Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (26.08.2015)
Von Martin Benninghoff
Parteien gewinnen viel zu wenige Neu- und Seiteneinsteiger. Das liegt auch daran, dass in den Ortsvereinen Parteisoldaten regieren, die einem die Mitarbeit madig machen.
Den Parteien laufen die Mitglieder davon – das ist die eine Seite der Medaille. Das mindestens genauso schwerwiegende Problem ist jedoch, dass zu wenige Menschen in eine Partei eintreten. Ende 2014 gehörten der altehrwürdigen SPD nur noch knapp 460.000 Menschen an, Ende 2003 waren das noch knapp 651.000. Bei der Union sieht es nicht besser aus.
Über die Gründe für Austritte ist vieles bekannt: Die SPD laboriert noch immer an ihrer Quasi-Spaltung in SPD und Linke im Zuge der Agenda-Politik unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Und die Union ringt um ihr konservatives Profil in einer Zeit, in der selbst jene, die sich konservativ schimpfen, im Grunde entideologisiert sind und keine Lust mehr auf konservative Politik haben. Allen voran Angela Merkel, die ja unbestrittenermaßen genauso die Kanzlerin einer SPD-geführten Bundesregierung sein könnte.
Etwas unterbelichtet ist allerdings die Frage, warum so wenige Menschen in eine Partei eintreten. 2014 sind der SPD zum Beispiel weit mehr Menschen weggelaufen als beigetreten. Für eine 140 Jahre alte Traditionspartei, die sogar die Nationalsozialisten nicht dauerhaft zerstören konnten, ist diese Entwicklung besonders bitter: Die SPD scheint zu unattraktiv zu sein für junge Menschen, die sich politisch engagieren wollen. Facebook- und Twitter-Kanäle einzurichten reicht offenbar nicht aus, um daran etwas zu ändern.
Natürlich, es gibt zig Gründe, warum das so ist: Generell erscheinen politische „Gemischtwarenläden“ wie Volksparteien weniger geeignet als dankbare Umgebung für politisches Engagement. Wer sich im Umweltschutz engagieren will, geht lieber zu Greenpeace oder dem BUND. Wer Flüchtlingen helfen möchte, geht zu Pro Asyl oder engagiert sich lokal vor Ort. Wer sich für Außenpolitik interessiert, kann zu einer internationalen NGO gehen, zumal derlei Zugänge dank des Netzes ja wesentlicher einfacher zu finden sind und die jungen Leute heutzutage gut bis sehr gut Englisch sprechen. Wer sich fokussiert lokal engagieren möchte, dem bieten sich Bürgerinitiativen an.
Schöngeister haben es schwer
So weit, so bekannt. Allerdings wird ein Faktor zu selten diskutiert, der wesentlich zur geringen Attraktivität einer Partei beiträgt: der Parteisoldat. Der Typus Helfer, der mitunter die Ortsvereine regiert. Der einem das Leben schwer machen und vor allem die Lust auf Parteiarbeit gänzlich trüben kann. Der intellektuell interessierte Menschen entweder sofort oder nach kurzer Zeit in die Flucht schlägt. Der Parteisoldat ist zwar gewissermaßen für die Parteiorganisation hilfreich – und die Spitzenpolitiker nutzen seine Dienste morgens, mittags und abends gnadenlos aus -, am Ende des Tages aber kann er seiner Partei mehr schaden als nutzen, weil er die Intellektuellen und Künstler, Akademiker und Schöngeister vergrätzt. Aber die braucht eine Partei genauso wie Aktive aus anderen sozialen und intellektuellen Communities.
