Welcome back aus der Sommerpause! Erste Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (12.08.2015)
Von Martin Benninghoff (Fotos: Claus Teutenberg)
Eine Bundeskanzlerin im Urlaub: Im Südtiroler Bergort Sulden führte die Regierungschefin vor, wie sie ihr Image generiert. Gespenstisch effektiv, ein echter Selbstläufer.
Journalisten im notorisch aufgeregten Berlin tun gut daran, ab und an irgendwohin zu fahren, wo andere Werte als die der Nachrichtenwelt gelten: nach Südtirol zum Beispiel. Ruhe, Sonne, Almkäse, Wandern, Bergsteigen, Gletscher und abends auf der Hütte ein Bierchen – fertig ist das Rundumwohlfühlpaket. Fernab von immer neuen Wasserstandsmeldungen in Sachen Griechenland-Rettung oder schrecklichen Live-Tickern zu irgendwelchen journalistischen Sauen, die wieder durchs große Bundes-Dorf Berlin getrieben werden.
Politiker allerdings tun offenbar mindestens genauso gut daran. In diesem Jahr hatte ich mir ein stilles Bergdorf ausgesucht, das sich die Bundeskanzlerin auch (mal wieder) ausgesucht hatte: Sulden, Südtirols höchstgelegener Ort. Ich hätte es wissen müssen, schließlich ist Angela Merkel dort häufig zu Gast. Sie schätzt, so erzählt man sich im Dorf, die Ruhe und die Abgeschiedenheit dieses Ortes, der an drei Seiten von Dreitausendern umrahmt wird, allen voran von Ortler und Königsspitze. Und sie schätzt die Bodenständigkeit des gemütlich-holzvertäfelten Vier-Sterne Hotels „Marlet“, das am Waldrand etwas abseits gut von den Sicherheitsbeamten abgeschirmt werden kann.
Die Kanzlerin und ihr Ehemann Joachim Sauer konnten den frequentierten Bergsteiger-Ort, in dem sich im Sommer ambitionierte Hochtourengeher genauso wie Familien mit Kindern und Liebhaber beschaulicher Almwege tummeln, binnen weniger Tage in einen Merkel-Fanclub verwandeln – ohne etwas Außergewöhnliches zu tun. Die knapp zwei Merkel-Wochen in Sulden führten die hocheffektive Beliebtheitspolitik der Kanzlerin vor, die offenbar bestens funktioniert, ohne dass Merkel viel sagen oder gar tun muss.
Alles begann mit einer Nachricht: Sie ist da. Das zumindest wusste die eigene Hotelchefin zu berichten, eine Einheimische. Auch die örtliche Lokalzeitung wies auf die Ankunft der Kanzlerin hin und machte zugleich klar, dass die Vielbeschäftigte Ruhe und Erholung suche. An der Dorfstraße, die unterhalb des Merkel-Hotels entlang führt, sah man fortan Wanderer oder ausgestiegene Autofahrer, die mit ihren Zeigefingern und Kameraobjektiven in Richtung der Hotelterrasse fuchtelten. Da wohnt sie, die Kanzlerin. Und natürlich blieb man ihr fern, schließlich wolle die hart arbeitende Regierungschefin, so sagte man, ihre Ruhe.
Mit Kappe im Sessellift
Das hat Merkel zwar selbst nie gesagt, aber die Dorfbewohner wussten davon zu berichten. Der Seilbahnführer berichtete Tage später ungefragt, dass die Kanzlerin bereits den Gletscherweg unterhalb des Suldenferners gegangen sei, und dass sie das Schöneck (3128 Meter) bestiegen habe mit einem Abstecher zur schönen Kälberalm. Man kam unweigerlich ins Staunen: Wow, wie gut trainiert sie doch sein müsse, obwohl sie ja nicht mehr die Jüngste ist. Ein Bergführer, der mit ihr regelmäßig in die Berge geht, bestätigte später, mit welcher Ruhe und Gelassenheit die Kanzlerin in den Bergen unterwegs sei. Wenn ein Bergführer – selbst an Ruhe und Gelassenheit kaum zu überbieten – Derartiges attestiert, dann muss wohl was dran sein. Denkt man, ob man will oder nicht.
