Aktuelle Rezension zum Buch „Aufstand der Kopftuchmädchen“, erschienen am 26.01.2011.
Von Astrid Wirtz
Auch dieses ist ein aufgeregtes Buch über den Islam. Aber von der Sorte Aufregung, die über den Verstand läuft und deshalb besser als zutiefst engagiert beschrieben werden muss. Denn Lale Akgün, die ehemalige Kölner Bundestagsabgeordnete und Islambeauftragte der SPD schreibt als Muslimin sozusagen in eigener Sache. „Aufstand der Kopftuchmädchen“, das sie jetzt zusammen mit Martin Benninghoff vorlegt, ist ein kleines alltagstaugliches Lehrbuch über einen aufgeklärten und von rein historischen Bedeutungen entrümpelten Islam, fachlich begleitet und inspiriert durch Beyza Bilgin, ehemalige Dekanin der theologischen Fakultät Ankara.
Lale Akgün wollte schon als Politikerin einem modernen Islam ihre Stimme geben, eine Stimme, die sich den vorwiegend konservativen bis ultraorthodoxen islamischen Verbänden entgegenstellt. Denn gerade diese Verbände sind es, die das Bild des Islam in der Öffentlichkeit prägen. Und das darf ihrer Meinung nach nicht länger geschehen.
Der Islam werde nur dann zur Normalität in Deutschland, „wenn sich die modernen Muslime durchsetzten“. Auf Dauer könne hier keine Religion wirken, die Gegensätze zu den Grundwerten dieses Landes aufbaut. Deshalb, so Akgün, gehe es nicht um den Kulturkampf zwischen dem Islam und dem Westen. Der kulturelle Graben verlaufe vielmehr zwischen den Modernen und den Ewiggestrigen. Und die hat sie sowohl beim Zentralrat der Muslime als auch bei der Ditib und erst recht bei den Ultraorthodoxen im Visier. Zu eng verknüpften diese den Islam noch immer mit einer religiös geprägten Lebensweise, deren Regeln sie den Texten aus dem 7. Jahrhundert entnähmen. Der Koran sei das „Wort Gottes, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort an eine bestimmte Person, den Propheten Mohammed, gerichtet.“ Er könne deshalb auf die soziale Ordnung im 21. Jahrhundert keine Antwort geben. Und das sei auch nicht seine Aufgabe.
Welche Blüten die unhistorische Lesart des Korans hervorbringen kann, erläutert sie an den Ausführungen des Kölner Predigers Pierre Vogel. Auf seiner homepage „Einladung zum Paradies“ gehe er der Frage nach, ob im Islam Frauen Auto fahren dürfen. Für Vogel komme nur der Koran als Quelle der Beweisführung infrage. Und da das Fahren dort keine Erwähnung finde, sei es auch erlaubt. „In einem Text, der 1400 Jahre alt ist.“ Deutschland sucht die „Autosure“, wie Akgün bitter ironisch bemerkt.
Natürlich sind sich die Autoren klar darüber, dass dies einen Extremfall darstellt. Aber auch in Fragen des Kopftuchs für Frauen, der Verheiratung mit einem Andersgläubigen oder Sex vor der Ehe würde in den Moscheen viel „Überzeugungsarbeit“ geleistet. Kleinen Mädchen, behauptet Akgün, erzählten manche Imame, dass sich jedes einzelne Haar, das sichtbar werde, nach dem Tod in der Hölle in eine Schlange verwandelt. „Wer will das schon?“.
„Frauen (und Männer) sollten sich aus Überzeugung an die von Allah offenbarten Kleidervorschriften halten“, heiße es beim Zentralrat der Muslime. Bei Akgün ist viel Verve dabei, wenn sie den Herren dann den ersten Vers der Sure 24 um die Ohren haut, der auch die gläubigen Männer daran erinnert, dass sie ihren Blick senken und auf ihre Keuschheit achten sollen. Bei denen aber werde gern ein Auge zugedrückt.
Verhängnisvoll findet sie die Tendenz der Moscheevereine, für ihre Anhänger die Identität als Muslime in den Vordergrund zu stellen. Um den Einfluss der Islamverbände zu schwächen, plädiert die SPD-Politikerin deshalb für eine deutlichere Trennung von Religion und Staat in Deutschland – und damit auch gegen den geplanten bekenntnishaften Islamunterricht an den Schulen.
Oft ist Wut dabei, wenn die Autorin über die Anmaßungen der religiösen Wortführer berichtet, und mitunter gleiten die Formulierungen auch leicht ins arg Populistische ab. Recht hat sie aber, wenn sie mit drastischen Beispielen feststellt, wie leicht Religiöses in den Dienst männerdominierter Familien- und Machtstrukturen gestellt wird. Mutig entlarvt sie mit Hilfe theologischer Auslegung Machogehabe und Bigotterie . So den 18-Jährigen, der seiner Lehrerin bei der Übergabe des Abiturzeugnisses nicht die Hand geben will. Oder relativiert die Bedeutung von Minaretten vor dem Hintergrund moderner Weckmethoden.
Lale Akgün hat ein mutiges Buch geschrieben. Das Buch einer modernen deutschen Frau über die Sicht eines Islam, wie er auch international noch zu wenig verbreitet wird. Einen Islam, der auch ihr Leben bereichert. Anders aber als von manchem Imam in Deutschland verfochten.