Die SPD leidet darunter seit Jahren. Die älteste deutsche Großpartei, die noch zu Kanzler Schröders Zeiten Künstler und Intellektuelle anzog, dies aber erst recht unter Willy Brandt tat, ist intellektuell zumindest teilweise ausgetrocknet. Mit Günter Grass ist in diesem Jahr einer der letzten Groß-Unterstützer aus Künstlerkreisen verstorben – ein Mann, der eben nicht wie ein Parteisoldat stets alles abgenickt hat, was SPD-Leute verzapfen. Mit Peter Glotz oder kürzlich Egon Bahr sind weitere Querdenker gestorben, die den guten Ruf der Sozialdemokratie als progressive intellektuelle Partei in die Gegenwart transportiert haben. Natürlich, das waren hauptberufliche Politiker. Aber Glotz war auch Professor, Bahr zuvor Journalist. Für beide bot die SPD zu ihren Zeiten offenbar genügend Anlässe, sich in ihren Reihen zu engagieren und aufzusteigen.
Aber die SPD trocknet heutzutage intellektuell aus, weil von unten nichts nachkommt. Warum hat es ausgerechnet eine ehedem progressive linke Partei versäumt, die erste Frau ins Kanzleramt zu bringen? Wie kann es sein, dass dies ausgerechnet die bis vor kurzem in alten Rollenbildern feststeckenden Christdemokraten auf die Kette bekamen? Wie kann es sein, dass die SPD nur sehr zögerlich Leute mit Einwanderergeschichte ans Ruder ließ? Auch das hat sie anderen überlassen – zum Beispiel den Grünen mit Cem Özdemir schon in den Neunziger Jahren.
Der ehemalige Berliner SPD-Regierungschef Klaus Wowereit war in dieser Hinsicht ein Lichtblick – er holte Leute aus dem Kulturbetrieb in die Politik und war selbst für die Gleichstellungspolitik ein symbolisches und progressives Vorbild. Es ist auch ein Lichtblick in diesen Tagen, dass mit Til Schweiger wenigstens eine Person aus dem Filmgeschäft wieder Fühlung mit der SPD aufgenommen hat.
Nun ist Schweiger sicherlich kein Intellektueller, aber er bringt frischen Wind aus einer gesellschaftlichen Ecke mit, die rein gar nichts mit den Ritualen einer Partei zu tun hat. Das kann nur ein Gewinn sein, weil er die einstudierte Betroffenheitsrhetorik der Politik beim Thema Flüchtlinge quasi links überholt. Das kann man toll finden – oder man kann sich daran reiben. Wie auch immer, so reicht Politik aus den Hinterzimmern wieder in die Wohnzimmer.
Andernfalls erstarrt Politik in längst überholten Ritualen; und diese Fehler sind hausgemacht, genauer: Sie sind hinterzimmergemacht. Die SPD ist nach wie vor eine Partei der Ortsvereine. Und diese Ortsvereine sind zu einem wesentlichen Teil ausgeblutet und erstarrt. Viele ältere Mitglieder sind passiv und tun nicht (mehr) viel für die Parteiarbeit – und bei den Jüngeren geben die Parteisoldaten den Ton an. Engagierte Parteimitglieder kennen das: Es sind die üblich Verdächtigen, die seit Jahren und Jahrzehnten die SPD-Stände und Parteifeste frequentieren, die jedem neuen Kandidaten opportunistisch Gehorsam zollen, die Speichellecker und quasi uniformierten Meinungsträger, die lauten und steten Ja-Sager. Zu erkennen an ihren Bier- und Bratwurstbäuchen dank der vielen Parteifeste und Hinterzimmerfässchen.
