Der Rechtswissenschaftler Naseef Naeem über gestürzte und strauchelnde Machthaber in der arabischen Welt (Kölner Stadt-Anzeiger, 04.06.2011)
Herr Naeem, die ägyptische Staatsanwaltschaft will dem gestürzten Präsidenten Mubarak den Prozess machen. Welches Signal geht davon an die anderen arabischen Herrscher, die sich an ihre Macht klammern?
Naseef Naeem: Das Signal ist, es gibt keine friedliche Übergabe der Macht. Die Machthaber und ihre Familien und Clans stellen sich die Frage, ob sie lieber selbst herrschen oder sich beherrschen lassen. Und da ist ihre Antwort klar: Sie klammern sich an ihre Stühle, wie man derzeit im Jemen und in Libyen sehen kann.
Was blüht Mubarak im Falle einer Verurteilung?
Naeem: Im schlimmsten Fall die Todesstrafe, was ich aber nicht glaube. An sich ist der Prozess gegen Mubarak eine gute Sache. Andererseits soll er das Volk von den wirklich wichtigen Problemen ablenken, wie etwa der hohen Jugendarbeitslosigkeit.
Wie bewerten Sie den bisherigen Übergang zu einer Demokratie in Ägypten?
Naeem: De facto haben wir einen Militärputsch erlebt. Das Militär regiert, und die Regierung führt nur exekutiv Anweisungen aus. Die Verfassungsänderungen, über die das Volk abgestimmt hat, haben zwar Eingang in die Übergangsverfassung gefunden, über diese Übergangsverfassung als Ganzes konnte jedoch kein Bürger abstimmen. Das alles ist wenig befriedigend.
Der Islam ist laut Verfassungsartikel zwei Staatsreligion in Ägypten. Wird sich daran nach den Parlamentswahlen im Herbst und mit einer neuen Verfassung etwas ändern?
Naeem: Nach Meinung der Mehrheit unter den Staatsrechtlern und Fachleuten nicht. Das heißt, dass manche Probleme nicht aus der Welt sind: Die christlich-koptische Minderheit in Ägypten wird sich auch künftig benachteiligt fühlen. Zum anderen ist problematisch, dass Teile des islamischen Rechts mit Verfassungsartikeln kollidieren: Muslimischen Männern sind zum Beispiel Ehen mit christlichen Frauen erlaubt, andersherum aber nicht. Diese Regelung kommt aus dem islamischen Recht, kollidiert aber mit dem individuellen Recht der freien Partnerwahl
Ihr vorläufiges Fazit?
Naeem: Als Forderung zentral waren der Sturz Mubaraks und faire Wahlen. Das ist erreicht. Individualisierung und Grundrechte spielten in der Diskussion eher eine untergeordnete Rolle, darum wird man abwarten müssen, wie sich das System und die Gesellschaft entwickeln.
Neuerdings begehren in Saudi-Arabien Frauen auf, weil sie nicht Autofahren dürfen. In Syrien gehen vor allem Sunniten gegen die alawitische Führung auf die Straße. Kann man bei der Vielfalt der arabischen Gesellschaften überhaupt von „der Demokratiebewegung“ in Arabien sprechen?
Naeem: Nein. Zunächst unterscheide ich zwischen Republiken und Monarchien. In Marokko, einer Monarchie, gibt es auch Proteste. Allerdings richten sich diese nicht grundsätzlich gegen das Königshaus, weil der König letztlich unangefochtene Integrationsfigur für die Menschen ist. Außerdem sind die Monarchien reicher und können ihren Bürgern im Zweifelsfall neue Leistungen versprechen. Anders sieht das bei den Präsidenten-Cliquen in den relativ verarmten Staaten wie Tunesien oder Jemen aus. Hier richtet sich die Wut der Bürger gegen Präsidenten, die kaum Integrationsfunktion ausüben. Die Herrschaftsstrukturen sind in Arabien allerdings vergleichbar: Überall herrschen Präsidenten und Könige – oder in Ägypten das Militär – mit nahezu unbeschränkter Macht. Die große Ausnahme ist da derzeit nur der Irak, dessen Präsident im Vergleich schwach und das Parlament relativ stark ist.
Was ist dann der entscheidende Lernprozess beim Übergang zu echter Demokratie?
Naeem: Dass Kompromisse schließen die wichtigste Kompetenz von Demokraten ist. Diese Überzeugung ist für arabische Gesellschaften allerdings etwas ungewohnt.
Das Gespräch führte Martin Benninghoff
Katar – mit Geld und Prestige gegen den Aufruhr
In großen Teilen der arabischen Welt gehen Bürger gegen ihre Regierungen und Machthaber auf die Straße – nicht nur in den Flächenstaaten, sondern auch in kleinen Ländern wie dem Königreich Bahrain. Eine der Ausnahmen bildet allerdings das nur 35 Kilometer Luftlinie von Bahrain entfernte Emirat Katar, eine absolute Monarchie, in der es bislang ruhig blieb. Und das trotz Einschränkungen der Religionsfreiheit und fehlender demokratischer Strukturen. Ein Grund hierfür ist der Reichtum des Landes, denn Katar gehört zu den Staaten mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Zudem gibt es ein sehr gutes Fürsorgesystem für die gerade mal 1,7 Millionen Einwohner, von denen knapp 80 Prozent Ausländer sind. Religiöse Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten sind hier ebenfalls weniger bedeutsam als beim Nachbarn Bahrain. Nach Einschätzung des Rechtswissenschaftlers Naseef Naeem von der Universität Göttingen ist nicht zuletzt die Mittlerrolle, die Katar international spielt, „ein Grund für das Ansehen des Emirs bei der eigenen Bevölkerung“. Katar ist der Hauptsitz des weltweit bekannten Fernsehsenders „El Dschasira“ und das erste arabische Land, das 2022 eine Fußballweltmeisterschaft ausrichtet. (ben)