Interview erschienen in der F.A.S. und bei FAZ.NET (02. bzw. 03.06.2018)
Von Martin Benninghoff und Oliver Georgi, Berlin
Einer der bekanntesten Rockstars Deutschlands wird im Dezember 70 Jahre alt. Marius Müller-Westernhagen über sein Image, die Höhen und Tiefen seiner Karriere, den Skandal um den Echo und die Weichei-Stimmen heutiger Sänger.
Herr Müller-Westernhagen, Sie werden in diesem Dezember 70. Wäre eine Karriere wie die Ihre heute noch möglich?
Nein, ich glaube nicht. Wenn du Erfolg haben willst, nachhaltigen, langfristigen Erfolg, dann musst du dir deinem Publikum gegenüber Loyalität erarbeiten. Aber das wird ja heute gar nicht mehr probiert. Das liegt sicher auch daran, dass die Plattenfirmen mittlerweile Shareholder sind. Die müssen immer innerhalb von drei Monaten Erfolge vorweisen – für mich geht das in einem kreativen Business nicht. Ich habe mich mal mit einem CEO von Warner in Amerika gestritten, weil ich gesagt habe: Man kann nicht jedes Jahr ein Album machen, das millionenfach verkauft wird und auf Nummer 1 geht. Da hat der geantwortet: Wieso denn nicht? Das kapieren die gar nicht. Heutzutage werden Stars über Marktforschung gemacht – man fragt die Leute, was sie haben wollen, und liefert dann. Als Künstler verkauft man sich – das finde ich nicht sehr befriedigend. Die Substanz fehlt.
Aber war das früher wirklich so anders?
Definitiv, ich bin durch Musik sozialisiert worden, die anders war. Bob Dylan hat Zeilen geschrieben, die für uns Leitsätze wurden – das ist das Geheimnis für Erfolg: Dass man etwas ausdrückt, was andere zwar empfinden, aber selbst nicht artikulieren können. Das passiert heute nicht mehr, es gibt nur noch Anbiederei. Und das sage ich, obwohl ich kein Freund von Nostalgie bin, im Gegenteil.
Ist die Musik flacher geworden?
Sie hat weniger Qualität als früher. Wenn man sich heute Songs von Jimi Hendrix oder Led Zeppelin anhört, das waren hochkomplexe Stücke. Die Pop- und Rockmusik hätte zu einer eigenen Kunstform wie der Jazz werden können, aber das wurde verspielt. Heute gibt es nur noch Gier, weil immer mehr Platten verkauft werden müssen.
Aber Künstler wollten doch schon immer Platten verkaufen.
Schon, aber im Gegensatz zu früher lassen sich viele Künstler heute viel zu schnell locken und verscheißern. Die machen ein großartiges erstes Album, und dann soll das zweite bitte noch ein bisschen publikumsfreundlicher werden, und schon ist es vorbei mit den Ansprüchen, weil die große Kohle lockt. Mir hat Geld in dem Sinne nie etwas bedeutet. Ich genieße es, aber mehr auch nicht.
Sie haben drei Alben gemacht, bis sich 1978 mit „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ der Erfolg einstellte. War das Publikum früher geduldiger mit seinen Künstlern?
Das Publikum, aber auch die Plattenfirmen. Als Künstler hatte man mehr Zeit, sich zu entwickeln. Obwohl sich meine ersten Alben immer schlechter verkauften, ließ man mich weitermachen und ausprobieren. Bei „Pfefferminz“ hatte ich damals das große Glück, Siggi Loch als Plattenchef zu haben. Der hat zwar auch nicht verstanden, worum es mir ging, aber er dachte offenbar: Wenn einer so unverschämt ist und sein Ding einfach durchzieht, dann muss irgendwas dahinter sein.
Wann kommt das nächste Album?
