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Unterstützt Khorchide!

Eine Kolumne von Martin Benninghoff (erschienen: „Opinion Club“ am 13.11.2013)

Mouhanad Khorchide ist die Schlüsselfigur bei der Ausgestaltung eines zeitgemäßen Islam in Deutschland. Die muslimischen Verbände greifen ihn aber immer stärker an – weil ihnen nicht passt, was er sagt und schreibt.

Wer immerzu von „dem Islam“ spricht, hat sich nicht wirklich mit dem Thema beschäftigt. Wer noch immer glaubt, „der Islam“ sei pauschal ein Problem, verharrt tonnenschwer auf dem Holzweg. Warum? Weil er verkennt, wie sehr muslimische Geistliche und Theologen innerhalb des Islam um Interpretationen und das Religionsverständnis ringen. Auch hier heißt es: Moderne gegen Reaktionäre, Gemäßigte gegen Radikale, Realos gegen Fundis.

Ägypten beispielsweise hat da diesbezüglich viel zu bieten: Vor rund 20 Jahren ist der berühmte Reformmuslim Nasr Hamid Abu Zaid aus seinem Land rausgeekelt worden, weil seine Thesen so manchem Fundamentalisten gar nicht schmeckten. Und der Streit darum, wie viel Scharia eine neue Verfassung nun verträgt, zieht immer größere Kreise. Ähnliche Beispiele finden sich auch in anderen nordafrikanischen Staaten und in der Türkei.

Und neuerdings auch in Deutschland! Jawohl, selbst in Deutschland, wo so viele Zeitgenossen – Politiker, Publizisten, Forenschreiber – „den Islam“ für grundsätzlich unvereinbar mit demokratischen Werten halten. Was für ein Unsinn, wenn man sich die Debatten hierzulande anschaut.

Es geht um Mouhanad Khorchide. Der 42-Jährige bildet an der Universität Münster Islamlehrer aus. Das ist an sich schon ein Novum, denn die theologische Ausbildung an einer Universität ist in Deutschland erst ein paar Jahre alt, Khorchide also ist eine Art Pionier eines originär deutschen Islam. Seine Bedeutung kennt er, weshalb ihn die „taz“ neulich als „Sendungsbewussten“ beschrieb. Gemeint ist: Der Mann will gehört werden, nicht nur als Professor, sondern auch als eifriger Bücherschreiber, Vortragreisender oder Talkshowgast.

Konsens-Islam

Schlimm ist daran nichts, zumal sein Religionsverständnis gut in einen säkularen, aber durchaus religionsfreundlichen Staat wie Deutschland passt. Kurzum, Khorchide ist eine Schlüsselfigur bei der Justierung einer muslimischen Mehrheitsmeinung in Deutschland. So wie die EKD einen Konsens-Protestantismus vertritt, so arbeitet Khorchide an einem Konsens-Islam, der sich einfügt, ohne glattgeschliffen zu werden. Das mag im Detail angreifbar sein, aber im Kern ist das eine gute Entwicklung.

Seine wichtigsten Botschaften: Der Glaube ist kein Katalog von Regeln, sondern er hat eine moralisch-ethische Botschaft, die immer wieder an die Zeit angepasst werden muss. Er wendet sich gegen eine wortwörtliche Auslegung des Islam, wie sie Salafisten und andere Fundamentalisten fordern. In seinem aktuellen Buch „Scharia – der missverstandene Gott“ widmet er dem Salafismus ein Kapitel, und er geht darin dessen naiv-primitive Islamauslegung offensiv an, indem er fordert, den Koran im Kontext seiner Entstehungszeit zu sehen. Das bedeutet, jeden Vers auf seine ureigene Botschaft zu untersuchen – und diese Botschaft in die Jetztzeit zu übertragen. Im Grunde ist das das Religionsverständnis, das mittlerweile im Christentum vorherrscht – nach Jahrhunderten wortwörtlicher Auslegung (die es bei den Evangelikalen und bei etlichen katholischen Sektierern noch immer gibt).

Natürlich bringt ein solcher Mann die Fundamentalisten und Salafisten auf die Palme. Aber, wenn Publizisten wie Bassam Tibi schon vor 20 Jahren von einem „Euro-Islam“ mehr als Wunschtraum denn als reale Option geschrieben haben, so ist Khorchide heute einer derjenigen, die imstande sind, den Traum in die Wirklichkeit zu übersetzen (oder zumindest dabei zu helfen). Und deshalb sollte man ihm zur Seite springen, wenn es Ärger gibt.

Kampf um Deutungshoheit

Den gibt es nämlich derzeit. Khorchide wird angegangen von den islamischen Verbänden, die – ähnlich wie bei den christlichen Lehrstühlen – ein Wörtchen mitzureden haben in den vier Zentren der Islamischen Theologie in Münster/Osnabrück, Tübingen, Frankfurt, Gießen (über eine Beirats-Konstruktion befinden sie über die Lehrerlaubnis künftiger Lehrer mit). Den Verbänden, die allesamt eine mehr oder minder reaktionäre, konservative bis fundamentalistische Lesart des Islam vertreten, ist der Islam Khorchides zu lasch, zu westlich, zu sehr angelehnt an die Begrifflichkeiten des Christentum. Khorchide selbst ist kein Leisetreter, er spricht den Verbänden (u.a. Zentralrat der Muslime und Ditib) die theologische Kompetenz ab, was die Gemüter erst recht erhitzt.

Von solchen unnötigen Tänzchen einmal abgesehen: Khorchide und seine Mitstreiter halten den Schlüssel in der Hand, die islamischen Strömungen in Deutschland zu reformieren. Seine Bildungsarbeit und seine Pionierarbeit bei der Erstellung eines islamischen Lehrplans sind von unschätzbarem Wert, nicht nur für Deutschland: Auch in arabischen Staaten und der Türkei existieren mehr oder minder große Reformbewegungen, die genau hinschauen, was im Einwanderungsland Deutschland passiert.

Khorchide muss deshalb verteidigt werden. Wenn ihn tumbe Salafisten wie Pierre Vogel offen im Internet anpöbeln, ihn als „Ungläubigen“ brandmarken und halbwegs offen zum (wie auch immer gearteten) Abschuss freigeben, dann muss er beschützt werden. Und all diejenigen, die sich sonst immer laut über Muslime beklagen, sollten hier einmal konstruktiv aktiv werden – und sich im Internet, in Leserbriefen vor und hinter diesen Mann stellen.

Was aber genauso wichtig ist: Die Verbände dürfen nicht weiter an Macht und Einfluss gewinnen. Eine konstruktivere Islampolitik würde die theologische Ausbildung der Muslime durch Professoren wie Khorchide stärken und ansonsten mit den lokalen Moscheegemeinden vor Ort statt mit den zentralisierten, teils aus dem Ausland gesteuerten und eher politisierten Großverbänden zusammenarbeiten.

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