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Selbst ernannte Richter

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Eine Analyse von Martin Benninghoff (erschienen im „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 06.09.2011). Ausführliches Interview mit dem Autor weiter unten.

Friedensrichter – das klingt harmlos, ist es aber nach Ansicht des ARD-Journalisten Joachim Wagner nicht. Der Jurist hat ein Buch über selbst ernannte islamische Richter geschrieben, über Schlichter zwischen muslimischen Großfamilien, die ihre strafrechtlich relevanten Streitfälle lieber mit Geld regeln, als sich vor einem deutschen Gericht zu verantworten  („Richter ohne Gesetz“, Econ).

Bei seinen Recherchen in Prozessakten ist dem Autor aufgefallen, dass sich das Aussageverhalten mancher Opfer und Zeugen im Laufe der Verhandlungen gewandelt hat. Plötzlich will das Opfer nichts mehr sagen, oder ein Zeuge mag sich an nichts mehr erinnern, obwohl dieser zuvor noch detailliert Auskunft geben konnte. Wagners Vermutung, die er mit Aussagen von Anwälten stützt:  Im Hintergrund hat jemand geschlichtet.

16 Kriminalfälle dienen dem Autor als Grundlage. Nicht viel, um pauschale Aussagen über ein Phänomen zu treffen, über das wenig bekannt ist. Seit Jahren kramen Medien einzelne Friedensrichter hervor, wie Hassan Allouche, den „Schariarichter von Berlin“, über den das ZDF schon 2008 berichtete. Die verstorbene Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig schrieb in ihrem Buch „Das Ende der Geduld“ von zehn bis zwölf Clans und Großfamilien, die in Deutschland kriminell aktiv seien und an die der Staat nicht herankomme. Das ist zumindest ein Hinweis auf die Verbreitung solcher Parallelstrukturen, in denen eine Schlichtungskultur herrscht. 

Die funktioniert so: Die Täterfamilie beauftragt gegen Geld einen Schlichter, der Kontakt zur Opferfamilie aufnimmt. Es folgen Gespräche, um zu sondieren, ob eine Schlichtung möglich ist. Falls beide Familien einwilligen, zahlt die Täterfamilie 10000 bis 40000 Euro an das Opfer, das sich verpflichtet, auf belastende Aussagen künftig zu verzichten.

Im Gegensatz zum Zivilrecht herrscht beim Strafrecht allgemein der Ermittlungsgrundsatz. Einzig dem Staat ist es vorbehalten, Mörder zu  verurteilen. Wagner fordert Staatsanwälte und Richter deshalb auf, genauer hinzuschauen, wenn sie überraschende Veränderungen in Aussagen feststellen – und Friedensrichter wegen Strafvereitelung  verfolgen. Auch wirft er der Politik vor, bisher kein Konzept gegen diese Art Paralleljustiz entwickelt zu haben, womit er nicht unrecht hat: Es gibt weder Zahlen noch Einschätzungen, wie viele Friedensrichter aktiv sind. Das Justizministerium weiß nichts dazu zu sagen. Immerhin: Der Pressesprecher der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer, Oliver Mohr, will sich intern erkundigen.

Mehr Fakten sind dringend nötig, sonst nehmen sich Rechtspopulisten weiter des Themas an, wie am Wochenende der Berliner Landesabgeordnete René Stadtkewitz, der beim Besuch Geert Wilders’ von „arabisch-türkischen Großbanden“ schwadronierte, „die rotzfrech mit dem 7er-BMW vor dem Jobcenter vorfahren“.

Insofern sind Wagners Recherchen ein wichtiges Puzzlestück. Schwachpunkt sind aber die Brücken, die der Autor von einzelnen Koransuren zu den Milieus krimineller Clans schlägt, als seien diese besonders religiös. Er nutzt sein Thema als Generalabrechnung mit dem Islam, den er als Boden für häusliche Gewalt und Frauenverachtung sieht. Wer so allgemein urteilt, ruft schnell den Staatsnotstand aus: „Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat“, schreibt er. Schwächerer Tobak hätte dem Buch gut getan.


Interview mit dem Autor Joachim Wagner:

Herr Wagner, Sie haben ein Buch geschrieben über islamische Schlichter, deren Tun Ihrer Meinung nach den Rechtsstaat unterhöhlt. Wie verbreitet ist das Phänomen?

Wagner: Das ist kein Massenphänomen, aber es ist in islamisch dominierten Stadtvierteln und Regionen weit verbreitet. Die Häufigkeit zu bestimmen ist natürlich sehr schwierig, weil das Vorgänge sind, die sich im Verborgenen abspielen. Ein Bundesanwalt und ehemaliger Oberstaatsanwalt in Bremen schätzt, dass nur zehn Prozent der Fälle überhaupt zur Kenntnis der Polizei und Staatsanwaltschaften kommen. Alles andere spielt sich in den internen Zirkeln der verschiedenen Ethnien ab.

