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Die AfD erinnert an die frühere NPD

Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (04.02.2015)

Von Martin Benninghoff

Nein, wir holen nicht „Nazi-Keule“ raus. Aber: Der nationalkonservative, islamophobe Teil der AfD ist weder honorig noch professoral, sondern hat Ähnlichkeiten mit der NPD der 1960er Jahre

Wehe, wer NPD und AfD in einem Atemzug nennt. Wehe, wer aufzeigt, dass NPD und AfD in Wahlkämpfen teils fast identische Slogans plakatierten (NPD: „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“; AfD: „Wir sind nicht das Weltsozialamt“). Der setzt sich dann dem Vorwurf aus, die AfD in eine rechte Ecke zu drängen. Doch drängen muss sie dahin keiner, der rechte Flügel der Partei tut dies selbst, zieht die liberaleren Strömungen der AfD mit und erinnert damit an längst vergessen geglaubte Zeiten, als die NPD einen Lauf hatte und reihenweise in deutsche Landtage einzog.

Vorweg gesagt, hier geht es nicht um einen Vergleich der AfD mit der heutigen NPD: Die AfD ist zweifellos eine rechtsstaatliche Partei, und ihr wirtschaftsliberaler Zweig muss anders bewertet werden als der islamophobe und mehr oder minder verklausuliert rassistische rechte Flügel. Aber: Dieser rechte Flügel um Funktionäre wie Alexander Gauland, Konrad Adam oder auch Frauke Petry bedient sich Taktiken, die einst der NPD zum Aufstieg verhalfen.

Es ist sinnvoll, die NPD der Sechziger Jahre einmal unter die Lupe zu nehmen: Die zentrale Figur Mitte und Ende der Sechziger-Jahre war der Vorsitzende Adolf von Thadden, der sich und seiner Partei einen betont konservativen, „gutbürgerlichen“ Anstrich gab und stets „Vernunft“ und „Wahrheit“ für sich reklamierte. Nein, ein primitiver Rechtsradikalismus der heutigen NPD war das freilich nicht; es war ein geschickter, mit Ressentiments spielender „mitfühlender“ Nationalismus, der im Kern auf eine abgrenzende Definition des „guten Deutschen“ abzielte, sich aber fernhielt vom Nationalsozialismus, mit dem im kriegsversehrten Deutschland kein Blumentopf mehr zu gewinnen war.

Zulauf von der Mittelschicht
Von Thadden führte die NPD bis 1969 in sieben Landtage, ihr Spitzenergebnis holte die Partei in Baden-Württemberg mit 9,8 Prozent. Zum steilen Aufstieg trugen das sich eintrübende Wirtschaftswunder und die erste Große Koalition bei. Wenn man sich die Wähleranalysen von AfD und damaliger NPD anschaut, fällt auf: Regen Zulauf bekommen beide von Mittelschichtsleuten, die bis dato eine der Volksparteien gewählt haben. Abstiegsängste trieben damals Teile der Mittelschicht in die Arme der NPD, Abstiegsängste treiben heute Teile der Mittelschicht zu AfD und/oder Pegida.

Von Thadden kreierte einen im Grunde damals schon globalisierungskritischen Kurs, den er als „konservativ“ und „bewahrend“ verbrämte, gerichtet gegen eine angeblich „zersetzende Umwelt“, in der sich Familienverbände ebenso wie Werte und Tugenden auflösten. Beliebt war die Partei vor allem bei älteren Männern, die sich mit den gewandelten Rollenbildern so gar nicht identifizieren konnten. Ein Schelm, wer hier Gemeinsamkeiten mit der AfD heraus hört. Fast schon tragisch, dass selbst in den 1960er Jahren schon die gleichen Sprüche von angeblichem Werteverfall und Auflösung von Familienstrukturen geklopft wurden wie heute. Der Spruch „Früher war alles besser“ wird vor diesem Hintergrund noch absurder, wenn man bedenkt, dass früher als früher offenbar noch alles viel besser gewesen sein muss.

