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Ohne Netz und doppelten Boden

Die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner ist die erste Frau der Welt, die alle Achttausender bezwungen hat – ohne Sauerstoffgerät. (Erschienen im „Kölner Stadt-Anzeiger„, 25.08.2011). Nähere Infos zu Kaltenbrunner.

Von Martin Benninghoff

Köln. Fast wäre Gerlinde Kaltenbrunner auch bei ihrem siebten Versuch gescheitert, den technisch anspruchsvollsten aller Achttausender, den K2 an der chinesisch-pakistanischen Grenze, zu besteigen. Die Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist sternenklar und auf 8300 Metern mit minus 25 Grad bitterkalt, als sich Kaltenbrunner mit drei Bergsteigern zusammen auf den Weg zum Gipfel macht. Zwar ist der Gletscher dort oben nur 45 Grad steil, nicht viel schwieriger als eine durchschnittliche Gletscherpassage in den Alpen. Die Neigung reicht aber aus, dass sich die Österreicherin nur mühsam auf Zehen und Mittelfuß fortbewegen kann, wodurch die wärmende Blutzufuhr abgeschnitten wird.

„Alle vier leiden sehr stark unter der Kälte“, berichtet Kaltenbrunners deutscher Mann Ralf Dujmovits, der gespannt im Basislager wartet, in einem Internetblog. Nur wenige Minuten später gibt Kaltenbrunner entnervt  auf: Am achten Tag der Expedition sind die Innenschuhe feucht und bieten nicht mehr genügend Schutz gegen die schneidende Kälte. Den Rest der Nacht verbringt sie wieder im Schlafsack. Um 7.30 Uhr bricht sie erneut auf. Mittlerweile ist die Sonne aufgegangen, deren wärmende Strahlen die Eiseskälte ein wenig erträglicher machen. Zum Glück ist das Wetter an diesem Tag recht stabil, denn die Seilschaft ist spät dran. Durch die Sonneneinstrahlung steigt die Lawinengefahr.  Ehemann Ralf im Basislager hat sich zuvor beim Innsbrucker Meteorologen Karl Gabl nach der Prognose erkundigt.  Sieht gut aus.

Es ist schon 16 Uhr, als sie und ihre Mitstreiter den Aufschwung erreichen, der zum Gipfel führt. Um 18.18 Uhr dann steht Kaltenbrunner vor den anderen auf dem Gipfel und ist überglücklich: „Es ist ein Geschenk, dass wir gemeinsam bei diesen schwierigen Verhältnissen im Aufstieg und bei diesem fantastischen Wetter auf dem Gipfel stehen dürfen“, funkt sie ins Basislager.

Ehrgeiziger Konkurrenzkampf

Kaltenbrunner ist damit die erste Frau, die  alle 14 Achttausender der Welt ohne Zuhilfenahme künstlichen Sauerstoffs bezwungen hat. Vergisst man diesen feinen, aber bedeutenden Unterschied, so ist sie aber erst die Nummer drei. Denn vor ihr schafften die Südkoreanerin Oh Eun Sun  und danach die Spanierin Edurne Pasaban den Rekord, den die bis heute männerdominierte Bergsteiger-Szene noch vor einigen Jahren keiner Frau zugetraut hatte. Bei den Männern  hält Reinhold Messner die Krone der Achttausender. Zwar hat Kaltenbrunner den von den Medien ausgerufenen Konkurrenzkampf  stets zurückgewiesen: „Ich bin froh, dass Oh Eun Sun alle bestiegen hat. Jetzt ist das Thema erledigt“, sagte sie im vergangenen Jahr im „Spiegel“. Dennoch, so ganz spurlos zog  der Konkurrenzkampf nicht an ihr vorüber. Vor allem die erste Frau auf dem Dach aller Achttausender, Oh Eun Sun, sorgte  für Schlagzeilen,  weil sie Träger und eine Sauerstoffmaske zu Hilfe nahm.  „Auf einen Achttausender mit Hilfe von Sauerstoffflaschen zu steigen, ist in etwa so, wie den Giro d’Italia mit einem Moped statt einem Rennrad in Angriff zu nehmen“, ätzte daraufhin der Südtiroler Extrembergsteiger Hans Kammerlander. Auch gab es Zweifel an ihrem Gipfelsieg am dritthöchsten Berg der Welt, dem Kangchendzönga, da ein Foto sie nur unterhalb der Spitze zeigte. Die Zweifel am Rekord der Südkoreanerin mögen eine Rolle gespielt haben für Kaltenbrunner, sich den K2 doch so bald wieder vorzunehmen, und das trotz eines Schicksalschlages:  Erst im vergangenen Jahr hatte sie hautnah erleben müssen, wie der schwedische Extremskifahrer und Freund Fredrik Ericsson, mit dem sie unterwegs war,  am K2 ums Leben gekommen war.

Der Ehrgeiz der 40-Jährigen ist jedenfalls über die Bergsteigerszene hinaus bekannt. Kaltenbrunner war erst mit 13 Jahren zum Bergsteigen gekommen, was unter den Koryphäen  der Szene als sehr spät gilt. Aufgewachsen im oberösterreichischen Spital am Pyhrn, hatte sie der Gemeindepfarrer nach der sonntäglichen Messe mit auf Bergtouren genommen. Bereits mit 23 stand sie auf dem Vorgipfel des Broad Peak in Pakistan. Danach war kein Halten mehr: Die gelernte Krankenschwester steckte ihr Gehalt in die Expeditionen. Seit 2003 kann sie dank Sponsoren vom Bergsteigen leben.

Der Abstieg dauerte am Mittwoch noch an, wie Karl Gabl dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete. Kurz zuvor  hatte er mit dem Basislager telefoniert, wo sie heute zurückerwartet wird.

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