Erschienen bei FAZ.NET (12.10.2018)
Von Martin Benninghoff
Tilman Driessen aus Bonn lehrt derzeit als Dozent an einer privaten Universität in Nordkorea. Wie er dazu gekommen ist und was er dort mit den Studenten erlebt, schildert er exklusiv in Emails aus Pjöngjang.
Wer in Nordkorea war, kennt die Frage, ob man denn überhaupt in dieses abgeschottete Land reisen könne. Die Antwort ist: ja. Die größere Überraschung allerdings: Man kann sogar in Nordkorea arbeiten. Unter Schwierigkeiten und nicht ganz so frei wie auf dem brummenden deutschen Arbeitsmarkt, aber doch erstaunlich einfach. Wenn man denn will.
Einer der wollte, ist Tilman Driessen. Der promovierte Wirtschaftsingenieur aus Bonn, 58, arbeitet seit Jahren als Unternehmensberater und hat nebenbei noch einen Lehrauftrag an einer privaten Hochschule. Seine Idee, seinen Lehrauftrag für drei Monate ausgerechnet an die Privathochschule “Pyongyang University of Science & Technology“ (PUST) nach Pjöngjang zu verlegen, kam ihm im Zuge der dramatischen Geschichte um den 2017 verstorbenen amerikanischen Studenten Otto Warmbier, der nach langer Haftzeit in Nordkorea kurz vor seinem Tod nach Amerika ausgeflogen worden war. Im Nachgang hatte die amerikanische Regierung ihren Bürgern verboten, nach Nordkorea zu reisen. „Daher nahm ich an, dass die PUST qualifizierte Lehrkräfte benötigt.“
Das hat Driessen offenbar ganz richtig eingeschätzt, tatsächlich sucht die private Universität händeringend Wissenschaftler und Dozenten aus dem Ausland, auf der Homepage kann man sich direkt bewerben. Die Offenheit der PUST für den internationalen Wissenschaftler-Markt ist eine dieser Überraschungen, denen man in Nordkorea immer wieder begegnet. Die Hochschule existiert seit 2010, hat eine Partneruni in China und wird von amerikanischen und südkoreanischen evangelikalen Christen durch Spenden finanziert.Gründer der Uni war politischer Gefangener
Der Gründer der Uni ist Kim Chin-kyung. Er wurde 1935 in Seoul geboren, als die beiden Koreas noch zusammengehörten. Für sein Herzensprojekt sammelte er mehr als 35 Millionen Dollar. Die Konstellation ist atemberaubend: Obwohl er eine Großspende der südkoreanischen Regierung bekam und zwischenzeitlich sogar als politischer Gefangener in einem nordkoreanischen Gefängnis saß, erlaubte die Staatsführung um den verstorbenen Diktator Kim Jong-il ihm später, in Nordkoreas Hauptstadt eine Dependance seiner chinesischen Uni aufzubauen. Das Kalkül des Regimes: Wissenstransfer zum Nulltarif aus Ländern, die Nordkorea technologisch und wirtschaftlich weit voraus sind. Driessens Zwischenbilanz nach anderthalb Monaten in Pjöngjang: „Mein Eindruck geht dahin, dass sich – ähnlich wie in China in den Jahren nach Maos Tod – allmählicher Wandel und Öffnung abzeichnen.“
Für den Unternehmensberater, der in Pjöngjang Kurse in Unternehmensgründung und Investition gibt, begann die Reise schon vor dem Abflugtermin Ende August. Nach der Zusage der Uni bekam er ein Handbuch mit Verhaltensknigge zugemailt, das deutlich macht: Die ausländischen Fachkräfte sollen unter sich bleiben und möglichst keinen Kontakt zu den nordkoreanischen Studenten und der sonstigen Bevölkerung bekommen. Sie werden auf dem Unigelände untergebracht, wo es auch eine eigene Infrastruktur mit Wäscherei, Friseur und sogar Internetzugang gibt. Seine Studenten sind die künftige Elite in Politik und Wirtschaft. Da Kim Jong-un bei mehreren Gelegenheiten seinen Willen bekundet hat, in Zukunft stärkeren Wert auf die wirtschaftliche Entwicklung zu legen, kommt der wirtschaftlich-technologischen Expertise der Ausländer besondere Bedeutung zu.
Driessen: „Die Studenten sind sehr qualifiziert und interessiert, offenbar bewusst selektiert, auch wenn der genaue Auswahl-Mechanismus unklar ist. Als weiteres Privileg müssen sie anscheinend keinen Wehrdienst leisten, aber manche tun dies offenbar freiwillig. Im ersten Jahr erhalten sie konzentriert Englischunterricht, daneben auch Chinesisch und Deutsch, letzteres insbesondere für Medizinstudenten. Sie bezahlen nicht für ihr Studium, sondern bekommen (neben kostenlosem Essen und Zimmer) noch ein Taschengeld von circa zehn Euro im Monat, mit dem sie Schreibwaren oder Süßigkeiten kaufen können.“
Laut Driessen dürfen die Studenten das Gelände nur in Ausnahmefällen verlassen. Wie die Dozenten – die allerdings Ausflüge machen dürfen – ist der Campus ihre kleine Lebenswelt.
