Erschienen bei FAZ.NET (07.02.2019)
Ende Februar treffen sich Nordkoreas Machthaber und Amerikas Präsident zum zweiten Mal. Mit einer symbolischen Erklärung wird sich dieses Mal keiner abspeisen lassen, sagt Nordkorea-Forscher Eric Ballbach im Interview.
Von Martin Benninghoff
Herr Ballbach, Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und Amerikas Präsident Donald Trump treffen sich Ende Februar zu einem zweiten Gipfel, dieses Mal nicht in Singapur, sondern in Vietnam. Warum dort?
Ballbach: Eine grundsätzliche Voraussetzung ist das Vorhandensein von diplomatischen Beziehungen mit dem „Ausrichter“ solcher Dialoge sowie einhergehend einer nordkoreanischen Botschaft vor Ort, über die entsprechende Vorbereitungen abgewickelt werden können. Dazu kommen weitere Überlegungen wie Start- und Landerecht, so denn Kim Jong-un überhaupt mit der nordkoreanischen Fluggesellschaft Air Koryo fliegt – nach Singapur wurde er ja bekanntlich von einer Air-China-Maschine gebracht.
Beim letzten Gipfeltreffen war das Ergebnis eine dünne Abschlusserklärung mit kaum greifbaren Ergebnissen. Jetzt müssen die beiden Verhandler mehr liefern. Was wäre ein Erfolg?
Es kommt darauf an, wie man Erfolg definiert. Wir müssen uns darüber klar sein, dass sich der gegenwärtige Verhandlungsprozess ganz grundlegend von allen Prozessen in der Vergangenheit unterscheidet. Es ist ein Prozess, bei dem über die Gipfeldiplomatie der beiden Staatsoberhäupter ein grober Rahmen vorgegeben wird, die dann auf Arbeitsebene umgesetzt werden sollen. Man darf nicht den Fehler machen, die jetzigen Abkommen mit den weitaus detaillierten der Vergangenheit zu vergleichen, da die Prozesse schlichtweg völlig unterschiedlich sind.
Was hat sich noch geändert?
Ich selbst war vergangenen Monat bei dem Treffen zwischen Nordkorea, Südkorea und Amerika in Schweden dabei und habe erlebt, dass der gegenwärtige Verhandlungsprozess von allen Seiten als der bisher vielversprechendste empfunden wurde. Dies ist vor allem auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Verhandlungsführer in der Vergangenheit mit „gefesselten Händen“ verhandelt haben – man wusste schlichtweg nie, wie weit man gehen konnte und musste jeden noch so kleinen Schritt vorwärts von Washington und Pjöngjang absegnen lassen. Insofern sind sich die beteiligten Parteien einig, dass dieses Mal ein weitaus freieres Verhandeln möglich ist, da der politische Wille und konkrete politische Ziele von oben vorab abgesegnet sind. In diesem Prozess geht es dann auch nicht darum, den einen großen Durchbruch zu erzielen, sondern darum, politische Übereinstimmung auf höchster Ebene in konkreten Bereichen zu erreichen und diese dann sukzessive auf den unteren Ebenen umzusetzen.
Welche Erfolge sind möglich, welche wahrscheinlich: Eine Friedenserklärung, die den Weg ebnen könnte zu einem formalen Friedensvertrag?
Tatsächlich wird die Möglichkeit geprüft, dass es zu einer gemeinsamen Deklaration zur Beendigung des Koreakrieges zwischen Amerika und Nordkorea kommen könnte. Dabei besteht selbstverständlich Einigkeit darüber, dass eine solche Erklärung im Anschluss in einem Multiparteiendialog zu einem völkerrechtlich gültigen Friedensvertrag umgewandelt werden muss. Dies würde dann auch die Partizipation Chinas, Südkoreas und der Vereinten Nationen notwendig machen. Aber eine Deklaration zwischen Nordkorea und Amerika würde diesen Prozess sicherlich beschleunigen.
Ein Fahrplan zur Denuklearisierung Koreas inklusive einer detaillierten Bestandsliste, welche Atomwaffen und welche Langstreckenraketen Kim in seinen Waffenlagern hat?
Hier sehe ich ein Umdenken in Pjöngjang, wo man lange Zeit auf einem mehrstufigen Phasenprozess beharrte, der in einem ersten Schritt die Vertrauensbildung und Normalisierung der Beziehungen, in einem zweiten Schritt die Friedensbildung in Korea, und erst in einem dritten Schritt die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel vorsah. Es scheint, als hätten sich Amerika und Nordkorea darauf verständigt, dass alle Prozesse parallel vorangetrieben werden müssen, dass es auch der kurzfristigen Erfolge bedarf – und so betrachtet wäre die Deklaration zur Beendigung des Koreakrieges sicherlich ein wichtiger Schritt, um dann im Anschluss auch den Prozess der Ausarbeitung eines formellen Friedensvertrages vorzubereiten. Die Inspektionen unter internationaler Aufsicht werden ohne Zweifel diskutiert, ob dies bereits beim Gipfel als konkreter Punkt aufgenommen wird, bleibt jedoch abzuwarten.