Ich kann immer erst Neues schreiben, wenn etwas abgeschlossen ist. Wir setzen im August noch die Unplugged-Tour fort, außerdem ist meine vertragliche Situation gerade nicht ganz klar. Die Plattenfirma, mit der ich das Unplugged-Album gemacht habe, hat zwar noch eine Option auf ein weiteres Album, aber während der Arbeit an Unplugged hat sie ständig Druck auf mich ausgeübt und versucht, mir reinzureden. So arbeite ich nicht.
Sie haben sich beim MTV-Unplugged-Konzert in Berlin über die Regeln der Reihe lustig gemacht, die Gaststars auf der Bühne vorsieht. Kann man ein Format nutzen, ohne seine Regeln zu akzeptieren?
Ja, weil ich es tragisch finde, wie die Reihe immer mehr verkommt. Am Anfang, mit Nirvana, Neil Young und anderen, waren die MTV-Unplugged-Konzerte ein tolles Format. Das war die Königsdisziplin, in der man zeigen musste, was man wirklich draufhat. Inzwischen ist das nicht mehr so, weil vieles nachbearbeitet wird. Ich weiß von bekannten Leuten, deren Unplugged-Konzerte vollständig nachproduziert wurden. Und dann tapert bei jedem zweiten Song noch ein Gaststar rein, und alle haben sich lieb, obwohl sie sich kaum kennen – so etwas wollte ich nicht machen. Also habe ich Udo Lindenberg und andere auf die Bühne geholt, zu denen ich eine echte Beziehung habe. Außerdem wollte ich Udo einfach gern mal trommeln sehen (lacht).
Er scheint ja auch noch regelmäßig zu üben…
Als ich Udo fragte, ob er auf einen Gastauftritt Lust hätte, war er total entspannt und sagte (ahmt Lindenberg nach): Hey, klaro, alles easy. Aber als er dann zu den Proben kam, kannte er das Arrangement von vorne bis hinten, und ich dachte: Hey, Udo hat echt geübt! Er ist schon sehr ehrgeizig.
Lindenberg hat nach Jahren in der Versenkung ein großes Comeback erlebt – beneiden Sie ihn dafür?
Überhaupt nicht, warum sollte ich? Udo hat schwere Zeiten hinter sich, deshalb freue ich mich wahnsinnig darüber, dass er noch mal so gewürdigt wird. Er genießt dieses limelight. Trotzdem muss er aufpassen. Er darf es jetzt nicht übertreiben.
Inwiefern?
Er sollte rechtzeitig merken, wann es reicht, wann es auch wieder gut ist. Die Gefahr, dass man sich verkauft, ist zu groß, und viele Leute kriegen das nicht mit. Dann machst du dich zu deiner eigenen Karikatur. Und verlierst dich.
Hatten Sie in Ihrer Karriere selbst mal diese Angst, sich zu verlieren?
Ja, in der Zeit meiner Stadionkonzerte in den Neunzigern, in der ich mich konstant überfordert gefühlt habe. Ich wollte nicht die Überfigur sein, vor der Leute in Ohnmacht fallen. Auch der Druck war unglaublich hoch, schon ökonomisch. Warner Deutschland, meine damalige Plattenfirma, wurde in dieser Zeit von mir und Phil Collins finanziert – wenn wir keine Platten machten, hatten die ein schlechtes Ergebnis.
Es fällt schwer zu glauben, dass Sie den Ruhm in dieser Zeit nicht auch sehr genossen haben…
Natürlich ist es anfangs toll, ein Riesenstar zu sein und diese gewaltigen Shows zu spielen. Es ist unfassbar, auf eine Bühne zu gehen und die Energie von hunderttausend Leuten zu spüren, die dir zujubeln. Aber dann beginnt es sich zu wiederholen, und man hat nur noch die Möglichkeit, immer noch größer zu werden. Ich wusste plötzlich nicht mehr, warum ich das alles mache, weil die Verpackung wichtiger geworden war als der Inhalt. Stadionkonzerte haben mit musikalischer Qualität nichts mehr zu tun.
Trotzdem haben viele es für arrogante Koketterie gehalten, dass Sie damals Ihren Rückzug aus den Stadien verkündeten. Haben Sie das verstanden?