Die „Nazi-Keule“ muss man da gar nicht schwingen. Es geht nicht um Leute, die sich Hitler zurückwünschen oder Antisemiten sind (die mögen auch darunter sein, sind aber nicht entscheidend). Diese Leute lassen sich tatsächlich lieber von der extremen NPD heutiger Tage ansprechen. Es geht um Leute, die einen diffusen Protest wählen, weil sie unzufrieden sind und sich vor Modernisierung und Liberalisierung – kurzum: vor der Auflösung von Gewissheiten – fürchten. Das ist nichts Neues: Der Soziologe Ralf Dahrendorf identifizierte in den 1960er Jahren unter den NPD-Sympathisanten einen „vagen undeutlichen Protest gegen die Politik der etablierten Parteien“ – es klingt wie ein Satz aus einem der Analyseversuche aus der Weihnachtszeit zum Thema Pegida.

Von Thadden hatte das damals erkannt: Er wusste, revanchistische Ostpolitik interessierte vielleicht nur ein paar Vertriebene oder Altnazis, die von einem Großdeutschen Reich träumten. Die Masse allerdings fesselte man so nicht. Also malte er ein Bild angeblich korrumpierter Berufspolitiker („zu hohe Abgeordnetendiäten“) und beklagte die „langhaarigen Chaoten“, also die politisierten Studenten, die manchem „braven“ Bürger damals Sorgen um Sicherheit und Ordnung bescherten. Ausländer gab es damals noch so wenige, dass sich Agitation gegen sie nur am Rande lohnte (aber auch das setzte gegen „die Gastarbeiter“ langsam ein). Von Thadden bot den Menschen und ihren „berechtigten Sorgen und Ängsten“ das Gegenbild eines „Konservativen“, der „erhält und bewahrt“ und für die „inneren Werte“ statt einer „zersetzenden Umwelt“ einstehe. Heute wäre von Thadden sicherlich ein überzeugter „Islamkritiker“ und würde unentwegt Heinz-Buschkowsky- oder Henryk-M.-Broder-Lektüre empfehlen.

Andere Vokabeln, gleicher Inhalt
Mögen sich die Vokabeln teilweise geändert haben, diese Taktik kommt einem aus der Gegenwart sehr bekannt vor: Wenn ein AfD-Spitzenmann wie Alexander Gauland von „berechtigten Ängsten und Sorgen“ schwadroniert und zugleich den Zuzug von Migranten aus dem Nahen Osten in Frage stellt und ihnen die Einreise verweigern will, gibt er ahnungslosen Bürgern Futter, die zwar keinen Kontakt zu Migranten haben, aber gerade deshalb anfällig für Sündenbock-Metaphern sind. Der Migrant aus dem Nahen Osten wirkt da wie ein Schreckgespenst, das in den schlimmsten Alpträumen herumspukt.

AfD-Chef Bernd Lucke widersprach Gauland zwar und verwies auf die Parteiprogrammatik, wonach Herkunft keine Rolle spiele. Zugleich aber würdigte er Gaulands Einlassung geschickt als Beitrag zur Debattenkultur einer wahrhaft demokratischen Partei, in der jeder seine Meinung sagen dürfe, auch wenn er selbst anderer Meinung sei. Ein geschickter Assoziationsrahmen tut sich auf, und doch kann sich keiner beschweren, weil alles legal und verfassungsgemäß ist. Luckes Noch-Ko-Sprecher Konrad Adam steht dem nicht nach: Mit seiner Forderung nach einem Einwanderungsgesetz kanadischer Prägung eckte er ja nicht wirklich an (das ist ja eine risikolose Forderung, die andere Parteien wie die FDP auch anbieten); allerdings garnierte er den Vorschlag jüngst, indem er Einwanderungspunkte nach Religionszugehörigkeit forderte. Das ist natürlich pauschal gegen muslimische Einwanderer gerichtet.

