Kolumne beim „Opinion Club“ (4.12.2013)
Der Koalitionsvertrag bringt kaum etwas Neues in der Zuwanderungspolitik. Das Papier hätte man sich bei diesem Thema getrost sparen können
Von Martin Benninghoff
Ein Koalitionsvertrag muss das Rad nicht neu erfinden, und auch die neueste Ausgabe in Schwarz-Rot ist da keine Ausnahme. In der Sozialpolitik bietet das Papier aber durchaus Neues. Und auch wenn der Mindestlohn nur langsam kommt – er kommt. In der Integrations- und Asylpolitik jedoch sind die Formelkompromisse von CDU, CSU und SPD eine herbe Enttäuschung. Mutlos, uninspiriert, mit kleinen Ausnahmen kaum das Druckpapier wert. Schade – eine vertane Chance.
Schon im Ton ist der Passus zur Zuwanderung im Vertrag gestrig und wenig bis gar nicht vorwärtsgewandt. Da ist von „Willkommenskultur“ die Rede, ganz so, als müssten alte und mittlerweile überwunden geglaubte Schlachten um die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht, erneut geschlagen werden. Forderungen nach einer Begrüßungs- und Willkommenskultur gehören schließlich schon länger zum absoluten Pflichtprogramm der deutschen Integrationspolitik: Sie haben ihre Berechtigung nach wie vor in den Broschüren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, keine Frage, aber in einem Koalitionsvertrag? In einem Papier, das die dringlichen Aufgaben für die nächste Legislaturperiode, die nächsten vier Jahre, umreißen soll? Wohl kaum.
Etikettenschwindel doppelte Staatsbürgerschaft
Oder die mit viel Tamtam publizistisch begleitete Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft. Immerhin, die Optionspflicht, wonach sich in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern bis zum 23. Lebensjahr für oder gegen die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden mussten, soll abgeschafft werden. Das ist gut – aber auch der kleinste gemeinsame Nenner der Großkoalitionäre.
Von echter doppelter Staatsbürgerschaft kann keine Rede sein, das Staatsangehörigkeitsrecht bleibt ja ansonsten so wie es ist. Es drängt sich der Eindruck auf, dass dieser Etikettenschwindel der SPD ermöglichen soll, einen Erfolg beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft verkünden zu dürfen. Mehr als ein Etikett aber ist es nicht.
Das wäre ja alles in Ordnung, wenn es in anderen Bereichen der Zuwanderungspolitik Aufbrüche verkrusteter und veralteter Regelungen geben würde. In der Asylpolitik zum Beispiel: Schwarz-Rot will die Residenzpflicht für Asylbewerber lockern. Flüchtlinge sollen sich künftig wenigstens im ganzen Bundesland bewegen dürfen. Das ist sinnvoll, nur: Es ist nichts Neues. Mit Ausnahme Bayerns und Sachsens ist das längst schon Alltag.
In Zukunft sollen Asylbewerber nach drei statt neun Monaten arbeiten dürfen. Auch das ist sinnvoll, damit keiner zur Untätigkeit verdammt auf der Straße stehen muss. Nur, die Vorrangprüfung soll bleiben, die Arbeitsämter weiter prüfen, ob die freie Stelle nicht doch durch einen EU-Bürger besetzt werden kann. In der Realität kann daraus schnell ein faktisches Arbeitsverbot werden.
Rühmliche Ausnahme ist die angestrebte Neuregelung des Bleiberechts: Geduldete sollen künftig eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, wenn sie für ihren Lebensunterhalt sorgen können.
Eines ist klar: Ein Koalitionsvertrag ist ein Kompromiss. Es hat keinen Sinn zu beklagen, dass sich die eine Seite nicht zu 100 Prozent durchgesetzt hat. Doch dieser Koalitionsvertrag wird die Integrations- und Zuwanderungspolitik so gut wie gar nicht weiterentwickeln. Weder ein Schritt vor noch ein Schritt zurück. Die Frage bleibt nur: Warum dann nochmal so wortreich aufschreiben? Die Zeiten bloßer Symbolpolitik sind vorbei. Jetzt zählen eigentlich konkrete Verbesserungen.