Natürlich, sehr gut sogar. Es gibt ja auch viele Künstler, die sich auf solchen Mega-Bühnen sehr wohl fühlen. Aber ich war nie so jemand, ich bin privat eher introvertiert. Ich habe die Öffentlichkeit immer nur in Kauf genommen und nie genossen.
Gab es eine Phase, in der Sie dachten, Ihnen könne keiner was?
Nein. Aber ich kann sehr arrogant sein gegenüber Menschen, die mich bei der Arbeit behindern. Da kann ich ekelhaft werden, gegenüber Plattenfirmen oder Tourpromotern, vielleicht sogar brutal. Aber ich war nie zynisch gegenüber dem Publikum. Es gab höchstens eine gespielte Arroganz, die gehört dazu.
Sie haben einmal erzählt, dass Sie unter Melancholie und teilweise Depressionen leiden.. .
Ja, da ist eine Tendenz vorhanden (lacht).
Wie hält man das aus: diese Stille nach einem Stadion-Auftritt vor 100.000 Leuten?
Nach einem Konzert dieser Größenordnung wachst du am nächsten Tag auf und denkst, das war nicht Realität. Ein rauschhafter Zustand. Du brauchst so viel Energie, um das aufzufangen und gleichzeitig die Kontrolle zu behalten, das kostet wahnsinnig viel Kraft. Ich hatte in dieser Zeit häufig Heulkrämpfe, nicht weil ich traurig war, sondern weil diese Spannung raus musste. Trotzdem habe ich mich nie für besser gehalten als andere Leute.
Gab es einen Moment, wo es in Richtung Drogen hätte kippen können?
Nein, schon durch meinen Vater nicht. Er war ein hochbegabter Schauspieler, kam völlig zerstört aus dem Krieg und hat gesoffen. Das war für mich ein Grund, die Finger von Drogen zu lassen. Ich habe lieber die Kontrolle. Im Endeffekt zahlt es sich aus, wenn man Dinge nicht macht, von denen man nicht überzeugt ist. Das erzeugt Respekt bei Menschen, sie nehmen dich ernst.
Haben Sie mal darüber nachgedacht, Ihre Alben zu übersetzen und auf Englisch zu singen?
Nein, dann hätte ich erst recht nirgendwo mehr hingehen können, ohne dass Leute mir hinterherrufen. Meine amerikanischen Musiker sagen mir immer: Komm rüber in die Staaten, wir spielen hier, und du singst auf Deutsch, ganz egal, die Leute fänden das in jedem Fall gut. Vielleicht mache ich das ja mal. Die Jungs von Rammstein zeigen, dass man damit durchaus großen Erfolg haben kann: im Ausland auf Deutsch zu singen.
Haben Sie Rammstein mal angesprochen, ob sie Lust auf eine Zusammenarbeit hätten?
Ich habe Till Lindemann vor einer Weile gesagt, dass ich gerne mal etwas gemeinsam mit ihm machen würde. Aber bislang ist noch nichts vereinbart. Der Grat, auf dem Rammstein sich bewegt, ist ja auch nicht ungefährlich. Ich finde die Shows beeindruckend, weil für mich von Anfang an klar ist, dass sie absurdes Theater sind.
Rammstein zitiert faschistische Ästhetik.
Ja, aber es ist klar als Zitat erkennbar. Wenn du Rammstein richtig begreifst, sind sie großartig.
Welche Bedeutung hat Provokation in der Kunst?
Du musst immer erklären können, warum du etwas machst, Provokation darf nie Provokation nur um ihrer selbst willen sein. Mir wurde oft vorgeworfen, dass ich den Song „Dicke“ gemacht habe – aber da verwende ich ganz offensichtlich ein Klischee nach dem anderen. Das ist für mich als Satire klar erkennbar. Das ist auch der Unterschied zur Debatte um Farid Bang, Kollegah und die Echo-Verleihung: Dass Menschen, die im KZ gesessen haben oder dort ermordet wurden, so menschenverachtend zum Teil eines Produkts gemacht werden, das geht nicht. Das hat mit Provokation in der Kunst nichts mehr zu tun.
