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Die Simbabwe-Lösung

(Erschienen in der „Financial Times Deutschland“, 22.08.2012)

Plädoyer für einen pragmatischen Umgang mit Diktatoren wie Assad, die schwer zu stürzen sind

Von Martin Benninghoff

Verständlich, bei Syriens Autokraten Baschar al-Assad wollte sich der Westen nicht die Blöße geben. Zu lange hatte man Hosni Mubarak gepäppelt, bis ihn seine Ägypter davonjagten. Das war peinlich genug für den Westen und hat viele Sympathien in der arabischen Welt gekostet. Auch den libyschen Revolutionsführer Gaddafi hatten Berlin, London, Paris und selbst Washington wieder ein bisschen lieb, bis ihn sein Volk mit Unterstützung der Nato lynchte. Der Westen forderte Assad deshalb schon rund fünf Monate nach Ausbruch der Gewalt 2011 in seinem Land zum Rücktritt auf. Später dann aggressiver: „Assad muss weg!“, dieses Credo der Europäer und Amerikaner gilt bis heute.
Das ging schnell. Und war doch vorschnell, wie sich jetzt zeigt. Ohne Not hat sich der Westen eine realpolitisch gebotene Kompromisslösung mit Assad verbaut – und sich seiner diplomatischen Handlungsmöglichkeiten weitgehend beraubt. Was bleibt, ist hoffen, bangen, warten. Oder drohen mit einem Militärschlag, wie es nun US-Präsident Barack Obama getan hat. Im Umgang mit dem nächsten Autokraten, der die Welt beschäftigen wird, darf ein solch folgenschwerer Fehler nicht noch einmal passieren.
Assad ist ja trotz allen Wortgeklingels noch immer an der Macht. Und es sieht nicht wirklich so aus, als würde sich daran in Kürze etwas ändern. Zwar hat er bei Anschlägen sein halbes Sicherheitskabinett verloren, und einige Minister sowie der Regierungschef sind zur Opposition übergelaufen. Doch die gehörten nicht zum innersten Führungszirkel. Der Premier war nur der Alibi-Sunnit zur Beruhigung der aufgebrachten sunnitischen Bevölkerungsmehrheit.
Der Versuch ist fehlgeschlagen: Die ethnisch-religiösen Gräben zwischen Sunniten, Schiiten, Alawiten und Christen treten nun offen zutage. Zudem sind die Autonomiebestrebungen der Kurden verstärkt worden. Die Opposition wird von Islamisten unterwandert. Der Bürgerkrieg wird also weitergehen – grausamer als zuvor.
Hunderte Menschen sterben täglich in Syrien, mehr als früher: Die Gewalt des Krieges kommt noch obendrauf auf den Terror von Assads Sicherheitsapparat. Die Nachbarländer wie Jordanien sind Teil des Konflikts. Das wichtigste Ziel ist daher ein Stopp der Gewalt. Wenn Assad nicht so schnell zu stürzen ist, dann muss dieses Ziel eben mit dem Autokraten erreicht werden. So bitter das ist.
Vorbild ist ein anderer Krisenstaat, der sich in den vergangenen Jahren zum Positiven gewandelt hat: Simbabwe. So unterschiedlich das afrikanische Land und Syrien auch sind, in einem Punkt gibt es eine erstaunliche Ähnlichkeit: In beiden Ländern wehrt sich eine Elite gegen den Machtanspruch einer aufstrebenden Opposition – und zwar mit Angriffen und Repressionen. Doch während Syrien im Chaos versinkt, gelang es in Simbabwe, die Gewalt weitgehend zu stoppen. Und das, obwohl in der Hauptstadt Harare noch immer ein Mann am Ruder ist, der im Westen zu Recht als Bösewicht gilt: Robert Mugabe.
Der 88-jährige Greis steht seit 1980 an der Spitze des einstigen Vorzeigelandes. Nach liberaleren Anfangsjahren agierte er zunehmend autokratisch. Als sein Verfassungsentwurf 2000 in einem Referendum von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wurde, geriet seine Partei Zanu-PF in Panik. Die politische Elite sah die eigene Machtposition in Gefahr und reagierte mit Gewalt gegen Gewerkschaften und Oppositionsparteien. Viele Menschen starben, das Bruttoinlandsprodukt brach ein, während die Geldpolitik der Notenbank zu einer Hyperinflation führte. Die Wirtschaft kam weitgehend zum Erliegen.
Mugabe war als Präsident der Hauptverantwortliche. Keine Frage, es wäre besser gewesen, ihn zu stürzen. Das aber ging nicht, weil unter anderem der damalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki schützend seine Hand über Mugabe hielt, der in früheren Zeiten den ANC unterstützt hatte und zudem als Held im Kampf gegen den Kolonialismus galt.
Was also tun? Unter Vermittlung Mbekis einigten sich Mugabe und der Oppositionsführer Morgan Tsvangirai 2008 auf eine Machtteilung, die bis heute einigermaßen friedlich hält – mit Mugabe als Präsident und Tsvangirai als Premierminister. Keine Bilderbuchlösung, aber eine pragmatische Verbesserung: Die Gewalt nahm ab, und seit 2010 erholt sich auch die Wirtschaft wieder. Die EU will nun ihre Sanktionen gegen Simbabwe lockern, derweil der Bannfluch auf Mugabe bestehen bleibt. Der darf nach wie vor nicht nach Europa einreisen.
Es ist Bewegung in die verkrustete politische Landschaft Simbabwes gekommen: Die Parteien streiten sich über den Entwurf einer neuen Verfassung, mit der unter anderem die Macht des Präsidenten beschnitten werden soll. Zwar stößt der Entwurf bei den Falken unter Mugabes Leuten auf Widerstand. Doch der Reformflügel kann dieses Mal vielleicht sogar auf die Unterstützung des Patriarchen bauen. Mugabe sieht darin die einzige Möglichkeit, sich der Nachwelt als Retter Simbabwes zu präsentieren.
Sicher, Assad ist nicht Mugabe, Syrien nicht Simbabwe. Es ist unwahrscheinlich, dass der Westen in seiner Festlegung gegen Assad zurückrudert. Unwahrscheinlich auch, dass sich die syrische Opposition jemals an einen Tisch mit dem Autokraten setzt. Aber beim nächsten Konflikt besinnt sich der Westen vielleicht kreativerer – und erfolgreicherer Lösungen. Und der kommt bestimmt.

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