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Bordellbesitzer und Barbie

(Bild: Benninghoff)

 

(Erschienen in der „Welt am Sonntag“, 21.11.2011)

 Der Düsseldorfer Bordellbesitzer Bert Wollersheim präsentiert sich gerne als Wohltäter. Sein Privatleben ist zugleich öffentliche Bühne. Ein Hausbesuch.

Von Martin Benninghoff

Auf den ersten Blick passt ihr Bauernhof in Willich bei Düsseldorf so gar nicht ins Klischeebild einer Rotlichtszenegröße. Ein paar verrostete Autowracks liegen auf der angrenzenden Wiese, die knorrigen Bäume sehen verwachsen, der Innenhof schwer in die Jahre gekommen aus. Nur in einer Ecke, unter dem Dach eines Carports versteckt, deuten ein weißer amerikanischer Lincoln und ein gelber Audi TT auf das schillernde Pärchen hin, das hier wohnt: Puffbesitzer Bert Wollersheim, 60, und seine 24-jährige Frau Sophia.

Eine enge hölzerne Stiege führt ins Reich der Wollersheims. Sophia, die ihrem Bert wie fast jeden Abend einen Nusskuchen gebacken hat, öffnet die Tür. „Fühlen Sie sich wie zuhause.“ Sie trägt High-Heels, einen Minirock sowie ein knallrotes „Dolce & Gabbana“-Shirt, das ihre operierte Brust nur mühsam verdeckt, viel Make-Up im Gesicht und hellblondierte Haare. „Mein äußerliches Vorbild ist die Barbie-Puppe“, sagt sie. Ihr Mann wird später sagen, dass Sophia die einzige Frau sei, die auf High-Heels kochen könne. Auch die Wohnung der beiden ist üppig dekoriert, vollgestopft mit amerikanischem Kitsch, Indianerköpfen, Mini-Freiheitsstatuen und Büffelhörnern. Auf zwei Flachbildschirmen läuft parallel US-Country und deutscher Schlager.

Bert Wollersheim lässt kurz auf sich warten. Dann tritt der kleine Mann aus dem angrenzenden Badezimmer, mit nacktem Oberkörper. Seine langen blonden Haare leuchten im Kontrast zur sonnenbankgebräunten Haut, er trägt schwarze Ketten und Ohrringe, dazu hautenge Jeans und Westernstiefel. Stolz präsentiert er seine neue Tätowierung auf der linken Brust: das Gesicht seiner Frau Sophia. „Wo wollen Sie Fotos schießen?“, fragt Sophia. Offenbar sind die beiden Boulevard-Homestorys gewöhnt, ihre Privatsphäre ist zugleich Bühne. Sophia zitiert Berts Sohn Alain herbei, der mit aufs Foto soll. Der Neunjährige stammt aus einer Beziehung mit einer Nigerianerin, die den Sohn selten besuche, sagt Sophia. Alain würde jetzt viel lieber spielen gehen. Aber nein: Er soll fürs Foto lächeln.

Ein ungleiches Paar, das im Wunsch nach Öffentlichkeit und Prominenz einen gemeinsamen Nenner gefunden hat. Bert entdeckte diese Leidenschaft schon in seinen Jugendtagen in Heimerzheim, einem Dorf mit etwas mehr als 6000 Einwohnern unweit von Bonn. Ein Schützenverein, die katholische Kirche St. Sebastianus, zwei Schulen, zwei Wasserburgen: Ein ganz normales Dorf am Vorgebirge, vielleicht mit der Ausnahme, dass der Nazi-Widerständler Philipp von Boeselager hier geboren wurde. Mehr Prominenz hat der Ort nicht zu bieten. Dort in der Vorgebirgsstraße, im Friseurgeschäft seines Vaters Bertram, 84, absolvierte er eine Friseurlehre. „Heimerzheim wurde mir zu eng“, sagt Wollersheim. „Ich durfte meine Haare nicht so lang wachsen lassen wie ich wollte.“

Mit 18 Jahren ging er nach Düsseldorf, „in die große weite Welt“, wo er bei einem Promi-Friseur eine Anstellung fand. Bald schon frisierte er die damaligen Showgrößen, Dieter-Thomas Heck und Rex Gildo, und wenig später auch einige „Unterweltgrößen“, wie Wollersheim die Kriminellen verniedlichend nennt. „Totenkopf Fred“ etwa oder den Kölner Heinrich Schäfer, genannt „Schäfers Nas“, der die Kölner Ringe in den 60-ern und 70-ern fest im Griff hatte. Abends zog der junge Friseur mit den dunklen Gestalten in die örtlichen Zockerlokale, übernahm für sie Laufburschengänge, kaufte frische Hemden und Zahnbürsten.