Keine Provokation als Selbstzweck: Warum haben Sie den Song „Dicke“ trotzdem jahrelang nicht gespielt?
Weil der Song so falsch interpretiert wurde, obwohl dicke Menschen ihn teilweise sehr gefeiert haben. Die meisten haben die Ironie nicht verstanden. Das ist ein großes Problem in Deutschland, diese Ironiefreiheit. Deutsche sehen alles immer nur eins zu eins.
Sie haben wegen des Skandals um Farid Bang und Kollegah Ihre sieben Echos zurückgegeben. Sind Sie mit der Wirkung dieses Signals zufrieden?
Die Botschaft ist verstanden worden, glaube ich. Ich wollte zeigen, dass das grundsätzliche Problem ein gesellschaftliches ist. Es ist der Verfall einer kultivierten Gesellschaft, dem wir gerade zuschauen. Und wir sind alle so abgestumpft gegenüber Äußerungen durch das Internet, jeder fühlt sich so präpotent, irgendetwas zu sagen zu allem Möglichen und Leute zu beleidigen in der Anonymität des Internets, dass man dagegen etwas tun muss. Ich sah auch überhaupt keine andere Möglichkeit, als meine Echos zurückzugeben. Jeder kann schöne Statements abgeben, die keinem weh tun. Aber das reicht doch nicht.
War das der Grund, warum Sie Ihre Echos zurückgegeben haben: damit es endlich mal weh tut?
Ich hielt es für meine Pflicht, das zu tun, und wollte ein Zeichen setzen. Als die Sache mit Kollegah und Farid Bang aufkam, habe ich mich erst gefragt: Warum gibt jetzt keiner seine Echos zurück? Klaus Voormann war am Anfang der Einzige, aber der ist nicht so bekannt. Dann hat der Echo-Mitentwickler Thomas M. Stein auch noch gesagt, dass Herr Voormann den Echo zurückgibt, sei in etwa so interessant, wie dass in Hongkong ein Sack Reis umfällt. Da habe ich gedacht: Schau an, ihr Ignoranten, so viel Respekt bringt ihr uns also entgegen. Klaus Voormann ist einer der Großen, er ist eine Legende. Aber das können viele gar nicht mehr würdigen.
Hätte Campino, dessen Rede bei der Gala für Aufsehen gesorgt hat, seinen Echo auch zurückgeben sollen?
Das wäre sicher konsequent gewesen, aber man muss auch die Drucksituation bei der Echo-Verleihung bedenken. Es ist natürlich einfacher, diese Entscheidung nach reiflicher Überlegung zu treffen.
Warum hat es die ganzen Jahre zuvor offenbar niemanden – auch Sie nicht – gestört, dass Kollegah und Farid Bang solche Sachen singen?
Vielleicht, weil es lange keinem weh getan hat. Viele bei der Echo-Verleihung sind keine Künstler mehr, sondern Leute, die mal einen Hit hatten und dann schnell wieder in der Versenkung verschwinden. Vielleicht haben wir uns alle zu lange von dieser Belanglosigkeit einlullen lassen. Ich fühle mich mitschuldig. Die Kritik, warum erst jetzt so ein Aufschrei stattfindet, ist absolut berechtigt.
Haben Sie den Eindruck, dass die Musikbranche aus der Echo-Debatte gelernt hat?
Ich bin skeptisch. Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass die Echo-Verantwortlichen alle, die in Deutschland etwas in der Musik zu sagen haben, zusammenrufen, um zu überlegen, was zu tun ist. Aber das ist nicht geschehen, mich hat bis heute niemand kontaktiert. Das ist doch bezeichnend, diese Sprachlosigkeit. Und es zeigt auch, wie wenig Solidarität es unter Künstlern gibt. Dafür habe ich aber eine Anfrage vom Haus der Geschichte in Bonn erhalten. Die wollen die Echos haben, als Zeitzeugnis.
Warum sind Künstler heute nicht mehr so politisch wie früher?
