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„Hermann müsste eigentlich zurücktreten“

Interview mit dem Politikwissenschaftler Prof. Jürgen Falter (Universität Mainz) zu Stuttgart 21 und Bürgerbeteiligung (ersch. am 29.11.2011 im „Kölner Stadt-Anzeiger„).

Gespräch: Martin Benninghoff

Herr Prof. Falter, die Gegner von Stuttgart 21 sind beim Volksentscheid klar gescheitert. Hat dieses Votum die direkte Demokratie gestärkt oder geschwächt?

Falter: Ich glaube, das Votum stärkt die direkte Demokratie, vor allem wenn daraus eine Befriedung der Konfliktpartner resultieren sollte. Das würde aber bedeuten, dass sich die Gegner an das Votum halten und nicht versuchen, mit Mitteln der Straße den Bau des Bahnhofs zu verhindern.

Das Aktionsbündnis – unter ihnen die Parkschützer – hat weiteren Widerstand angekündigt.

Falter: Direkte Demokratie kann befrieden. Jeder muss sich dann aber auch den Regeln der direkten Demokratie beugen – genau wie den Regeln der repräsentativen Demokratie. Das Wichtige ist der Konsens über die Einhaltung der Regeln. Wenn dieser gebrochen wird, funktioniert auch die direkte Demokratie nicht.

Wie ist Ihre Prognose?

Falter: Ich nehme an, die Gegner spalten sich auf in diejenigen, die das Votum akzeptieren, und die „wahren Gläubigen“, die meinen, sie haben die historische Wahrheit auf ihrer Seite – für sie spielen Abstimmungen nur eine Rolle, wenn sie sie gewinnen.

Die gefühlte Mehrheit der S21-Gegner ist, wie das Ergebnis zeigt, in der Minderheit, auch in Stuttgart selbst. Ist das Phänomen der „Wutbürger“ nicht überschätzt worden, auch von den Medien?

Falter: Ach, in Gorleben ist es ja ganz ähnlich. Auch dort ist nur eine kleine relativ radikale Minderheit von Atomkraftgegnern am Werke, die nicht für die Mehrheit spricht. Für die Medien ist eben das interessant, was passiert, und nicht das, was nicht passiert. Das heißt, wenn sich in Gorleben oder Stuttgart etwas tut, dann ist das natürlich immer eine Nachricht wert. Das sagt jedoch nichts über Mehrheitsmeinungen oder die Mobilisierungsfähigkeit insgesamt aus. In diesem Fall sagen Umfragen mehr aus als Demonstrationen.

Es gab viel Kritik daran, dass der Volksentscheid erst jetzt so spät im Planungsprozess kam. Wie müssen künftige Volksentscheide aussehen?

Falter: Der Planungsprozess muss transparenter werden und die Bürger früher miteinbeziehen – und die Bürgervoten vor allem miteinbeziehen und nicht administrativ abbügeln. Volksentscheide sollten an der Stelle kommen, wo die Frage ansteht: Wollen wir das Projekt haben oder nicht? Oder an der Stelle: Wie wollen wir es haben?

Geraten Volksentscheide so nicht schnell zu einer reinen Abstimmung der betroffenen Anwohner?

Falter: Wer sind denn die Betroffenen? Es sind ja nicht nur die Anwohner, sondern auch Bahnfahrer auf der europäischen Magistrale  zwischen Paris und Bratislava, die von Stuttgart 21 betroffen sind. Es sind die betroffenen Steuerzahler und Bahnkunden. Der Kreis der Betroffenen lässt sich hier nicht begrenzen.

Bei einem Bahnhof vielleicht nicht. Wie ist das bei anderen großen Infrastrukturprojekten, die nur die Anwohner treffen?

Falter: Dann sollten  die Anwohner gefragt werden. Direkte Demokratie auf der regionalen Ebene ist viel zu gering ausgebaut. Bayern und vor allem die Schweiz leben uns vor, wie gut das funktionieren kann.

Kommen Ministerpräsident Kretschmann und sein Verkehrsminister Hermann – beide sind Gegner des Projekts – mit einem blauen Auge davon?

Falter: Kretschmann ja, Hermann weniger. Hermann hat sich so stark gegen das Projekt gewendet, dass er eigentlich zurücktreten müsste. Er hat die größte Klatsche bekommen.

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