Die neueste Kolumne zum Start der Koalitionsverhandlungen (erschienen bei „Opinion Club“, 23.10.2013).
Von Martin Benninghoff
Der linke Flügel der SPD sollte der Großen Koalition eine echte Chance geben. Vor allem im Regierungshandeln – und nicht in der Opposition – kann die Sozialdemokratie ihr Profil schärfen, wenn sie den Job gut macht. Eine Agenda gibt es schließlich auch dieses Mal
Die Kanzlerin hat ins Schwarze getroffen, als sie vor einigen Tagen der SPD bescheinigte, „man muss sie nicht mehr zum Jagen tragen“. Ja, es stimmt, die Sozialdemokraten müssen nicht mehr getragen werden, sie schleppen sich vorerst selbst in Richtung Große Koalition. Erst der Parteikonvent, jetzt Koalitionsverhandlungen, und dann dürfen die rund 470.000 SPD-Mitglieder die Daumen heben oder senken, je nachdem welche Ergebnisse letztlich am Ende der Verhandlungen stehen.
Bleibt zu hoffen, dass die SPD – namentlich die Parteilinke – diesen Verhandlungen eine echte Chance gibt. Gerne sprechen Sozialdemokraten, wann immer es um Integration und Migration geht, von „politischer Partizipation“ und „gesellschaftlicher Teilhabe“. Wer solche Formeln ernst nimmt, will eigentlich regieren. Wer solche Formeln ernst nimmt, muss regieren. Münteferings Ausspruch „Opposition ist Mist“ ist nicht falsch, allenfalls ergänzungsbedürftig: Opposition ist Mist, wenn sich die Chance zum Mitregieren bietet. Und das ist nun der Fall.
Allen Unkenrufen zum Trotz: Das Profil einer Partei lässt sich in einer Regierung mindestens so gut schärfen wie in der Opposition. Nur mit dem Unterschied, dass die Regierungspartei über die Mittel verfügt, die eigenen Positionen umzusetzen. In einer Koalitionsregierung kann immerhin ein Teil davon umgesetzt werden. Und eine sich gegenseitig korrigierende und justierende Koalition aus Union und SPD wäre sicherlich nicht das Schlechteste fürs Land.
Die Kernforderung der SPD nach einem gesetzlichen Mindestlohn scheint derzeit in einer Großen Koalition durchsetzbar. Auch eine Neuregelung der Leih- und Zeitarbeit sowie der Werkverträge ist greifbar sowie die Abschaffung der Optionspflicht und die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft. Gelingt es, wichtige Ressorts wie das Arbeitsministerium oder das Finanzressort mit einem fähigen Sozialdemokraten zu besetzen, könnte die Partei real- und symbolpolitisch eine eigene Handschrift in die Regierung einbringen und ihr Profil schärfen.
Zumal, die Konfliktlinien in einer Bundesregierung müssen nicht zwangsläufig entlang der Parteigrenzen verlaufen, schon gar nicht auf der Arbeitsebene. In innenpolitischen Integrationsfragen könnte sich die SPD mit dem vergleichsweise progressiven Unionsflügel um den mächtigen NRW-Unionslandeschef Laschet verbünden, in bestimmten sozialpolitischen Themenfeldern sogar mit der CSU. Eine pragmatische Integrationspolitik ist in einer Großen Koalition, die weniger polarisiert und ideologisiert, sogar wahrscheinlicher. Vieles davon wird sich ohnehin im Laufe der Regierungszeit ergeben, ein Koalitionsvertrag ist nur ein Startdokument, das den Rahmen vorgibt.
Berechtigt ist der Einwand, als Juniorpartner habe man es schwerer, den Regierungskurs mitzubestimmen. Allerdings, wer es nicht versucht, hat schon verloren. Man darf den Konflikt nicht scheuen und schon gar nicht die Offensive.
Doch bisher zeigt sich die SPD viel zu häufig ängstlich und duckmäuserisch. Jahrelang hat sich die Partei von der Union bei der Frage einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei am Nasenring durch die Manege führen lassen. So mancher CDU-Wähler mag zwar geklatscht haben, wenn die SPD erneut eine Koalition auf Bundesebene mit der Linkspartei abgelehnt hat. Aber hat dieser Wähler dann auch zur Belohnung sein Kreuz bei der SPD gemacht? Wohl kaum. Nur wer offen den produktiven Konflikt sucht, wird überzeugen. Nur wer der Union als Juniorpartner die Stirn bietet, wird eine eigene Handschrift entwickeln. Und das könnten die Wählerinnen und Wähler bei der nächsten Bundestagswahl durchaus goutieren.
Das bedeutet natürlich Kompromisse. Das Gerede von einem „Politikwechsel“ so mancher SPD-Granden ist deshalb in Wahrheit kaum noch zu ertragen. Der Begriff mag ja in Wahlkampfzeiten in Ordnung sein, danach aber vernebelt er nur die Sinne und den Blick auf das Mögliche. Wenn eine Partei mit großem Abstand zum Sieger nur zweitstärkste Kraft wird, kann sie nicht mehr von einem „Politikwechsel“ schwadronieren. Dann kann sie nur versuchen, ihre Positionen möglichst gut und stark und durchsetzungsfähig in einer Regierung einzubringen.
Eine starke SPD versucht, eine möglichst gute (und auch gut kommunizierte) Regierungsarbeit abzuliefern. Um sich in der Legislaturperiode für höhere Aufgaben – inhaltlich und personell – zu empfehlen. Dann klappt’s auch wieder mit dem Siegen in der Zukunft.