Klar, das ist total ungerecht und oberflächlich, wenn ich hier jetzt auch noch auf Äußerlichkeiten abhebe. Aber ich berichte aus eigener Erfahrung, ich musste das mehrmals erleben, als Journalist, klar, aber auch als Wahlkampfhelfer in meiner Zeit vorm Journalismus. Wenn ein Spitzenpolitiker aus Berlin anreiste, um auf einer Wahlkampfveranstaltung zu sprechen, übernahmen solche Typen die Abteilung Anheizen und Aufpassen. Zum Beispiel wurden dann jungen Jusos, die sich nicht wehren konnten, Unterstützerplakate in die Hand gedrückt. Wehe, wenn der Arm nicht durchgedrückt das Schild gut einsehbar für die Fernsehkameras gen Himmel reckte, dann kläffte der Parteisoldat jeden aus der Gruppe an, der sozusagen aus der Reihe tanzte. Fast schon nordkoreanische Zustände, zumindest für einen Moment. Auch auf Wahlkampfseminaren herrschte ein eher militaristischer denn nachdenklicher Ton. Wer mag da schon mitmachen?
Kritiklose Beklatscher
Naja, der Parteisoldat eben. Es ist dem Parteisoldaten ziemlich egal, welcher Kandidat oben auf dem Podium steht. Ist der Wahlkampf entbrannt, dann wird dieser kritiklos bejubelt, beklatscht und bekniet. Er wird nahtlos alles erzählen, posten, liken und teilen, was der Kandidat von sich gibt. Jede hohle Wahlkampfphrase („Stadt XY steht vor großen Herausforderungen…“, „Soziales Miteinander ist mir ganz besonders wichtig“) wird er über Facebook und Twitter rausposaunen, ganz egal, dass der ach so tolle Kandidat in den Jahren zuvor an verantwortlicher Stelle im Stadtrat nur wenig zustande bekommen hat. In der Zukunft werde natürlich alles angepackt, ganz egal, dass die Partei zuvor schon jahrelang regiert hat. Der Parteisoldat erklärt dir dann, dass die gegnerische Partei schuld daran gewesen sei – die habe schließlich alles blockiert.
Das ist eine weitere dunkle Seite des Parteisoldaten: Er bringt keinerlei Kraft auf, gute Ideen des politischen Gegners zu loben oder auch nur in Erwägung zu ziehen. Sein dichotomes Schwarz-Weiß-Wahrnehmungsvermögen lässt das nicht zu. Alleine schon deshalb kann er Parteigenossen nicht ausstehen, die es wagen, mit Kollegen anderer Parteien gute und an der Sache orientierte Beziehungen zu pflegen. Nein, das Lagerdenken bestimmt jede Hirnwindung des Parteisoldaten, und es wird immer schlimmer, je länger er sich in der Parallelwelt aufhält. Ein echter Parteisoldat kennt nur noch andere Parteisoldaten, verbringt seine Freizeit mit ihnen und feiert, trinkt und leckt die Wunden nach einer verlorenen Wahl: gemeinsam. Im Falle eines Sieges organisieren sie die Postenwahl und das Proporzgeschacher. Selbstredend gibt es auch andere, rühmliche Ausnahmen.
Ich finde, Deutschland braucht eine starke SPD, genauso wie das Land eine starke Union, starke Grüne, Linke, eine starke FDP und von mir aus noch andere Parteien braucht (auf die AfD kann ich verzichten, wenn die Partei ihren fremdenfeindlichen Weg weiter geht, wonach es ja derzeit aussieht). Parteien sind nach wie vor die besten Stimmungs- und Meinungsaggregate, ohne sie funktioniert unsere Demokratie vermutlich nicht so effektiv. Abgesänge auf Parteien und Profilierung auf Kosten der Parteien wie es manche angeblich überparteiliche Prominente betreiben, sind billig und verfrüht, solange es keine echten Alternativen zu Parteien gibt. Aber ihre Attraktivität muss gesteigert werden – hierbei vor allem die Attraktivität für Neueinsteiger. Der Einfluss der Parteisoldaten sollte dafür gestutzt werden. Sonst trocknen die Parteien erst aus, dann sterben sie einen langsamen Dämmertod. Das wäre schlimm für die Demokratie.
Martin Benninghoff ist Journalist in Berlin und Redakteur bei „Günther Jauch“. Seine OC-Kolumne „Grenzgänger“ erscheint jeden zweiten Mittwoch.