Die meisten, die jetzt ihre Echos nicht zurückgegeben haben, haben einfach Angst vor ihren Plattenfirmen. Das hatte ich zum Glück noch nie, was haben die mir schon zu sagen?
Oder ist es Angst, die Fans zu verprellen?
Auch darum habe ich mich noch nie gekümmert. Ich kann sagen, dass ich meine Fans noch nie beschissen habe. Wenn sie nicht damit leben können, dass ich Stellung beziehe, dann ist das ihr Problem. Aber ich kann einfach nicht anders.
Sie haben auch in Bezug auf Gerhard Schröder immer Stellung bezogen, mit dem Sie eng verbunden sind. Gefällt Ihnen seine Freundschaft mit Wladimir Putin?
Unsere Freundschaft ist im Sande verlaufen, nachdem Gerhard Schröder aus der aktiven Politik ausgeschieden ist. Ich finde das schade. Obwohl er ein ganz anderes Image hat, ist Schröder ein wahrer Intellektueller. Er ist ein unfassbar kluger Kopf. Aber ich gebe zu: Ich verstehe nicht, warum er so nah an Putin dran ist. Und erst recht nicht, wieso er so wenig Kritisches sagt.
Mit Schröder verbindet Sie, dass auch Sie lange mit Ihrem Testosteron-Image gespielt haben. Empfinden Sie die aktuelle deutsche Musik auch als „Jammerlappen-Pop“ wie manche, die sich über Bands wie Revolverheld oder Tim Bendzko lustig machen?
Ja, wenn ich mir die meisten deutschen Produktionen anhöre, dann sind das für mich Ergebnisse der Popakademie. Ich höre die Harmonielehre, höre die typischen Melodien und diese Weichei-Stimmen. Das ist langweilige Fabrikation, aber leider System. In den letzten Jahren haben die meisten Produzenten alles unternommen, um der Musik ihre Seele auszutreiben. Aber eine Musik, die nicht ehrlich gemeint und aufrichtig empfunden ist, kann auch keine Bedeutung haben. Ich gebe aber zu, dass meine Generation es viel einfacher hatte. Wir waren wütend und hatten klare Widerstände, wir wollten auf keinen Fall so werden wie unsere Eltern. Heute wollen die Kinder dasselbe, was ihre Eltern haben – nur besser.
Wenn man auf Ihre Karriere zurückschaut, ist das „Live“-Album von 1989 zentral. Einige Stücke des Albums, etwa „Weißt du, dass ich glücklich bin“, sind Hits geworden.
Hits? Ich hatte nie einen! (Lacht.)
Es wurde in der Live-Version jedenfalls bekannter als in der Studioversion. Würden Sie das als Ihr bestes Album bezeichnen?
Das „Live“-Album war zweifellos wichtig, aber als mein bestes Album empfinde ich immer noch „In den Wahnsinn“ von 2002. Das finde ich gut gelungen, weil es mich am meisten anpackt.
Was war Ihr schlechtestes Album?
Das zweite und das dritte Album, die waren sehr weinerlich („Bittersüß“ und „Ganz allein krieg ich’s nicht hin“). Da war ich auf keinem guten Weg. „Das Herz eines Boxers“ von 1982 ist auch voll in die Hose gegangen. Das war das erste Mal, dass ich in England aufgenommen habe. Damals mussten die einem die ganze Zeit zeigen, dass sie das alles erfunden haben. Außerdem waren alle vollkommen auf Koks und ich clean. Jedes Stück endet doppelt so schnell, wie es angefangen hat (lacht).
Und in neuerer Zeit?
Ich finde, dass die Qualität seit „In den Wahnsinn“ zugenommen hat. Auch „Nahaufnahme“ fand ich recht gelungen. Und „Alphatier“ war einfach ein tolles Bandprojekt und eine tolle Tour durch kleine Clubs. Es ist komisch: Wir Künstler haben auf der Bühne immer mehr Möglichkeiten und können immer größere Illusionen schaffen, aber es sagt mir immer weniger. Mich regt es nicht mehr auf, wenn irgendwas explodiert, das habe ich schon alles gesehen. Musik muss mir etwas sagen.
