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Zurück in Deutschland: Wulff und der Islam

Von Martin Benninghoff

Vor wenigen Tagen bin ich zurückgekommen von der China-Tournee mit meiner Band THE SMU. Interessant war, nur wenig hat sich geändert in den Tagen meiner Abwesenheit: Nach wie vor ist Integration das beherrschende Thema in den Medien, allerdings mit einem leicht abgewandelten Fokus nach der Sarrazin-Debatte, denn dieses Mal dreht sich die Debatte um die Äußerungen unseres Bundespräsidenten Christian Wulff. Dieser hatte sich in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit mit der Frage beschäftigt, was uns Deutsche eigentlich zusammenhält. Bei seinen Überlegungen stellte er unter anderem fest, dass er auch der Präsident der Muslime in Deutschland sein möchte.

Die Stelle in seinem Redemanuskript lautet:

Wenn mir deutsche Musliminnen und Muslime schreiben: „Sie sind unser Präsident“ – dann antworte ich aus vollem Herzen: Ja, natürlich bin ich Ihr Präsident! Und zwar mit der Leidenschaft und Überzeugung, mit der ich der Präsident aller Menschen bin, die hier in Deutschland leben.

Etwas Ähnliches hatte seinerzeit übrigens auch Johannes Rau schon gesagt. Kontrovers wurde es erst, als Wulff auch dieses sagte:

Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland. Vor fast 200 Jahren hat es Johann Wolfgang von Goethe in seinem West-östlichen Divan zum Ausdruck gebracht: „Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“

Ein bewerkenswerter Absatz für einen christdemokratischen Politiker, der es sich nicht ganz mit seinen Parteigenossen, auch wenn seine Parteimitgliedschaft derzeit ruht, verscherzen möchte. Es ist ein umso erstaunlicherer Absatz, weil er viel Wahres aussagt und dennoch etwas Falsches in sich birgt.

Erst zum Wahren:

In China war ich eingeladen als Gast beim „Kölner Kulturtag“, der unter der Schirmherrschaft des Kölner Oberbürgermeisters Jürgen Roters im Nationaltheater Peking stattfand. Treibende Kraft bei der Veranstaltung, die eigentlich dazu dienen sollte, Köln in China bekannt zu machen, war der große Karnevalsverein Die Roten Funken. Diese große Gruppe marschierte in Uniformen ins Nationaltheater ein, zeigte den Chinesen „Stippeföttche“, eine Art Tanz, bei dem sich die Uniformierten die Hintern aneinanderreiben, und zog ansonsten ein Programm durch, das sie so und nicht anders auch in Köln-Rodenkirchen oder -Lindenthal aufführt; nur mit dem Unterschied: In Peking steckten die Uniformierten einen Chinesen in Uniform und ließen ihn mitmachen, woraufhin der Vorsitzende der Funken ins Mikrofon bellte, dies sei „gelebte Völkerverständigung.“ Bis zur Hälfte der Veranstaltung leerte sich der Saal, weil viele Chinesen das Weite suchten. Offensichtlich kam diese „gelebte Völkerverständigung“ nicht so gut an. Zwar hatte die Olympionikin Britta Heidemann den Reigen übersetzt, aber die Roten Funken bemühten sich überhaupt nicht, ihr Programm auch nur ansatzweise der veränderten Umgebung anzupassen – kaum ein gelerntes Wort Chinesisch ging über ihre Lippen, was als Akt des Respekts gerade in China absolut vonnöten gewesen wäre und auch dankbar aufgenommen worden wäre. Eine Kegelverein, der seine kölsche Suppe wie gehabt löffelt, dieses Mal eben nur in einer Eckkneipe namens Peking.

