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Lasst Edathy in Ruhe

Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (04.03.2015)

Von Martin Benninghoff

Im Netz ergießt sich der Volkszorn über den ehemaligen Politiker Sebastian Edathy. Manches ist verständlich, aber irgendwann ist dann auch mal gut

Eines ist doch klar: Krisen-PR-Manager wird dieser Sebastian Edathy wohl nie werden. Er macht derzeit so ziemlich alles falsch, was man nur falsch machen kann in seiner Situation. Er schlägt um sich, reagiert auf jede Provokation und kann einfach die Füße nicht still halten, obwohl er genau das jetzt eigentlich tun sollte: ruhig sein und abwarten, bis sich das öffentliche Interesse nach der Einstellung seines Kinderporno-Prozesses gelegt hat.

Ein wenig erinnert er an den Lieutenant Frank Drebin aus der „Nackte Kanone“-Trilogie, der vor dem flammenden Inferno eines brennenden Hauses steht, wild herumfuchtelt und den entgeisterten Zaungästen entgegen ruft: „Es gibt hier nichts zu sehen, Leute!“

Die gucken natürlich umso mehr hin.

Edathy macht das auf seine eigene Art, indem er sich ins Abseits postet. Das ging schon zügig nach der Einstellung des Verfahrens los, als er sinnloserweise bei Facebook darauf hinwies, dass ein „Geständnis ausweislich meiner heutigen Erklärung nicht vorliegt“. Formaljuristisch mag das stimmen. Nur der Eindruck, der entstand, war ein anderer: Der empfindet keine Reue.

Das passt zu seinem Verhalten, das er in den vergangenen Tagen und Wochen mehrfach an den Tag legte. Nur noch ein Beispiel: etwa als er einen höflich formulierten Anfrage-Brief von „Zeit“-Journalisten an ehemalige Schulfreunde Edathys öffentlich postete – mit dem erbosten Hinweis, das sei „Ausforschung“. Nein, das war keine „Ausforschung“, das war eine völlig legitime Recherchemethode, Leute, die Edathy kennen, höflich zu fragen, ob sie über ihn reden wollen. Sie können ja ablehnen oder sich gar nicht erst melden.

Wenn Edathy nicht mittlerweile alles egal ist – und darauf lassen seine Bemühungen und die seines Anwaltes um eine Einstellung des Verfahrens schließen -, dann sollte man Edathy ein Stück weit vor sich selbst schützen. Vor seinen Postings, unbedachten Äußerungen und vorschnellen Reaktionen. Was kaum zu bewerkstelligen sein wird, weil Edathy beratungsresistent scheint und nach allen Berichten eher einzelgängerisch agiert. Er wirkt manchmal wie ein angeschossenes Tier, das, in die Ecke gedrängt, in alle Richtungen faucht und kratzt.

Der Volkszorn jedoch, der sich nun im Netz über Edathy ergießt, macht die Sache vor diesem Hintergrund eher schlimmer. Manche vergleichen Edathy mit dem Fußballer Marco Reus, der wegen Fahrens ohne Führerschein zu einer Geldstrafe von 540.000 Euro verurteilt worden ist. Die 5000 Euro, die Edathy zu zahlen hat (der Betrag ist keine Strafe, da er ja nicht verurteilt wurde), erscheinen da vielen als Farce; allen voran Til Schweiger, der schon vor einigen Jahren bei „Markus Lanz“ einen Internetpranger für Sexualstraftäter forderte. Bei Facebook ätzte er: „Er bezahlt 5000 und Reus 500.000! Irgendwas stimmt hier nicht…! Ich bin wütend…!!!“ Bis Dienstagabend wurde das 15.000 Mal geteilt.

Besonders süffisant nimmt sich der SPD-Politiker Ralf Stegner Edathy vor. Nachvollziehbarerweise fordert er Edathys Rausschmiss aus der Partei, um dann gleich hinterher zu schieben: „Sozialdemokratische Führungskräfte müssen Vorbildfunktion haben.“ Ja, natürlich…aber wer würde denn noch auf die Idee kommen, Edathy ein Führungsamt innerhalb der SPD anzubieten? Das ist rhetorischer Popanz, ein Abarbeiten am Parteikollegen, der sowieso schon am Boden liegt. Eine Online-Petition im Netz gegen die Einstellung des Edathy-Verfahrens hat bis Dienstag in kürzester Zeit 60.000 Unterschriften gesammelt. Könnte es sein, dass sich Stegner opportunistisch auf eine Meinung setzt, die gerade mehrheitsfähig ist?

Vielleicht zeigt das Ganze nicht nur den ruinösen Absturz eines ehemaligen Politikers. Der Fall Edathy spiegelt auch unser eigenes Verhalten wider, prüft uns selbst, wie wir mit Menschen in Grenzbereichen umgehen. Juristisch wird er nicht belangt, er ist nicht vorbestraft, und für ihn gilt weiter die Unschuldsvermutung. Aber moralisch? Der Richter sagte am letzten Prozesstag, jeder Mensch habe eine zweite Chance verdient. Wenn wir das ernst nehmen, dann dürfen wir ihn auch moralisch nicht für alle Zeiten verknacken, selbst wenn er es einem durch seine Äußerungen und seine Probleme, öffentlich Reue zu zeigen, sichtlich erschwert.

Edathys gesellschaftliche Resozialisierung beginnt diese Woche, und sie kann lange dauern. Er wird Probleme haben, beruflich wieder Fuß zu fassen, die bürgerliche Existenz ist weitgehend zerstört. Juristisch ist er glimpflich davongekommen, und so geht es Tausenden im Jahr, deren Verfahren eingestellt wird. Eine Debatte darüber, ob der Rechtsstaat mit diesem Konstrukt der Verfahrenseinstellung gut fährt oder nicht, wäre da durchaus sinnvoll. Aber: Diese Debatte muss nun nicht auf dem Rücken eines Mannes ausgetragen werden, der ohnehin schon am Boden liegt.

Martin Benninghoff, Journalist in Berlin, schreibt die OC-Kolumne “Grenzgänger” jeden zweiten Mittwoch.

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