Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (04.11.2015)
Von Martin Benninghoff
Endlich wieder viel Phil Collins. Der britische Musiker hat sein Comeback angekündigt. Für seine Verächter ist das zwar ein Alptraum, aber denen geschieht es recht! Sussudio!
In meiner Jugend – ja, die ist noch gar nicht so lange her -, da war eine gewisse Verbeugung vor den musikalischen Leistungen von Phil Collins in popkulturell interessierten Kreisen ungefähr gleichbedeutend mit einem Loblied auf Erika Steinbach im linksalternativen Milieu. Hatte quasi den sozialen Tod zur Folge. Bäh, Collins, Fahrstuhlmusik. Bäh, Mainstream. Bäh, Formatradiogedudel ohne Tiefgang. Und dann noch diese sterile Stimme! Die Effekte! Sussudioooooo! Bäh!
Nach seinem Rückzug 2011 und temporärem Ruhestand kommt er jetzt wieder – er, der die Achtziger und Teile der Neunziger mit einer Hit-Kette und seiner Präsenz dominierte, ja fast erstickte. Er will seine Alben neu auflegen und an neuer Musik arbeiten. Ein Soloalbum, eine Tournee. „Das Pferd ist aus dem Stall, und ich sitze in den Startlöchern“, sagte er dem Magazin „Rolling Stone“.
Wer hätte das noch für möglich gehalten? Oder anders ausgedrückt: Für die „Musikerpolizei“, die Collins immer schon verachtete, wird ein schlimmer Alptraum Wirklichkeit. Und ich find’s gut.
Die schlimmsten Phil-Collins-Verächter stammten wie üblich aus den Kreisen ganz übler Zeitgenossen, der „Musikerpolizei“: Menschen, die sich popkulturell definierten und dabei ganz besonders über irgendwelche Hipster-Bands (egal wie schlecht die waren) sich irgendwie alternativ, intellektuell und subkulturell abgrenzten zu all dem angeblichen populären Wischiwaschisounds, die unsere Aufzüge, Supermärkte und Formatradios bevölkerten. Phil Collins war für diese, pardon, Musikfaschisten das größte Übel, das personifizierte Grauen.
Musikerkollegen waren da differenzierter, wie so häufig in solchen Fragen. Zwar mochten viele Phil Collins auch nicht, einige fühlten sich nicht berührt von seiner Musik, andere konnten allenfalls noch mit dem Frühwerk von „Genesis“, Collins Band, etwas anfangen, als die Musiker mit Peter Gabriel am Mikrofon und Collins am Schlagzeug Progressive-Frickel-Mucke zum Besten gaben. Fan bin ich auch nie geworden, dafür reichte es nicht. Collins war okay, einige Songs fand ich gelungen.
Aber immer haben echte Musiker zumindest anerkannt, was Collins auf die Beine gestellt hat: eine Reihe von Hits, darunter Klassiker wie „In the air tonight“, einen eigenen Stil und viel handwerkliches Können in Komposition, musikalischer Umsetzung und Vermarktung. Dass Collins nicht nur ein passabler Sänger mit viel Wiedererkennungswert, sondern ein recht guter Drummer war und ist, dürfte bekannt sein. Das muss man erst einmal selbst auf die Beine stellen – nicht so einfach, wie die Jungs der „Musikerpolizei“ natürlich niemals erfahren werden. Weil sie es nie probiert haben.
Rapper ohne Berührungsängste
Ja, ich mag den Popstar Collins, nicht nur dessen Frühwerk oder seine Jazz-Ausflüge oder seine Gastschlagzeugspuren für Brian Eno oder Jethro Tull. Er wurde gesampelt und verhackstückt von Rappern wie Tupac Shakur, die immer schon ein unbelastetes Verhältnis zu musikalischen Heroen der Popwelt hatten und wenig Berührungsängste. Ihr eigenes Produkt war so stark, dass sie keinerlei nervtötende Abgrenzung zu angeblich uncoolen Acts wie Collins nötig hatten.
Im Grunde – zu der These würde ich mich versteifen -, haben sich gerade die fachfremden Rapstars einen unverbauten Blick auf sämtliche Pop- und Rockgewächse erhalten. Und erst so einen Blick auf das Werk erhascht, während andere sich nur vom Image haben blenden lassen – in die eine wie die andere Richtung. Wenn sich Pop nur noch über Abgrenzung definiert, dann ist Pop tot.
Im Übrigen spielt dafür keinerlei Rolle, ob ein 64-jähriger Mann wie Collins in Zukunft noch etwas Neues und Relevantes abliefert. Wenn man der These Glauben schenkt, dass Künstler nur einige wenige Jahre bis zu einem Jahrzehnt in Hochform sind und danach in Ausdrucksstärke und Kreativität abschlaffen, nun gut, dann wird ein älterer Herr, dessen letzte Werke schon ein wenig an Zug vermissen ließen, vielleicht nicht mehr zurück auf den Musik-Olymp steigen.
Aber wen interessiert’s? Collins ist ein echter Mucker, ein Musiker mit Proberaumgeruch. Einer, der gerne mit anderen jammt, sich ans Drumset setzt und improvisiert. Solche Leute sind gern gesehen in einer Welt, die – Achtung, pauschale Kulturkritik – sich überproportional mit Impression-Management, also der bewussten und unbewussten Selbstdarstellung, beschäftigt. Davon gibt es wahrlich genug. Und wenn man Phil Collins einen Kalenderspruch wahrlich zugestehen kann, dann diesen: Ist der Ruf erst ruiniert, spielt sich’s gänzlich ungeniert. In diesem Sinne: Jesus he knows me / and he knows I’m right.
Martin Benninghoff, Journalist in Berlin und Redakteur bei „Günther Jauch“, schreibt die OC-Kolumne „Grenzgänger“ jeden zweiten Mittwoch.