Summa summarum, mal eine Bemerkung von Adam, mal eine Tirade von Gauland, mal ein Treffen von Frauke Petry mit Dresdner Pegida-Demonstranten: Die AfD schafft sich so einen Referenzrahmen, der mühelos sich bürgerlich gebende Ausländerfeinde anzieht, denen die NPD zu blöde und dumpf ist. Lucke weiß das. Er weiß, dass sein Leib- und Magenthema – die Euro-Krise – für viele Menschen zu kompliziert und wenig zugänglich ist, auch wenn er es – und die Steuerpolitik – auf dem Parteitag wieder stärker ins Zentrum rücken konnte. Er hält sich zwar selbst mit homophoben und fremdenfeindlichen Tönen zurück, lässt sie aber, wie sagt man: geschehen. Das Handwerk eines geschickten Populisten, um diesen abgenudelten Begriff inhaltlich zu füllen.

Bürgerliches Make-up

Lucke weiß um das Risiko eines Rechtsrucks der AfD, der sich nicht mehr kontrollieren lässt. Das bürgerliche Make-Up muss da möglichst wasserfest sein und darf sich nicht beim ersten Regen abwaschen, wie seinerzeit bei der NPD: Die Partei verlor an Bedeutung, als sie in der Ära nach von Thadden von Rechtsradikalen übernommen wurde, die aus ihrer nationalsozialistischen Gesinnung kein Geheimnis machten: Gerhard Frey, später Udo Voigt (der Adolf Hitler für einen großen Staatsmann hält) oder Udo Pastörs. Später sollte von Thadden weinerlich bemerken, dass die NPD nicht mehr dieselbe sei wie zu seiner Zeit. Wohl war. Aber er hatte den Grundstein für diese fatale Entwicklung gelegt.

Das muss der heutigen AfD-Führung klar sein! Sie muss sich von den rechtsnationalen Ausländerfeinden trennen. Und das wird sie nur tun, wenn man ihr die bürgerliche Maske argumentativ und in der sachlichen Auseinandersetzung vom Gesicht reißt. Auch hier lohnt der Blick zurück zur NPD:

1967 fand in einem Hörsaal der Universität Hamburg eine bemerkenswerte Begegnung statt: Von Thadden wagte sich in den überfüllten Saal mit lauter linksmotivierten Studenten, um sich mit der Crème de la Crème der deutschen Intellektuellen zu streiten. Unter anderem waren der Verleger Gerd Bucerius dabei und der liberale Soziologe Ralf Dahrendorf. Die Leitung übernahm Fritz Bauer, hessischer Generalstaatsanwalt, als Jude von den Nazis verfolgt und als Sozialdemokrat mit Kurt Schumacher aus dem Exil zurückgekehrt. Bauer hatte geholfen, Adolf Eichmann zu finden und nach Israel ausliefern zu lassen. Danach hatte er die Auschwitz-Prozesse mitangestoßen.

Wenn man sich heute das Video anschaut – der NDR übertrug die Debatte damals -, dann wird man Zeuge einer interessanten, in der Sache klaren und unverschwurbelten Auseinandersetzung mit den kruden Thesen des NPD-Chefs von Thadden. Oftmals wird heute so getan, als seien die „schwarz-weißen“ Jahre der Bundesrepublik vor allem eine Zeit der Biedermeierei und öffentlichen Tabus gewesen. In Sachen Debattenkultur aber stimmt das keineswegs: Von Thadden wird inhaltlich unter die Lupe genommen und mit scharfen Argumenten entwaffnet. Obwohl sogar damals ein Parteienverbot diskutiert wurde, hat die offene Auseinandersetzung mit der NPD dazu geführt, dass die Partei nach und nach an Glanz für Wähler verlor: Bei der Bundestagswahl 1969 schaffte sie es – entgegen den Voraussagen – nicht in den Bundestag.

Vielleicht sollte dieses Video aus den Archiven den Weg in die Parteizentralen von CDU und SPD finden, deren Wortführer sich einer sachlichen Auseinandersetzung mit der AfD oder auch Pegida (oder wie diese Bewegungen in Zukunft heißen werden) bislang weitgehend entziehen und die Rechtsnationalen so eher größer machen. Wie man das machen kann, sieht man hier.

Martin Benninghoff, Journalist in Berlin und Redakteur bei „Günther Jauch“, schreibt seine OC-Kolumne “Grenzgänger” jeden zweiten Mittwoch.

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