Von Martin Benninghoff
Ich finde, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, hat recht mit seiner Äußerung zum Thema Wulff und Islam: „Die hierzulande lebenden Moslems sind Teil unserer Gesellschaft. Daher gehört natürlich auch ihre Religion in dieses Land.“ Kramer fordert pragmatische Konzepte, wie eine plurale Gesellschaft zukunftsfähig gemacht werden könne. Stattdessen holten Wulff-Kritiker „propagandistische Phrasen aus der politischen Mottenkiste, die den Eindruck erwecken, Deutschland stünde unmittelbar vor der Wahl zwischen Grundgesetz und Scharia“.
Da hat Kramer sicher recht, was Wulffs Äußerung angeht. Als hätte der Bundespräsident gefordert, die Scharia neben dem Grundgesetz anzuerkennen…Übrigens: Wer weiß eigentlich, was die Scharia ist? Die Scharia ist eine Sammlung rechtlicher Vorschriften aus religiösen Quellen, die sehr unterschiedlich interpretiert werden. Die Scharia ist deshalb auch von Land zu Land, in der sie gilt, sehr unterschiedlich ausgelegt. Aber das nur am Rande…
Vor diesem Hintergrund ist die Aufregung mancher Konservativer, die jetzt das „christlich-jüdische Abendland“ in Stellung gegen „den Islam“ bringen, nur ein schwachbrüstiger Versuch, die Augen weiterhin vor einer Pluralisierung der Gesellschaft zu verschließen.
Die logische Konsequenz dieser Schwarz-Weiß-Malerei sind nun auf der anderen Seite die Versuche von Dieter Wiefelspütz und anderen Politikern, „den Islam“ als Religionsgemeinschaft anzuerkennen. In diesen Tagen wird einmal mehr so getan, als seien „die vier Millionen Muslime in Deutschland“ darauf aus, in einen großen Sack namens Islam gesteckt zu werden – ein hahnebüchener Unsinn. Ich kenne schon eine Vielzahl zum Beispiel alevitischer Menschen in Deutschland, denen es vor der Aussicht, in einen Sack mit dem Islamrat oder anderen ultra-rückwärtsgewandten Islamverbänden gesteckt zu werden, graut. Und auch Sunniten, für die Religion ein privates Mittel der Erbauung und Spiritualität ist, haben Angst vor einer weiteren krakenhaften Durchrankung unserer Gesellschaft mit Religion und dem, was manche Funktionäre als Islam darstellen. Wäre es nicht an der Zeit, diese Ängste wahrzunehmen?
Stattdessen tun viele Politiker geradewegs so, als sei eine Stärkung der Religion eine Art Königsweg der Integration. Wer das glaubt, soll sich zumindest mal die programmatischen Aussagen mancher Verbände, wie etwa der Islamischen Gemeinde Deutschlands (IGD), anschauen, die Gründungsmitglied im Zentralrat der Muslime ist.
Übrigens: Die Ansichten so mancher Rechts-Außen-CSU-Politiker in punkto Familienbild und Frauengleichstellung dürften sich gar nicht so stark von jenen der IGD unterscheiden…