Welche Gruppen sind das?

Wagner: Es sind sehr viele muslimische Ethnien. Am häufigsten findet man Friedensrichter bei den libanesischen Kurden, den Malami Kurden. Sie sind auch sehr verbreitet unter Türken, Aleviten, Kurden, Arabern und Palästinensern.

Was verbindet denn diese verschiedenen Gruppen?

Wagner: Eine Rechtstradition in islamischen Ländern, die 3000 Jahre zurück geht und bis heute überlebt hat. Die Tradition, in Streitfragen zu schlichten und Konflikte nach Straftaten durch finanzielle Wiedergutmachung zu befrieden, ist mit den Migranten nach Deutschland importiert worden.

Also vorislamische Traditionen. Wodurch ziehen Sie die Verbindung zum Islam?

Wagner: Die Sure 2, Vers 178 des Koran ist der Kern des islamischen Strafrechts: Darin ist von Vergeltung die Rede und von einer Alternative: Strafverzicht gegen Blutgeld. Im Koran sind ältere Regeln der arabischen Halbinsel aufgenommen. Und diese Paralleljustiz besteht aus drei Säulen: Schlichtung, finanzielle Wiedergutmachung durch Zahlung von Schmerzensgeld  und Selbstjustiz.

Welche Generation der Zuwanderer betrifft das?

Wagner: Die Friedensrichter sind fast alle ältere Männer, um die 50 oder 60. Das sind oftmals sehr mächtige und angesehene Personen, die in ihren Sippen die Funktion des Richters übernommen haben. Zum Beispiel der Berliner Hassan Ali Allouche, da hat der Ururgroßvater schon geschlichtet. Oft sind es auch Imame.

Wie beginnt die Schlichtung der Friedensrichter?

Wagner: Die Schlichter werden in erster Linie von den Täterfamilien angerufen. Wenn eine Straftat passiert, wird der Richter von der Täterfamilie beauftragt, Kontakt mit der Opferfamilie aufzunehmen. Dann gibt es ein Ritual, das Opfer im Krankenhaus zu besuchen und auch ein Geschenk mitzubringen. Es folgen mehrere Gespräche mit beiden Familien, um zu sondieren, ob eine Schlichtung möglich ist oder nicht.

Es gibt eine Untersuchung, wonach „Ehrenmorde“ bei den Generationen, die schon in Deutschland  geboren sind, kaum noch vorkommen. Wächst sich das Schlichten als Tradition aus?

Wagner: Ich glaube, es ist nicht so sehr eine Frage des Alters, sondern eine Frage der Einstellung zu Religion und Kultur. Zu Ehrenmorden und Zwangsheiraten kommt es nur in konservativ eingestellten Kreisen. Aber Friedensrichter werden  ja nicht nur bei  Familien- und Ehekonflikten aktiv. Sie schlichten  bei Gewalttaten Jugendlicher, bei Revierkämpfern im Drogengeschäft und in der gesamten organisierten Kriminalität.

Haben Sie auch Fälle entdeckt, die nichts mit Muslimen zu tun haben? Clanstrukturen gibt es auch bei den katholischen Nordalbanern oder den Süditalienern.

Wagner: Nein, ich habe mich auf den islamischen Kulturkreis   konzentriert. Mir ist ein Unterschied wichtig: Schlichtung gibt es auch in bei der Mafia oder bei Rockerbanden. Dort  hat sie die Funktion, einen Konflikt zu beenden, weil  bei Blutrache und Machtkämpfen immer weiter Blut fließen würde. Bei Muslimen ist die Schlichtung etwas ganz anderes: Sie ist in diesen Gesellschaften tief verwurzelt und im Brauchtum und Koran anerkannt. Sie wird von Streitschlichtern und Imamen praktiziert und von Generation zu Generation weitergegeben. Sie ist Teil ihrer religiös-kulturellen Wertordnung.

Sie kritisieren Friedensrichter im Strafrecht. Was ist mit dem Zivilrecht?

Wagner: Ja, im Zivilrecht beißt sich die Schlichtung nicht mit dem Recht. Schlichtung ist hier in Ordnung, nur im Strafrecht eben nicht. Weil es sich hierbei um hoheitliches Handeln des Staates handelt, und deshalb können Straftaten, wie Mord oder schwere Körperverletzung niemals durch eine Schlichtung geahndet werden.  

Was ist das Hauptproblem bei Schlichtungen im Strafrecht?