Warum ich diese Episode erzähle? Diese Menschen, die im Ernst glauben, auch nur ansatzweise „völkerverständig“ und „völkerverständigend“ zu sein, haben in Wahrheit nur wenig begriffen. Sie fahren ihr Programm immer weiter und merken nicht, dass sich ihre Umgebung verändert hat. Ähnlich ist es mit jenen, die, wie jetzt, Wulff dafür kritisieren, dass dieser die Veränderung Deutschlands angesprochen hat: Wulff hat zurecht darauf hingewiesen: Die Geschichte Deutschlands ist vor allem eine christliche und eine jüdische. Aber eben mittlerweile auch eine, die durch Migration bestimmt ist. Und mit den Migranten kamen neue Religionen und Kulturauslegungen, wie das Sunnitentum, Schiitentum und Alevitentum und die Ba’hai, aber auch der Buddhismus, Hinduismus. Es ist also ein Akt der Vernunft, diese Entwicklung der vergangenen sechzig Jahre wahrzunehmen. Wer also immer noch glaubt, Deutschland sei „nur“ christlich und jüdisch geprägt, irrt heute gewaltiger denn je; Wulff hat dezent darauf hingewiesen, indem er Goethe und dessen Äußerungen zum Orient und Okzident zitierte. Schon zu Goethes Zeiten war der Islam in Europa ein Begriff und mehr noch: mit Europa verbunden, wenn wir an die islamische Prägung etwa in Südspanien oder auf dem Balkan denken.

Aber im Eifer der Richtigstellung begeht der Bundespräsident einen Fehler, den derzeit viele, auch Journalisten, begehen: Er denkt zwar an die Muslime, spricht aber vom Islam. Der Bundespräsident denkt an die Muslime, möchte sie einbeziehen, spricht aber direkt weiter vom Islam. Und tut damit so, als sei (a) der Islam etwas Einheitliches und (b) etwas, das ein Teil von Deutschland werden könne. Ein Trugschluss. Muslime, das heißt die Menschen, sind ein Teil Deutschlands. Der Islam als Gruppenreligion kann niemals pauschal einer säkularen Gesellschaft zugehörig sein (es sei denn, man gründet einen Gottesstaat), sondern nur der einzelne Mensch. Und bei der Betrachtung des Menschen spielt auch dessen Religion eine Rolle, die allerdings von Mann zu Frau zu Jugendlichem höchst unterschiedlich ausgeübt wird.

Die Überstülpung des Einzelnen mit Religion ist das eigentliche Grundübel, das sich auch in Wulffs Worten widerfindet (dabei ist ihm das wahrscheinlich nicht bewusst). Im Kern ist Europa unter anderem auch durch das Christentum, das Judentum und einige islamische Strömungen in den vergangenen Jahrzehnten beeinflusst und geprägt. Aber machen wir uns nichts vor: Weder die eine noch die andere Religion hat wesentlich zum Aufbau eines liberalen Rechtstaats beigetragen, mit Ausnahme der sozialen Komponenten (christlichen Sozialethiken und -lehren, auch: islamische Sozialphilosophien und jüdische Komponenten des Miteinanders). Große Teile unseres heutigen Toleranzverständisses wurzeln in aufklärerischen und weltlichen Quellen der Bürgergesellschaft, nicht aber in den Gralshütern der Religionen.

Dieses Missverständnis führt in der Praxis zu merkwürdigen Schlussfolgerungen, die kaum noch hinterfragt werden, wie hier in der Rede des Bundespräsidenten, der fordert: Integrations- und Sprachkurse für die ganze Familie, Unterrichtsangebote in Muttersprachen, islamischen Religionsunterricht von hier ausgebildeten Lehrern und selbstverständlich in deutscher Sprache.

Wulff glaubt wie viele andere, dass ein Mehr an Religion in Form eines staatlichen islamischen Religionsunterrichts zu besseren Integrationsergebnissen führt. Das kann nur behaupten, wer zugleich glaubt, dass der Islam etwas Wesentliches zum Demokratieverständnis eines modernen Staates wie Deutschland beitragen kann; Ähnliches würde wohl kaum jemand über evangelischen oder katholischen Religionsunterricht behaupten, warum also beim Islamunterricht?

Immerhin, da möchte ich eine Lanze für Wulff brechen: Entgegen meiner früheren Einschätzung, dieser Präsident sei blass und blasser, hat er jetzt schon etwas geschafft, was sein Vorgänger hat nach meinem Geschmack vermissen lassen: eine wichtige Diskussion anzustoßen. Und diese Diskussion dreht sich jetzt nicht um die Frage der „Bild“, wie viel Islam verträgt Deutschland, sondern um die viel wichtigere Frage: Wie viel Religion verträgt Deutschland? Mit einer Antwort auf die zweite Frage wäre auch die erste gleich mitbeantwortet.

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