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Zensurvorwurf Özkan – unehrlich und ärgerlich

Da hat Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) zu viel gewollt, als sie Journalisten auf eine Mediencharta verpflichten wollte, damit mehr über Integration geschrieben und berichtet wird (zu den Hintergründen folgt unten eine Agenturmeldung, auch: http://www.tagesschau.de/inland/integration116.html).

Gleich vorweg: Ihr Vorschlag ist unsinnig und noch dazu unnötig. Nicht weil die deutschen Medien immer so ausgewogen über Integrationsthemen berichten („bad news are good news“), sondern weil sie sich hätte vorstellen müssen, dass sich Journalisten nicht sagen lassen, was sie zu schreiben haben. Egal, dass die Mediencharta nichts mit einer wahren Zensur zu tun hat (eine Zensur kennt keine Selbstverpflichtung) – mit einer solchen unbedachten Forderung sticht man direkt ins Herz der Journalisten: Und dieses Herz ist die Vorstellung von Unabhängigkeit. Eine Vorstellung, die nicht immer realistisch ist, aber dennoch zum Berufsethos gehört.

Gut, die Forderung Özkans ist also wenig klug.

Aber warum die Aufregung?

Wir sind doch gewohnt, dass Landesminister im Sommerloch merkwürdige Vorschläge machen.

Weil die Ministerin die türkischstämmige Aygül Özkan ist.

Ich habe heute eine Mail weitergeleitet bekommen – eine Rundmail -, in der die anonymen Autoren Folgendes zum Besten gaben:  „Na gut, es könnte auch sein, dass Aygül Özkan auch einfach nur die Sache mit der Integration falsch verstanden hat. Denn auch die Türkei hat ja so ihre Probleme mit der Pressefreiheit. Vielleicht will die niedersächsische Familienministerin also einfach türkische Zustände in Deutschland schaffen.“

An dem Zitat kann man ganz gut den Stand der Debatte ablesen:

Özkan wird von vielen Seiten als Eindringling gesehen, weil sie türkischstämmig ist. Wenn ihr der 87-jährige Ralph Giordano vorwirft, er habe sie noch „in unguter Erinnerung mit ihrer Forderung, das Kruzifix in Klassenzimmern abzuhängen“ schwingt darin der Vorwurf mit: Die darf das nicht! Die ist Türkin! Muslima! Wenn Özkan vor den Latz geknallt bekommt, sie wolle „türkische Zustände“ in Deutschland schaffen, schwingt mit: Die darf das nicht! Die ist Türkin! Muslima!

Dabei ist Özkan eine Deutsche, die 1971 in Hamburg geboren worden ist. Sie hat dort ein deutsches Gymnasium besucht und sich hochgearbeitet. Sie ist heute mit einem Frauenarzt verheiratet, ebenfalls türkischstämmig, und sie hat einen Sohn, den sie zweisprachig erzieht („Das Beste aus beiden Welten“).

Also bitte, Leute:

1. Wenn Ihr sie wegen ihrer Mediencharta kritisieren wollt, dann bin ich bei Euch. Das ist ein ziemlich dämlicher Vorschlag.

2. Wenn wir darüber diskutieren wollen, ob die deutschen Medien vernünftig über Integrationsthemen berichten, sollten wir das hier tun.

3. Wenn wir aber nicht bald begreifen, dass die Ethnie oder Herkunft keine Rolle spielt, sondern einzig und allein – im Wirtschaftsjargon – die Leistung des Menschen, laufen wir voll gegen die Wand. Weil sonst die Leistungsträger dorthin gehen, wo man ihre Fähigkeiten schätzt.

4. Gut, und wenn wir dann mit der Leistung Özkans unzufrieden sind, lasst uns sie kritisieren – aber bitte nicht, indem wir sie als Ausländerin oder sonstwas behandeln und titulieren.

5. Und wenn Özkan der Meinung ist, die Medien berichteten zu schlecht über Integrationsthemen, wäre eine solche undifferenzierte Antwort wie in dem Mailzitat oben letztlich nur eine Bestätigung ihrer These.