Dazu diese Bodenständigkeit! Wie sie mit Kappe im Sessellift saß (ein Foto hatte mittlerweile die Runde gemacht). Diese Normalität (sie wurde auf der Terrasse des Hotels sitzend gesichtet, während ihr Mann Tageszeitung las)! Alles von weitem, schnappschussartig, gar nicht so aufdringlich PR-strategisch wie seinerzeit Helmut Kohl, der die Presse zu Homestories an den Wolfgangsee lud. Kein Mensch weiß natürlich, ob sich Merkel ihrer Wirkung in diesem kleinen Bergsteigerdorf bewusst war. Anzunehmen ist es aber: Ihr System der Beliebtheits-Generierung durch demonstrative Zurückhaltung funktioniert auf der Weltbühne genauso gut wie in entlegener Provinz.
Selbst als sie während der Sulden-Tage einmal offen aus der Deckung kam, geriet ihr Auftritt gespenstisch gekonnt. Ungeschminkt, in lässigem Freizeitlook in einer unprätentiösen Mehrzweckhalle. Bergsteigerlegende Reinhold Messner, ohnehin ein Merkel-Freund, hielt an diesem Abend einen Vortrag über das Matterhorn, über Triumph und Tragödie am formschönen Viertausender. Ein „Multivisionsvortrag“ mit Leinwand und Stehpult, davor zig Reihen Funktionsstühle vor einer Biertheke, daneben die Toiletten. Solche Orte muss die Kanzlerin allenfalls in Wahlkampfzeiten betreten.
Ungeschminkt, leise lächelnd
Kurz vor Beginn des Vortrags plötzlich Unruhe am Seiteneingang: Limousinen fuhren vor, Merkel und ihr Ehemann schritten schnellen Schrittes, umringt von Sicherheitsbeamten, in den Saal. Handykameras blitzten auf, ein Kameramann eines lokalen TV-Senders kriegte mit seiner VJ-Kamera gerade noch die Kurve, um den Gast einzufangen. Merkel und ihr Tross setzten sich auf reservierte Sitze inmitten der Leute, keine Sicherheitszäune, keine Ehrenloge, kein Schnickschnack. Messner begrüßte die Kanzlerin knapp als „unsere Kanzlerin“, was in der Südtiroler Mehrzweckhalle dankbar aufgenommen wurde – nicht nur von den Deutschen, sondern auch von jenen aus der Umgebung angereisten Südtirolern, die noch immer mit ihrem italienischen Pass hadern. Die Sache lief für Merkel jetzt schon rund, dabei hatte sie keinen Ton gesagt.
Daran sollte sich während des Rests des Abends nichts mehr ändern. Messner sprach zur Sache und erwähnte die Kanzlerin kein einziges Mal mehr. In den Pausen aber setzte diese sich brav neben den Gastgeber und signierte dessen Bücher. Auch fast wortlos. Aber ungeschminkt, unprätentiös und leise lächelnd. Die Touristen mit ihren Handykameras waren verzückt ob dieser bodenständigen Weltpolitikerin. Am Tag zuvor hatte Messner bei einer Wanderung über Merkel gesagt, dass diese eine sehr diskrete und ruhebedürftige Frau sei, die klasse zuhören könne. Das sagt Messner gerne, auch in Interviews, natürlich meist mit dem Zusatz, dass er Merkels Diskretion schätze und deshalb nicht mehr sagen wolle. Die Image-Duftmarken aber sind dann schon längst gesetzt.
Die Kanzlerin selbst sagte in diesen Tagen: nichts. Musste sie nicht. Warum auch? Ihr Image war immer schon da, und es sollte auch bleiben, als sie schon weg war. Eine unschlagbare PR-Strategie. Wenn es denn eine Strategie ist. Sollte es eine sein, dann müsste dringend ein neues Kapitel in Machiavellis Buch der Macht, „Der Fürst“, hinzugefügt werden. Überschrift: Ist der Ruf erst zementiert, regiert es sich gänzlich ungeniert.
Martin Benninghoff, Journalist in Berlin, schreibt die OC-Kolumne “Grenzgänger” jeden zweiten Mittwoch. Weitere Kolumnen bei OPINION CLUB: Hier geht’s lang!