Kolumne GRENZGÄNGER bei OPINION CLUB (02.12.2015)
Von Martin Benninghoff
Die Überlegungen, auch mit syrischen Regierungstruppen gegen den „Islamischen Staat“ vorzugehen, sind ja nicht falsch. Die Forderung nach einem vorherigen Abtritt Assads allerdings ist reichlich unkonkret.
Als Journalist kann man den Hang zur Personalisierung ja nachvollziehen. Geht es um Steuerhinterziehung, muss ein Uli-Hoeneß-Foto her. Geht es um russische Politik oder Wirtschaft, dann wird Wladimir Putin – sozusagen automatisch – zum personifizierten Machtzentrum in der Darstellung. Egal, welche Eliten noch die Fäden ziehen.
So ähnlich sieht das auch beim Thema Syrien aus. In diesen Tagen rückt Machthaber Baschar al-Assad erneut in den Mittelpunkt: Sollen wir mit ihm oder ohne ihn die Terrormiliz IS bekämpfen? Muss er vorher abtreten? Kann man mit Teilen seiner Truppe zusammenarbeiten? Oder muss man das konsequent ablehnen?
Frankreich diskutiert, auch die deutsche Verteidigungsministerin kann sich eine Kooperation durchaus vorstellen, aber nicht sofort und vor allem nicht mit Assad. Schon wieder also eine Engführung auf einen einzigen Mann. Mag er auch Präsident von Rest-Syrien sein: Wer die Frage nach der Zukunft Syriens auf den Verbleib eines einzigen Mannes an der Staatsspitze (und meinetwegen seiner engsten Führung) beschränkt, setzt sich Scheuklappen auf und galoppiert geradewegs in ein Schlachtfeld, das dem des Irak nach dem Sturz Saddam Husseins ähnelt.
Baschar al-Assad ist die Galionsfigur eines stramm militaristisch organisierten Regimes, das sein Vater Hafiz al-Assad aufbaute. Der im Jahr 2000 verstorbene Diktator errichtete eine beispiellose – in seinem Sinne – „Sicherheitsarchitektur“ mit Querverstrebungen durch sämtliche Gesellschaftsgruppierungen. Die Partei der Baathisten schützt dabei die Interessen der Minderheit der Alawiten im Land.
Dessen Sohn Baschar stolperte in die Verantwortung. Als sein Bruder Basil 1994 bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, holte ihn sein Vater aus dem Hintergrund, verpasste ihm einen Schnellkurs beim Militär und baute ihn zum Nachfolger auf. Der schüchterne Baschar war nur seines Vaters zweite Wahl – offenbar aus gutem Grund: Bis heute geht ihm weitgehend das Charisma einer Führungspersönlichkeit ab.
Kleptokraten an der Spitze
Aber vor allem glauben Experten, dass Baschar al-Assad wesentlich stärker auf seine militärischen und politischen Berater angewiesen ist als der Vater. Das nachzuprüfen ist schwer und bleibt eine Spekulation, allerdings eine plausible. Wie mächtig Syriens Machthaber wirklich ist, das wissen wir nicht. Augenscheinlich sitzt er jedoch so fest im Sattel, dass es bislang keinen erfolgreichen Putsch gegen ihn gegeben hat. Das System Assad steht vorerst.
Zumal seit Jahrzehnten bekannt ist, wie sehr der Assad-Clan und die alawitische Elite die Geschicke des Landes beziehungsweise nun der Restgebiete bestimmen. Bis 2011 regelte ein Cousin die Finanzen und managte das nepotistische System der Selbstbereicherung durch Familienbeteiligungen und Industrie- und Handels-Lizenzen. Ein Bruder kommandiert wichtige Eliteeinheiten der Armee, weitere Verwandte bestimmen die Geheimdienste. Insgesamt gehen Experten davon aus, dass der Assad-Clan inklusive aller angeheirateten Akteure und deren Sippschaften mehrere hundert, wahrscheinlich sogar tausende Mitglieder hat.
Zwischenzeitlich gab es Auflösungserscheinungen, zum Beispiel, als der Cousin nach Beginn des Bürgerkrieges 2011 innerhalb der Oppositionsbewegungen immer stärker zur bösen Fratze des Regimes wurde – er zieht heute die relative Sicherheit in Dubai vor. Mit dem Eingreifen Russlands in den Krieg und der Hilfe libanesischer Hisbollah-Truppen sowie irakischer und iranischer Schiiten-Milizen stabilisiert sich das Regime wieder ein wenig. Es steht derzeit besser da als noch vor einigen Monaten.
Die Frage also, ob es ausreicht, der Schlange den Kopf abzuschneiden, dürfte sich damit beantwortet haben. Gerade weil Baschar al-Assad ein uncharismatischer Machthaber ist, hängt die Frage nach der Zukunft des Landes, nach Intervention, Krieg und Frieden bestimmt nicht nur an einer Person. Wir müssen uns auch in der Öffentlichkeit, in der häufig mit Phrasen und extremen Vereinfachungen gearbeitet wird, klarmachen, dass „Assad muss weg“ nicht so einfach umzusetzen ist. Zumindest wenn wir über die Person und seinen engsten Beraterkreis hinaus denken.
Risiken und Nebenwirkungen
Sollte es eines Tages eine Regierung der Einheit und des Übergangs mit allen syrischen Kriegsbeteiligten geben – vermutlich ohne IS- und Al-Nusra-Terroristen -, dann wird der schwierigste Job sein, die Zusammensetzung am Tisch auszutarieren und zu bestimmen, welche Vertreter der alten Assad-Elite am Tisch sitzen werden.
Wenn der Westen nur auf den Abtritt Assads pocht, wird er sich in den Reihen der Oppositionsgruppen tausende neue Feinde machen, die seit Jahren gegen die verhasste, weitverzweigte und über Assad hinausgehende Elite kämpfen. Sollte jedoch der Kreis der Ausgeschlossen so groß sein, dass sich die Baathisten analog zum Irak nach dem Sturz Saddams komplett marginalisiert fühlen, dann werden Unterstützer der nächsten Terrororganisation herangezüchtet.
Vielleicht ein frommer Wunsch: Aber dieses Mal müssen wir es einfach schaffen, möglichst alle Nebenwirkungen einer westlichen Intervention mit einheimischen Kräften zu antizipieren. So dass Syrien eine Zukunft hat und kein zweiter Irak oder ein zweites Afghanistan wird.
Martin Benninghoff, Journalist in Berlin und Redakteur bei „Günther Jauch“, schreibt die OC-Kolumne „Grenzgänger“ jeden zweiten Mittwoch.