Was sagen Ihnen nach Jahrzehnten Ihre alten Songs noch? „Weil ich dich liebe“ oder „Willenlos“ spielen Sie heute anders als früher.
Weil ich vieles ganz anders höre als früher. „Weil ich dich liebe“ fand ich im Original immer seltsam arrangiert, ich habe den Song nie gern gespielt. Vor dem „Unplugged“-Konzert habe ich mich mit der Gitarre hingesetzt, verschiedene Tempi ausprobiert und einen Akkord verändert, von Dur zu Moll. Das hat die Qualität des Songs unglaublich erhöht. „Willenlos“ jetzt so umzubauen wird mir leider nicht gelingen, weil das ein richtiger Popsong ist.
Manche Künstler nehmen Jahrzehnte später ihre großen Alben noch einmal neu auf. Fänden Sie das reizvoll?
Absolut, zum Beispiel das „Pfefferminz“- Album. Als ich mir das neulich nach langer Zeit noch einmal angehört habe, dachte ich: Wow, das ist richtig gut! Als wir das damals in den Musicland Studios in München aufgenommen haben, hat der Toningenieur morgens die Maschinen angemacht und ist dann rausgegangen, weil er gedacht hat, das sind eh nur Idioten. Uns hat damals niemand ernst genommen, wir mussten unser Zeug in kürzester Zeit aufnehmen. Und trotzdem hat das Album eine eigene Kraft. Nach 40 Jahren noch einmal mit diesen alten Songs zu experimentieren fände ich spannend.
Wie erträgt man es als Musiker, dass die Fans immer die großen Hits hören wollen, über die man selbst vielleicht seit Jahren hinweg ist?
Das ist harte Arbeit. Ich versuche bei Tourneen zu neuen Platten immer, das ganze neue Album zu spielen, auch wenn ich weiß, dass das vielleicht nicht gleich ankommt. Bei der „Nahaufnahme“-Tour war ich sechs Jahre nicht mehr auf der Bühne gewesen, da wollten die Leute nur die alten Knaller hören. Da muss man dann echt moderieren.Spüren Sie vor einer neuen Tour immer noch Versagensangst, wie ganz am Anfang?
Die hat man immer. Aber die Begeisterung, die wir bei der „Alphatier“-Tour in den kleinen Clubs gespürt haben, wo das Publikum auch die neuen Sachen sehr wohlwollend aufgenommen hat, macht das mehr als wett. Da habe ich wieder richtig Lust darauf bekommen, in kleinen Hallen zu spielen, weil man viel näher an den Leuten dran ist. Außerdem ist das Schlager-Publikum, das man automatisch dabei hat, wenn man die Gröl-Nummern in den großen Stadien spielt, seit „Alphatier“ und dem „Unplugged“-Album wieder weg.
Haben Sie mal überlegt, die Erwartungen der Leute gar nicht mehr zu erfüllen: kein „Johnny Walker“ am Ende?
Wenn es mich nicht interessiert, mache ich es auch nicht.
„Sexy“ spielen Sie aber immer…
Ja, aber immer mit Widerwillen. Das ist ein Stimmenkiller. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, immer noch „gefangen zwischen deinen langen Beinen“ zu singen, wenn ich ein alter Sack bin.
Gibt es einen Punkt, an dem Sie sagen würden: Jetzt höre ich auf?
Ja, wenn ich keine Lust mehr hätte und mich die Musik nicht mehr befriedigen würde. In den letzten Jahren habe ich mir diese Frage aber nie gestellt. Heute freue ich mich den ganzen Tag auf ein Konzert. Früher war ich oft nur noch genervt, wenn ich wieder auf die Bühne musste. Das ist der Vorteil, wenn man in meinem Alter ist und sozial einigermaßen gut gestellt: dass man nur noch die Dinge zu tun braucht, auf die man Lust hat.
Die Fragen stellten Martin Benninghoff und Oliver Georgi.