Viele Grüße,

Martin   

Für den Hintergrund eine Agenturmeldung:

Hannover (ddp). Der Plan von Niedersachsens Sozialministerin Aygül
Özkan (CDU), die Medien des Landes auf eine Charta zum Thema
Integration zu verpflichten, stößt auf scharfe Kritik.
Medienvertreter und Verbände bezeichneten eine solche Vorgabe als
„absolut überflüssig“. Die SPD sprach von Zensur. Unterdessen räumte
Özkan Fehler in ihrem Ministerium ein und machte klar, dass sie
keinesfalls beabsichtigt habe, den Medien einen „Maulkorb“ zu
verpassen.

Mit ihren Plänen will Özkan die Medien mithilfe einer
Selbstverpflichtung offenbar dazu bringen, mehr über das Thema
Integration zu berichten. Unterzeichner dieser Mediencharta sollen
sich demnach verpflichten, über Sachverhalte und Herausforderungen
der Integration zu berichten und „den Integrationsprozess in
Niedersachsen nachhaltig zu unterstützen“. Zudem sagen sie zu,
künftig beim Thema Integration eine „kultursensible Sprache“
anzuwenden.

Özkan betonte, dass es sich bei der „Mediencharta für
Niedersachsen“ jedoch lediglich um eine Diskussionsgrundlage für
einen Runden Tisch im August zum Thema „Integration und Medien“
handle. Die Fachabteilung habe den Entwurf verschickt, damit alle
eine „gemeinsame Gesprächsbasis“ hätten, so die Ministerin.
Allerdings mache der Text der Mail, mit dem der Entwurf versandt
wurde, offenbar den „vorgesehenen Abstimmungsprozess“ nicht deutlich,
räumte Özkan ein.

„Nichts liegt mir ferner, als die Unabhängigkeit der Medien in
irgendeiner Form zu berühren“, sagte die Ministerin, die bereits
wegen ihrer umstrittenen Kruzifix-Äußerungen vor ihrer Vereidigung
als Ministerin in die Schlagzeilen geraten war. Es gehe nicht darum,
den niedersächsischen Medien einen „Maulkorb“ zu verpassen.

Die SPD zeigte sich über die Charta „fassungslos“ und bezeichnete
die Pläne als „Zensur“. Sicherlich sei es wünschenswert, das Thema
Integration mehr in den Mittelpunkt zu rücken, sagte die kultur- und
medienpolitische Sprecherin der SPD, Daniela Behrens. „Aber dann muss
man das durch politisches Handeln erreichen. Medien können nur über
das berichten, was auch passiert.“ Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel
forderte die Landesregierung auf, Pläne für eine „verbindliche
Sprachregelung“ zu beerdigen.

Auch die Medienvertreter im Land halten nicht viel von Özkans
Vorschlägen. „Die Ministerin tut sich keinen Gefallen, wenn sie den
Eindruck erweckt, dass die Medien an die Hand genommen werden
müssen“, sagte Matthias Koch, Stellvertreter des Chefredakteurs bei
der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“.

   Der NDR hält eine zusätzliche Selbstverpflichtung der Medien zum
Thema Integration für überflüssig. „So gut gemeint der Vorschlag
einer niedersächsischen Mediencharta gemeint sein mag, so
problematisch erscheint uns der Vorgang, dass Medienvertreter eine in
einem Ministerium formulierte Verpflichtungserklärung abzeichnen
sollen. Dies ist mit unseren Vorstellungen von unabhängigem,
verantwortungsvollem Journalismus nicht vereinbar“, sagte
NDR-Sprecher Martin Gartzke.

„Journalisten sind sich auch ohne Hinweis der Ministerin der
Bedeutung des Themas Integration bewusst“, sagte auch der Vorstand
des DJV Niedersachsen, Michael Bohl, und verwies auf den Pressekodex.
Eine Sprecherin des Deutschen Presserates nannte es grundsätzlich
schwierig, wenn staatliche Stellen sich einmischten und
journalistische Sprache auswählen wollten. Pressefreiheit habe auch
mit einer gewissen Staatsferne zu tun.

   Auch sie verwies auf den Pressekodex, wo in Ziffer 12 deutlich
gesagt werde, dass niemand wegen seines Geschlechts, einer
Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen,
religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden
dürfe. Nach ihren Angaben haben sich über 90 Prozent der Verlage in
einer Selbstverpflichtung zum Pressekodex bekannt.

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