Neueste Kolumne bei „Opinion Club“ (05.03.2014)
Die Debatte um den doppelten Pass ist an Engherzigkeit kaum zu überbieten. Dabei wäre jetzt die Chance, etwas souveräner der oft geforderten Willkommenskultur Substanz zu verleihen
Von Martin Benninghoff
Wer sein Image aufpolieren möchte, sollte sich ab und an großzügig zeigen. Nicht zu generös, das könnte auch etwas großkotzig wirken. Aber wer gelegentlich spendabel statt nur sparsam auf seine Mitmenschen zugeht, erntet Anerkennung und Zuwendung. Wie der Junge, der dem Mädchen etwas von seinen liebgewonnen Gummibärchen abgibt, und der sich der (positiven) Erinnerung des zur Frau gewordenen Mädchens noch Jahre später sicher sein kann. Der Großzügige wirkt langfristig anziehend, aber schon kurzfristig stellt sich das Bild von großer Souveränität beim Betrachter ein: Der Großzügige, das scheint ein Mensch zu sein, der in sich ruht.
Deutschland hätte allen Grund, großzügig zu sein. Das Land ist – nach allem was wir heute wissen – gut durch die Krise gekommen. Das politische System ist trotz radikaler Kräfte an den Rändern im Mittelbau sehr stabil. Und es hat grandiose Integrationsleistungen vollbracht, wenn auch gelegentlich mit viel Reibung und Ächzen im Gebälk: angefangen von den Weltkriegsflüchtlingen aus den verlorenen Ostgebieten über die ersten Gastarbeitergruppen und Russlanddeutschen bis hin zur gigantischen Integrationsleistung, die beide deutsche Staaten in den Jahren nach ihrer Wiedervereinigung geschafft haben.
Und doch zeigt sich dieser an sich so souveräne Staat furchtbar unsouverän bei der Einbürgerung seiner jungen Einwanderernachkommen. Der aktuelle Streit zwischen der Union und Rot und Rot-Grün – und, wie zu erwarten war, auch zwischen der SPD und der SPD – offenbart, dass der Begriff „Willkommenskultur“, den jeder Landrat mittlerweile mühelos im Mund führt, eine leere Formel ist. Zumindest dann, wenn nicht bald eine leichte und unbürokratische Methode gefunden ist, wie man den in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern den doppelten Pass geben kann, ohne viel Aufhebens und politischen Streit zu provozieren.
Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, die doppelte Staatsbürgerschaft nur ausländischen Kindern zu gewähren, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Das ist okay im Grundsatz. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein wollen über eine Bundesratsinitiative erreichen, dass alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern den doppelten Pass bekommen, selbst wenn sie nicht hierzulande groß geworden sind. Die Initiative sehen andere SPD-regierte Länder übrigens kritisch, durchaus zu recht. Es ist schon vernünftig, dass das Staatsbürgerrecht bestimmte Grenzen kennt. Eine Grenze kann sein, dass Kinder tatsächlich einige Zeit auch in Deutschland gelebt haben, bevor sie den doppelten Pass erhalten können.
Nur, darum geht es letztlich überhaupt nicht. Einwanderer verstehen Grenzen, die der Staat setzt. Aber der politische Streit darum ist unwürdig und offenbart den Kleingeist deutscher Integrationspolitik. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zum Beispiel sagt, er sei offen für Vorschläge, wie das Kriterium, „wann jemand in Deutschland aufgewachsen ist“, möglichst ohne Bürokratie geprüft werden soll. Ein Schulabschluss als Nachweis könnte reichen.
Gut. Aber reicht das, die Bürokratie kleinzuhalten zu wollen? Reicht das, ein Signal der eigenen Arbeitsvermeidung zu setzen? Wäre es nicht besser, mal offen zu sagen, dass die Bundesregierung in einer doppelten Staatsbürgerschaft eben keinen Loyalitätskonflikt zwischen einer ersten und einer zweiten Heimat mehr sieht? Dass es eben möglich und vor allem die Realität tausender junger Einwanderer ist, zwei Identitäten zusammenzubringen zu einer? Willkommen in 2014.
Das sollte möglich sein. Ein schönes Signal wäre es allemal, wenn sich die Bundesregierung in diesem Punkt zusammenraufen und auf die Einwandererkinder zugehen würde: Den doppelten Pass bekommt jeder, der in Deutschland geboren wurde und eine bestimmte Zeit auch hier gelebt hat. Punkt. Die Grenzen sollten wir dabei nicht zu hoch setzen. Punkt. Wir freuen uns, dass das so reibungslos klappt. Punkt. Und wir wissen, dass Ihr Euch als Teil Deutschlands fühlt, auch wenn Ihr den anderen Pass nicht abgeben wollt, um Eure Bindung an die Heimat Eurer Eltern und Großeltern nicht zu verlieren. Punkt. Wir vermuten dahinter bestimmt keine mangelnde Bindung an Deutschland. Punkt. Der Ton macht eben die Musik.
Die Parteitaktiker aber verhindern einen großzügigen Umgang mit den für Deutschland wichtigen Einwandererkindern: Die SPD hatte im Wahlkampf ihrer Klientel versprochen, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen. Der Formelkompromiss im Koalitionsvertrag konnte nachher kein Sozialdemokrat als Erfolg oder gar Umsetzung des Wahlversprechens verkaufen. Deshalb nun der Ländervorstoß, um das missglückte Manöver nachträglich zu retten. Und die Union ringt hart mit den Rechtsaußentendenzen an den Rändern ihres Wahlvolks, die bei der Europawahl ihre Stimmen der AfD oder irgendwelchen anderen Rechtsparteien geben könnten. Da wird die doppelte Staatsbürgerschaft zum Politikum, obwohl sie dazu gar nicht taugt. Ein souveränes Land sollte es eigentlich nicht nötig haben, Loyalitätsbekundungen seiner Einwandererkinder zu verlangen. Ein souveränes Land sollte sich auch souverän zeigen. Das wäre eine gelebte Willkommenskultur.
Martin Benninghoff, Journalist in Hamburg und Berlin, ist Co-Autor des Buches „Aufstand der Kopftuchmädchen“, das sich mit der Reform des Islam und der Integration in Europa beschäftigt, und Redakteur bei „Günther Jauch“ (ARD). Seine OC-Kolumne MyGration erscheint jeden zweiten Mittwoch.