Wagner: Geschäftsgrundlage einer jeden Schlichtung ist der Versuch, das Aussageverhalten des Opfers und anderer Zeugen so zu verändern, dass der Täter entweder freigesprochen oder das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt werden. Mit anderen Worten: Es geht um Beweisverfälschung. Dafür erklärt sich die Täterfamilie erklärt sich, Summen von 10 000.- bis 40 000.-Euro  an das Opfer zu zahlen. Die Versöhnung zwischen den beiden Familien wird dann häufig durch gemeinsames Essen und Trinken besiegelt.  

Wie haben Sie diese Fälle nachvollzogen?

Wagner: Durch Interviews mit Anwälten, Friedensrichtern selbst und Aktenstudium. Ich habe bei 16 Kriminalfällen minutiös nachvollzogen, wie sich das Aussageverhalten vom Anfang bis zum Schluss verändert hat.

16  Fälle sind nicht viel, um pauschale Aussagen zu treffen.

Wagner: Das weiß ich, aber es sind typische Fälle. Alle Experte sind sich im Übrigen einig, dass es ein hohes Dunkelfeld gibt. Schlichtungen können nämlich ihre Wirkung nur entfalten, wenn sie im Verborgenen bleiben – auch weil sich die Beteiligten dabei häufig selbst strafbar machen. In meinem Buch habe ich zwei Fälle beschrieben, in denen Opfer nach Freisprüchen der Täter wegen uneidlicher Falschaussage bestraft worden sind. Selbst Anwälte haben mir gesagt, dass sie manchmal einen Sachverhalt präsentiert bekommen, bei dem sie annehmen, dass da bereits geschlichtet worden ist. Aber sie bohren nicht nach, weil sie in Gefahr kommen könnten, sich selbst wegen Strafvereitelung strafbar zu machen.

Welche Forderungen stellen Sie an die Justiz?

Wagner: Erstens müssen Friedensrichter intensiv wegen Strafvereitelung verfolgt werden. Zweitens: Mir ist bei der Analyse der Akten aufgefallen, dass Staatsanwälte und Richter in den Verhandlungen überhaupt nicht nachbohren, wenn sie auf eine überraschende Aussageveränderung von muslimischen Zeugen oder Angeklagten  treffen. Drittens: Die Aussagepsychologie sagt, dass die meisten Opfer kurz nach der Tat am ehrlichsten aussagen. Um den Wert dieser ersten Aussage zu sichern, sollte das Opfer möglichst schnell nach der Tat richterlich vernommen werden und nicht nur durch die Polizei. Eine solche Vernehmung hätte später in der Hauptverhandlung einen größeren Beweiswert, wenn Opfer nach Schlichtungen nicht mehr aussagen oder ihre Aussagen ändern.

Und politisch?

Wagner: Man muss der Politik den Vorwurf machen, bisher kein Konzept gegen diese Art Paralleljustiz entwickelt  zu haben. Das Wirken von Friedensrichtern ist auch  Folge fehlgeschlagener Integration: Dass sich die Menschen weiter an die eigenen Leute wenden und nicht an die deutsche Polizei und Strafjustiz, ist ein Problem. Mir hat ein Essener Kriminalkommissar  erzählt, dass er in fünfzehn Jahren Dienst nur einen Libanesen erlebt habe, der seinen Fall durch die deutsche Strafjustiz behandelt wissen wollte.

Andererseits gibt es Studien, wonach gerade Migranten großes Vertrauen in die staatlichen Behörden haben.

Wagner: Wir dürfen nicht vergessen: Wir reden nur über die Teile der muslimischen Bevölkerung, die straffällig werden. Das ist glücklicherweise nur eine kleine Minderheit. Nur, in manchen Milieus genießen  Imame und Friedensrichter eben ein höheres Ansehen als  Polizei und Justiz.

Sie sagen, die Imame haben eine wichtige Funktion bei der Streitschlichtung: Wäre die Ausbildung der Imame in Deutschland ein Schritt in die richtige Richtung?

Wagner: Auf jeden Fall. Die Importimame, die fast kein Deutsch können, sind ein Problem. Das Wichtigste aber ist Bildung, Bildung, Bildung, damit die Migranten unsere rechtsstaatlichen Institutionen besser  verstehen, vor allem aber, um besserer Schulabschlüsse zu erzielen und dadurch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu vergrößern.

Sie haben sich mit Heinz Buschkowsky eine Reizfigur der Integrationsdebatte zur Buchvorstellung geholt. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass Sie jetzt in die Schwarz-Weiß-Debatte der Integration rutschen?

Wagner: Der Versuch, mich als Sarrazin II zu diskreditieren, hat  bereits begonnen, zum Beispiel durch den Berliner Tagesspiegel. Sie bedienen sich aus der Kiste ihrer eigenen Vorurteile, ohne sich mit den von mir recherchierten Fakten auseinanderzusetzen. Allerdings finde ich, dass wir ehrlicher und offener über die Defizite in der Integrationspolitik reden müssen als bisher.

Das Gespräch führte Martin Benninghoff




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