„Das Universitätsgelände dürfen sie nur in Ausnahmefällen verlassen, es ist quasi ein Internat, die Zimmer haben zwei Doppelstockbetten (also insgesamt 4 Betten) in einem Raum von circa 20 Quadratmeter. Sie tragen eine Universitätsuniform mit schwarzem Rock oder Hose, weißem Hemd und roter Krawatte für die Herren. Erst nach Graduation dürfen die Studenten sich nach Wunsch kleiden.“
Nordkoreas Gesellschaft ist trotz der sozialistischen und in der Theorie progressiv-emanzipatorischen Ideologie durch und durch patriarchalisch organisiert. Das schlägt sich auch in der Uni nieder, wo zumindest bei der Einführungsveranstaltung nach Angaben von Driessen nur fünf bis zehn Prozent der Studierenden weiblich waren. Egal ob männlich oder weiblich – die jungen Leute marschieren in Kolonnen zum Frühstück, Mittag- und Abendessen, stehen zu Beginn der Stunde auf und setzen sich erst nach Aufforderung. „Ein Charme und eine Ehrerbietung, der man sich als Hochschullehrer kaum entziehen kann, im Vergleich zur laxen Einstellung der Studenten in Deutschland“, meint Driessen.
In einem derart durchreglementierten System lauern überall Fettnäpfchen, auch davon weiß der Dozent aus Bonn zu berichten:
„Neulich ist mir ist ein Faux-pas unterlaufen, ich hatte Notizen an der Tafel abfotografiert und dabei versehentlich nur die untere Hälfte der Fotos der Staatslenker Kim Il-sung und Kim Jong-il aufgenommen, die über der Tafel hängen. Der „Monitor“, das ist der Leiter der Klassengemeinschaft, dem ich meine zur Übergabe an die Studenten gedachten Unterlagen vorab gebe und der sie prüfen lässt, hatte gleich den korrekten Verdacht, machte mich darauf aufmerksam, bat die Fotos zu sehen und forderte mich auf, das inkriminierte Foto zu löschen, was ich auch tat. Und im Kurs Investition kamen wir auf Mode zu sprechen, und ich zeigte Bilder des im Westen aktuellen Stils durchlöcherter Jeans, was aber auf Ablehnung stieß: ‚Wollen wir nicht sehen‘, ‚überspringen‘.“
Kann man aus Menschen, die in einer Planwirtschaft großwerden, in einigen wenigen Kursen Marktkapitalisten machen? Ganz so einfach ist es nicht: Denn trotz zarter marktwirtschaftlicher Pflänzchen – so zum Beispiel die Vielzahl der geduldeten Märkte – bleibt Nordkorea ein monolithisches Ein-Parteien-System, das von oben nach unten regiert wird und wenig Platz für Eigeninitiative bietet. Wie findet sich hier der Unternehmensberater zurecht?
„Unternehmertum kann man eigentlich kaum lehren – man liest nicht ein Buch oder macht eine Prüfung und ist dann Unternehmer, man muss es praktizieren. Deshalb haben wir jetzt einen Lieferservice für Pizza und andere Lebensmittel durch die Studenten beantragt, die gleich ‚kalte Nudeln‘ als weiteres Angebot vorgeschlagen haben, eine Pjöngjang-Spezialität, die mich vielleicht noch dereinst überzeugt. Viele Dozenten haben schon mitgeteilt, dass sie dies gern nutzen würden. Denn so ein Dienst erfordert kaum Kapital (allenfalls für die Zeit von der Bezahlung des Lieferanten am Eingangstor bis zu Bezahlung durch den Kunden), es gibt kaum Risiken – mal sehen, ob es genehmigt wird.“
Solche Ideen müssen genehmigt werden, nur wenig darf selbstständig entschieden werden. Wie groß die Sorge der Uni und der Behörden vor zu starkem ausländischen Einfluss ist, zeigt sich im Verhaltensknigge, den Driessen vor Beginn seiner Tätigkeit bekam: „Private Eins-zu-Eins-Konversationen mit Studenten sind strengstens verboten“, heißt es darin. Wenn ein Dozent dennoch aus vielleicht nur fachlichen Gründen mit einem Studenten sprechen müsse, so solle man sicherstellen, dass er oder sie einen Freund mitbringt – oder sich gleich das Treffen durch den “Monitor“ arrangieren lassen, dann eben mit Aufsicht. Damit alles seine Ordnung hat in dem Land, das sich zaghaft öffnet – und gleich wieder verschließt.