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Geschäfte mit Allahs Geboten

Von Martin Benninghoff (Kölner Stadt-Anzeiger)

KÖLN – Es ist nicht leicht, Canan Karadag ans Telefon zu bekommen: Mal ist der umtriebige Inhaber und Geschäftsführer der Karadag Supermarkt AG mit dem Einkauf beschäftigt, mit Rechnungen, Bilanzen und Personalfragen, mal steht er selbst hinter der Fleischtheke, dem jeweiligen Herzstück seiner sieben Supermärkte, die der türkischstämmige Unternehmer seit 15 Jahren in Köln betreibt.

Karadags Kunden sind die türkisch- oder arabischstämmigen Bewohner in Stadtvierteln wie Ehrenfeld, Kalk und Eigelstein – aber zunehmend auch Deutsche. Praktizierende Muslime schätzen vor allem die Sicherheit, dass Karadags Produkte „halal“ (arabisch) oder „helal“ (türkisch) sind, also nach islamischen Regeln hergestellt. Alleine die Herkunft des Unternehmers aus der Türkei, einem islamisch geprägten Land, scheint den Kunden als Bürgschaft zu reichen: „Nur ein- oder zweimal die Woche fragt ein Kunde, ob das Fleisch halal ist“, sagt Karadag. „Die Leute vertrauen uns.“

Schweinefleisch ist nach gängiger islamischer Lehrmeinung verboten, „haram“. Rind, Lamm und Huhn hingegen sind erlaubt, wenn nach islamischer Tradition geschächtet wird. Dabei stirbt das Tier durch einen Schnitt durch die Halsschlagader und blutet völlig aus – Blut gilt im Islam und Judentum als unrein. Da Schächten des Tieres in Deutschland nur im Ausnahmefall erlaubt ist, bezieht Karadag Rindfleisch aus Belgien und Lamm aus Großbritannien.

So ähnlich wie bei Bio-Siegeln

Wer auf Nummer sicher gehen will, kauft deshalb Fleisch und andere Produkte, die halal-zertifiziert sind. Das Prinzip dahinter funktioniert so ähnlich wie bei Bio-Siegeln: Konsumenten, die verunsichert sind, was gesund, umwelt- und tierschonend ist, kaufen Bio-Produkte. Muslime, die verunsichert sind, was islamisch erlaubt ist, kaufen Halal-Lebensmittel.

Längst sind diese Produkte raus aus der Nische: In Deutschland leben rund vier Millionen Muslime, gut 2,7 Millionen davon stammen aus der Türkei. „Die türkische Zielgruppe ist deutlich jünger als die deutsche“, sagt Engin Ergün, Geschäftsführer der Düsseldorfer Ethno-Marketing-Agentur Ethno IQ. Etwa die Hälfte der Türkischstämmigen gehört in die werberelevante, konsum- und markenaffine Gruppe der 15- bis 40-Jährigen. Ergün rechnet mit knapp 18 Milliarden Euro Kaufkraft in Deutschland pro Jahr.

Auch wenn sie nicht alle praktizierende Muslime sind: Die europäischen Lebensmittelproduzenten jubeln über ein boomendes Geschäft bei geschätzten 1,6 Milliarden Muslimen weltweit, Tendenz steigend. Tatsächlich hat sich der Umsatz mit Halal-Produkten im Welthandel von 150 Milliarden US-Dollar in 2002 auf mehr als 600 Milliarden Dollar vervierfacht.

Seit den 80er Jahren im Geschäft

Schon in den 80er Jahren ist der Schweizer Konzern Nestlé in das gewinnträchtige Geschäft eingestiegen – und nach eigenen Angaben bis zum Weltmarktführer aufgestiegen. Rund fünf Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet der Konzern mit islamkonformen Lebensmitteln. Von den 443 Nestlé-Fabriken weltweit produzieren 95 in Halal-Qualität. Meist für die großen Absatzmärkte in Malaysia, dem Mittleren Osten und dem mit rund 200 Millionen Muslimen größten Islam-Markt der Welt: Indonesien. Aber auch der deutsche Markt wächst: Nach Angaben von Halal Control, einer Agentur in Rüsselsheim, die Produkte halal-zertifiziert, stellen bereits mehr als 400 Firmen in Deutschland islamkonforme Güter her. Dazu gehören bekannte Traditionsunternehmen wie Maggi, das zu Nestlé gehört, und der Geflügelhersteller Wiesenhof.

Den vielleicht größten Coup aus Vermarktungssicht landete jedoch der Bonner Süßigkeiten-Produzent Haribo. Dessen Halal-Variante der Gummibärchen wird bereits seit 2001 in der Türkei hergestellt: mit Rindergelatine.

Anders als Karadag mit seinen türkischen Supermärkten transportiert das urdeutsche Haribo – das Kürzel steht für den Firmengründer Hans Riegel, Bonn – nicht schon mit dem Namen das Vertrauen in die islamkonforme Güte seiner Produkte. Das Problem: Es gibt weder deutsche noch internationale Standards, wie eine solche Zertifizierung auszusehen hat. Ähnlich der Frühzeit der Bio-Siegel herrscht ein heilloses Durcheinander im Zertifikate-Dschungel. Und ähnlich wie beim Islam selbst gibt es etliche Auslegungen, was erlaubt ist und was nicht.

Allerdings gibt es mittlerweile einige renommierte Anbieter solcher Zertifikate, wie Halal Control in Rüsselsheim oder Islamic Food Council of Europe in Belgien. Halal Control beruft sich auf Standards, die in Malaysia und Indonesien gelten, und berücksichtigt nach eigenen Angaben Grundsätze artgerechter Tierhaltung ebenso wie sozialethische Regeln.

Besorgt um den Ruf der Marke

Im Januar zeigte sich jedoch, wie brüchig die mühsam aufgebaute Glaubwürdigkeit sein kann: Das französische Labor Eurofins behauptete, in einer Analyse Schweinefleischrückstände in der halal-zertifizierten Geflügelwurst „Knacki“ gefunden zu haben. Die Würstchen werden von Herta hergestellt, ebenfalls eine Tochter von Nestlé. Der Schweizer Konzern, besorgt um den Ruf seiner Marke, gab sofort eine Gegenanalyse in Auftrag, die den Verdacht ausräumen konnte.

Der Imageschaden bei muslimischen Kunden erweist sich als hartnäckig – im Internet verbreitete sich die Geschichte rasant. Nestlé entschloss sich daraufhin, alle Halal-Produktlinien auf Schweine-Rückstände prüfen zu lassen, bevor sie in die Supermärkte gelangen – was sich als äußerst langwierig und aufwendig herausstellte. Mit der Folge, dass die Herta-Würstchen „bis zur vollständigen Evaluierung der notwendigen Maßnahmen innerhalb der Versorgungskette“ in Frankreich nun aus dem Verkauf genommen sind, wie Nestlé-Sprecherin Nina Backes verrät.

Spätestens seitdem kontroverse Debatten um den Islam die Medien beherrschen, werben europäische Halal-Produzenten absichtlich an der deutschen Kundschaft vorbei, um ihr Image nicht zu gefährden. „Aus Angst vor Skandalen“, berichtet Susanne Wiese-Willmaring von der SGS Germany Agricultural Services and Food. Verstecken und verdecken, wo es nur geht, lautet die Strategie. Auch die Einzelhändler trauen sich nicht so recht die entsprechenden Produkte in die Regale zu stellen: „Wir beobachten die Nachfrageentwicklung der Halal-Produkte, haben derzeit aber noch kein entsprechendes Sortiment“, sagt etwa Rewe-Sprecher Andreas Krämer.

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