Allerdings ist bei beiden Konfessionen die Taufbegeisterung seit Jahrzehnten im Sinkflug begriffen, daran können auch gelegentliche Tauf-Hypes wie zuletzt im ansonsten eher säkularen Berliner Kiez Prenzlauer Berg nichts ändern.
Das Gute ist: Dass die Taufe heute kein Muss mehr ist, sondern eine freiwillige Feier mit ungewisser Bedeutung für die Zukunft, führt zu einer Entkrampfung des Themas. So dachte man früher, ein Säugling, der ungetauft stirbt, würde nicht von Gott angenommen werden. Solcher Kinderglaube ist zumindest in hiesigen Breitengraden wenn auch nicht ausgestorben, so doch zumindest marginalisiert. Sowohl die römisch-katholische Kirche als auch die EKD halten so etwas für unvereinbar mit dem Bild eines liebenden Gottes. Allerdings: Auf dem Rückzug ist damit auch das Unhinterfragte und Hingenommene, das Tradierte und Eingeübte, eben das Religionsverständnis früherer Generationen.
Wer heute sein Kind taufen lässt, muss wissen warum. Wer heute sein Kind nicht taufen lässt, muss wissen warum. Ein paar Diskussionsanregungen, kein Anspruch auf Vollständigkeit:
Warum ein Kind taufen?
- Menschen werden in Religionen hineinsozialisiert, man lernt den Glauben nicht neutral-wissenschaftlich. Nur wer dabei ist, kann sich ein Bild machen.
- Glaube ist nicht in erster Linie eine rationale Angelegenheit, sondern wird über Emotionen vermittelt. Kinder hinterfragen nicht direkt logische Lücken, sie nehmen hin, das kann stabilisierend wirken.
- Im Glauben transportieren sich schöne Emotionen und Erlebnisse der Kindheit, an die man sich ein Leben lang erinnern kann: Trost und Erhabenheit, Weihnachten, Ostern, Erntedank.
- Das Christentum vermittelt christliche Werte wie Nächstenliebe.
- Die Taufe ist eines der großen Riten, die das Leben strukturieren. Wie sonst später die Konfirmation oder Kommunion, Hochzeit und Trauerfeiern.
- Kindergartenplatz oder Job bei einem kirchlichen Träger? Die können als Gemeindemitglied einfacher zu bekommen sein.
- Kirche macht einen vertraut mit Kirchenmusik und anderen kulturellen Errungenschaften.
- Kirche schafft Gemeindeleben, sorgt für soziale Kontakte und für Taufpaten, die eine besondere soziale Beziehung eingehen. Und von Paten gibt es Geschenke.
- In manchen Regionen fällt das Kind auf, wenn es nicht getauft ist (bayerische Landstriche, katholisches Rheinland).
Warum eine Taufe unnötig ist:
- Wer etwas über Religion erfahren möchte, sollte sich lieber aus anderen Quellen informieren und die Religionen miteinander vergleichen. Nur so kann man sich ein neutrales Bild machen.
- Glaube ist eine irrationale Angelegenheit, die Kinder noch nicht durchschauen. Man sollte sie damit nicht indoktrinieren.
- Ein Mensch sollte selbst entscheiden, ob er Kirchenmitglied sein möchte. Kindtaufen sind daher abzulehnen.
- Wenn die Eltern nichts mit Kirche zu tun haben: Wäre es nicht rückgratlos, wenn sie ihr Kind trotzdem taufen ließen?
- Weihnachten und Ostern kann man auch feiern und als wichtig erachten, ohne getauft zu sein.
- Die sogenannten christlichen Werte speisen sich auch aus anderen Quellen. Ein aufgeklärter Humanismus braucht keine Kirchen.
- Riten und Lebensereignisse sind wichtig, aber dafür braucht es die Kirche nicht: Im Osten wird mitunter noch die Jugendweihe gefeiert, bei Hochzeiten können freie Redner für Feierlichkeit sorgen.
- Für einen Säugling ist der Taufvorgang eine Zumutung. Deswegen brüllen ja viele Kinder die Kirchengemeinde in Grund und Boden.
- Wer nicht getauft ist, zahlt später keine Kirchensteuer.
- In manchen Regionen fällt das Kind auf, wenn es getauft ist (Teile von Ostdeutschland, Berlin, Großstadtmilieus)
Das entscheidende Argument der Taufgegner ist die kindliche Religionsunmündigkeit bei Kindtaufen, ein schlagendes Argument. Ein Säugling oder Kleinkind hat keinerlei Einfluss, in welches Bekenntnis es geworfen wird. Es müsste sich später als Erwachsener in einem aktiven Willensakt dazu durchringen, aus der Kirche auszutreten, wenn es damit nichts anfangen kann. So etwas ist schwer, für manche zumindest, mit einigem Abstand vergleichbar mit der Abgabe einer Staatsbürgerschaft.
Andererseits: Wem das schwerfällt, bleibt besser sowieso gleich dabei. So geht es mir seit Jahren. Ich lebe in einem permanenten kognitiven Dissens, finde vieles, was die Evangelische Kirche in Deutschland tut, unterstützenswert, manches lehne ich ab, bin aber eher ein Papiertiger ohne aktives Engagement. Heute wäre mir die Kirche wohl nicht wichtig genug, um in sie einzutreten. Insofern war meine Kindtaufe gut für die Kirche und wohl auch für mich, zumindest da ich keine schlechten Erfahrungen gemacht habe. Im Gegenteil: Gerne erinnere ich mich an die „Konfi-Zeit“ zurück, mit all den Freizeiten und Freunden. Aber eine freie Entscheidung, ja eine Entscheidung schlechthin, war die Taufe natürlich überhaupt nicht.
Ein Ausweg aus dem Dilemma ist die spätere Taufe im religionsmündigen Alter von 14 Jahren. Jugendliche können ja trotzdem ungetauft am Konfirmationsunterricht teilnehmen und sich, wenn es denn zusagt, kurz vor der Konfirmation taufen lassen. Strenggenommen wäre die Konfirmation als Erneuerung des Taufversprechens dann hinfällig, aber wer möchte dann schon auf die Feier verzichten? Auch bei den Katholiken gibt es die Möglichkeit der Erwachsenentaufe. Und in der Schule können ohnehin alle Ungetauften den katholischen oder evangelischen Religionsunterricht besuchen, um sich die Sache erst einmal in Ruhe anzuschauen.
Zudem gibt es zunehmend mehr Anbieter von freien Taufen, so wie es auch freie Trauredner gibt. Mir persönlich wäre eine freie Taufe zu inhaltsleer, bei einer Trauung kann ich mir das aber gut vorstellen. Wir haben deshalb erst einmal rund um den ersten Geburtstag von Elias ein kleines Willkommensfest in der Familie gefeiert, weil uns solche Rituale durchaus etwas bedeuten. Als Ersatz-Taufe wollten wir das nicht verstanden wissen, das war es nicht. Solche Rituale abzuschaffen scheint mir in einer immer stärker atomisierten Gesellschaft, in der es außer Weihnachten und Fußball-Weltmeisterschaften kaum noch Ereignisse gibt, die (fast) alle teilen, wenig erstrebenswert. Mit der richtigen Taufe warten wir vorerst noch – und überlegen dann nochmal, ob sie vielleicht später eine Option für den Kleinen ist. Oder eben nicht. Dann muss ich vorerst auch nicht dem Satan abschwören, was mir meinen Alltag doch erheblich erleichtert.