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„Zwischen Bullerbü und Herr der Ringe“

Interview, erschienen im „Kölner Stadt-Anzeiger“ (27.07.2011)

Das Gespräch führte Martin Benninghoff mit Prof. Stefanie von Schnurbein, Nordeuropa-Institut an der Humboldt-Universität Berlin, über die ideologischen Motive des Attentäters und die Lebenslüge der Norweger.


Frau von Schnurbein, der Amokläufer Anders Breivik beruft sich in seinem kruden Manifest auf Versatzstücke rechter Ideologien: Hass gegen Marxismus, Globalisierung, Multikulti und Islam. Was steht im Mittelpunkt?

Schnurbein: Diese Versatzstücke gehören zum Repertoire des Rechtspopulismus, der mittlerweile weit in die bürgerlichen Schichten in Europa eingesickert ist. Vor allem eine Feindschaft dem Islam gegenüber steht im Zentrum dieser Weltanschauung.

Woran erkennen Sie das im Fall Breivik?

Schnurbein: Er beruft sich zum Beispiel auf die Tempelritter, die „Arme Ritterschaft Christi und des salomonischen Tempels zu Jerusalem“, die die heiligen Stätten mit Waffengewalt gegen Muslime verteidigten. Und er beruft sich in irgendeiner Weise auf das Christentum, nicht weil er christliche Grundsätze befolgt, sondern weil das Christentum für ihn den Gegenpol zum Islam darstellt.

Er nennt aber auch den rumänischen Fürsten der Walachei, Vlad Tepes, die historische Figur des literarischen Graf Dracula, in seinem Pamphlet. Was hat das mit Christentum zu tun?

Schnurbein: Dieser Fürst hat im 15. Jahrhundert gegen die muslimischen Osmanen gekämpft. Man muss sich vergegenwärtigen, dass eine Ideologe, die voller Hass gegen den Islam ist, sich aller Versatzstücke bedient, die das Weltbild stützen. Deshalb geriert er sich als Christ, als Tempelritter und als Beschützer eines Abendlandes, das durch schleichende Islamisierung bedroht sei.

In Skandinavien, aber auch in Deutschland, gibt es rechtsradikale Strömungen, die sich auf Germantum und Heidentum beziehen. Warum diese Verbindung?

Schnurbein: Das ist die Idee eines mythisch aufgeladenen Europa, das nichts mit EU oder Offenheit der Grenzen zu tun hat, sondern mit Blut und Boden und einem Ursprung in grauer Vorzeit. Das gibt Sicherheit in einer als unruhig empfundenen Welt und macht interessant. Diese mythologischen Erzählungen können gut mit nationalistischen Ideen zusammengebracht werden, was im Übrigen aber nicht heißt, dass alle, die sich aufs germanische Heidentum berufen, rechtsradikal sind. Aber nochmal: Bei Breivik scheint die Feindschaft zum Islam im Mittelpunkt zu stehen, weswegen er sich aufs Christentum als vermeintlichen Gegenpol beruft – und nicht auf Heidentum.

Wieso haben gerade die Skandinavier ein Faible für historische Fantasieliteratur und Musik, die sich auf Barbarentum und Germanentum bezieht?

Schnurbein: Sicher gibt es in Skandinavien ein Faible dafür, andererseits ist das auch das Bild des Nordischen, das wir im Kopf haben. Das Nordische als etwas Ursprüngliches und Homogenes. Irgendwo zwischen Bullerbü und Herr der Ringe. Eine Lebenslüge.

Sie meinen, die Skandinavier interpretieren sich selbst so und werden auch von außen so gesehen?

Schnurbein: Ja. Sie verstehen sich als homogene Gesellschaften, zwar als liberal und offen, aber eben auch einheitlich. Da wurden bestimmte Konflikte nicht ausgetragen. Man geht Problemen lieber aus dem Weg, wie man an den isolationistischen Tendenzen sieht. Norwegen geht einen Sonderweg und ist kein EU-Mitglied. Solche Selbstinterpretationen als rein und homogen tragen durchaus zur Islamfeindschaft bei. Dieses Problem kennen wir aber auch aus Deutschland.

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