Für Amerika ist der Punkt von geringerer Bedeutung, für die Südkoreaner umso wichtiger: Wie steht es um die Abrüstung des gigantischen Arsenals konventioneller Waffen Nordkoreas?
Die konventionelle Bewaffnung ist schlichtweg nicht der Punkt, der für Amerika von gesteigertem Interesse ist. Hier geht es ganz klar um das Nuklearprogramm und vor allem auch die Trägersysteme.
Gibt es weitere Aspekte, bei denen Fortschritte zu erwarten sind?
Derzeit wird vor allem die Erleichterung für die humanitäre Hilfe diskutiert, und Washington bewegt sich in diesem Punkt ganz konkret. So hat man sich bereits darauf verständigt, konkrete Schritte zu unternehmen, um zwischen dem Sanktionskomitee des UN-Sicherheitsrates und den humanitären Hilfsorganisationen zu vermitteln. Dies ist dringend notwendig, da die Sanktionen – die zwar humanitäre Hilfe explizit ausklammern – in der Realität sehr viel nicht-intendierte Konsequenzen für die humanitäre Hilfe nach sich ziehen, zum Beispiel durch das Abschneiden Nordkoreas vom internationalen Zahlungsverkehr.
Welche Anreize für Kim könnte Trump mitbringen?
Sanktionserleichterungen sind ohne Zweifel ein von Nordkora primär angestrebtes Ziel. Ob sich Amerika jedoch bereits im Rahmen des bevorstehenden Gipfels darauf verpflichtet, ist schwer abzuschätzen. Es gibt Überlegungen in Washington, bestimmte nicht-strategische Bereiche perspektivisch aus den Sanktionen auszunehmen, aber angesichts der Tatsache, dass diese Sanktionen das primäre Druckmittel der internationalen Gemeinschaft sind, würde ich keine konkreten Zusagen im Rahmen des Gipfels erwarten. Was informell vereinbart wird und nicht in eine Gipfelerklärung aufgenommen wird, ist jedoch eine ganz andere Sache. Hinter den Kulissen wird sehr viel darüber gesprochen, was alles möglich wird, wenn die Nuklearfrage gelöst ist.
Manche erwarten Investitionen in den Tourismussektor zum Beispiel.
Da der Nordkorea-Tourismus jedoch vor allem auf Südkorea und China abzielt, sind hier keine konkreten Versprechen seitens Amerikas zu erwarten. Vielmehr geht es um den formellen Handel und vor allem um Nordkoreas „Zugriff“ auf internationale und regionale Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds oder der Asia Development Bank.
Und wenn der Gipfel doch nur eine weitere Erklärung des guten Willens produziert?
Wie bereits angedeutet, dürfen und können wir den gegenwärtigen Prozess nicht mit vorherigen Prozessen gleichsetzen. Die Gespräche hinter den Kulissen sind an einem anderen Punkt als man dies von außen vermuten könnte. Und so betrachtet sind auch Erklärungen des guten Willens wichtig, wenn auch selbstverständlich nicht ausreichend. Viel wichtiger ist , was nach dem Gipfel passiert. Ich selbst erwarte nicht nur eine Guter-Wille-Erklärung, aber wie gesagt, das Ziel der Gipfeldiplomatie ist nicht das detaillierte Abkommen, sondern grobe Rahmenerklärungen, die den politischen Willen auf höchster Ebene untermauern sollen.
Dennoch, die Geschichte zeigt auch, dass optimistische Erwartungen mehr als einmal bereits enttäuscht wurden. Wie groß ist die Gefahr, dass die Verhandlungen scheitern?
Die positiven Entwicklungen im Hintergrund sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor eine Vielzahl von Fallstricken existieren, die den gegenwärtigen Prozess auch wieder zum Erliegen bringen können. Gleichwohl dürfen wir nicht den Fehler begehen, den gegenwärtigen Prozess durch die allgemeine Ablehnung von und Kritik an Donald Trump vorschnell zu verurteilen. Ob beabsichtigt oder nicht, der gegenwärtige Prozess hat in der Tat ein „window of opportunity“ geöffnet, also eine Art Fenster zur Gelegenheit, das es jetzt gilt zu nutzen. Und hier ist dringend auch die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gefragt. Die EU bleibt jedoch nach wie vor bei ihrer strikten „active pressure“-Strategie, die ich aus mehreren Gründen für falsch halte. Einzelne EU-Staaten wie beispielsweise Schweden haben jedoch bereits wichtige Beiträge geleistet und gezeigt, wie eine europäische Unterstützung aussehen kann.