Sydney, 06. März, 22:15
Von Martin Benninghoff
Der „Brain Drain“ Italiens bekommt hier in Sydney ein Gesicht: Die Sprachschule, die ich derzeit besuche, ist voller Italiener, meist Männer in meinem Alter rund um die 30, die keine Perspektive für sich in Italien sehen. Habe mich mit mehreren unterhalten: Sie haben ihre Jobs verloren oder finden erst gar keinen, sind angewidert von Berlusconi und Grillo, sehen aber in Monti auch keine Alternative, verabscheuen das politische System ihres Landes und die Korruption. Einer – netter Kerl, klug und smart, studierter Ingenieur – wollte von einem Stundenlohn von 5 Euro in Rom nicht leben und verdient nun in Australien das Vierfache. Geht sechs Tage die Woche arbeiten und vier Tage vormittags Englisch pauken. Das ist absolut bewundernswert, was die Jungs hier schultern. Zumal Australien mit dem enormen Preisniveau, den teuren Flügen und der langen Strecke bis nach Hause vielleicht nicht unbedingt erste Wahl war?
Oder doch? Ein Italiener erzählte mir, wie lapidar er die Auswahl seiner neuen Wahlheimat getroffen hat, er hatte sich an einer Grafik in einer italienischen Tageszeitung orientiert. Darauf waren die Länder der Welt eingezeichnet und jeweils eingefärbt: grün für wirtschaftliche Stärke, gelb für ökonomischer Wackelkandidat und rot für „Lass die Finger davon“. Nur Kanada und Australien waren grün coloriert, Deutschland etwa wegen der Euro-Krise ein gelber Wackelkandidat. Und was machte der Italiener? Er entschied sich für Australien. „Ist wärmer als Kanada“, sagte er und grinste ob seines kümmerlichen Restes von Entscheidungsfreiheit in einer Phalanx von Zwängen und angeblichen Alternativlosigkeiten. Für Italien jedenfalls ist das eine ziemliche Schande: Die Jungs hier haben viel auf dem Kasten. Italien könnte sie gut zuhause brauchen.