So geriet Wollersheim in die Düsseldorfer Rotlichtszene. In den 70-ern öffnete er sein erstes eigenes Bordell, „mit einem Bein im Knast“, erzählt er. Damals existierte noch der Straftatbestand „Förderung der Prostitution“, der mit dem neuen Prostitutionsgesetz 2002 weggefallen ist (siehe Kasten). Auf seine Protegés konnte sich Wollersheim indes verlassen, sie hielten schützend ihre Hände über den Anfänger im Bordellgeschäft und ihm die Schutzgelderpresser vom Leib. Im Gegenzug schnitt er ihnen die Haare oder half bei der Wartung privater Yachten. „Damals wurde sich noch mit Fäusten geprügelt, nicht so wie heute“, meint Wollersheim. Dass er mit dieser Einschätzung die kriminelle Szene verniedlicht, bezeugt sein eigener Knastaufenthalt wegen „erpresserischen Menschenraubs“ in den 70-ern, als er einen Konkurrenten, mit dem „er Stress hatte“, kurzzeitig entführen ließ, „um die Sache zu klären“.

Möglich, dass er sich deshalb heute gerne als Geschäftsmann mit lupenreiner Weste und großer karitativer Spendenbereitschaft präsentiert: „Ich habe mich den Gesetzen des Rotlichtmilieus widersetzt, nie Menschenhandel betrieben oder eine Frau zum Sex gezwungen“, sagt er. Seine drei Clubs „Rote Meile“ an der Düsseldorfer Rethelstraße will er auch nicht in der Schmuddel-Ecke wissen, sie ziehen eher den Geldadel an, darunter „viele Geschäftsleute, die Luxus und Diskretion bevorzugen“. Exklusiv ausgestattete Zimmer und Bars, eine Flasche Champagner kostet bis zu 18 000 Euro. Auf Wunsch lässt Wollersheim seine Kunden, oft Messebesucher, aus ihren Hotels in die Clubs chauffieren. „Wir haben die seltensten Spirituosen und die schönsten Frauen“, sagt er. Und teure Zigarren, zum Beispiel die „Cohiba Behike“ für 1000 Euro. „Man kann aber auch schon für 300 oder 400 Euro ein wenig Schampus trinken und französischen Sex haben.“

Zwischen 50 und 130 Frauen arbeiten in seinen Bordellen, je nach Kundenzahl. Sie sind nicht angestellt, sondern zahlen eine Miete für die Zimmer, in denen sie ihre Freier empfangen. Wollersheim legt Wert auf den Unterschied zu „Laufhäusern“ oder gar „Flatrate-Bordellen“, wo es billigen Sex gibt. „Wir schicken unsere Mädchen regelmäßig zu Gesundheitschecks“, sagt er. Kondome sind Pflicht und Zungenküsse tabu. „So ist es noch ein Job für die Mädchen, weil keine Gefühle zum Freier entstehen.“

Eine normale Dienstleistung also, wie Autowaschen oder Rasenmähen? Lea Ackermann, Gründerin des Frauenhilfevereins Solwodi, ist ganz anderer Meinung: „Ich kenne keine Frau, die aus Vergnügen Prostituierte ist.“ Die meisten stammten aus schwierigen Verhältnissen und seien schlichtweg in ihrer Not dazu verdammt, anschaffen zu gehen. „Mir bereitet es körperliches Unbehagen, neben einem Bordellbesitzer zu sitzen“, sagt sie. Ihr Wunsch: Wie in Schweden sollten die Freier Strafe zahlen, wenn sie erwischt werden. „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel.“

Mechthild Eickel, Leiterin der Bochumer Beratungsstelle der Huren-Selbstorganisation Madonna e.V., nennt Anschaffen „Sexarbeit“, bei der man allerdings die Arbeitsbedingungen verbessern müsste. „Ich glaube, das ist vergleichbar mit der Baubranche, wo auch viele Migranten arbeiten“, sagt sie. „Leute, die sich nicht auskennen und kein Deutsch sprechen, sind hohen Risiken durch Zuhälterei ausgesetzt.“ Ihr Verein bietet Prostituierten Hilfe an, wie sie sich richtig krankenversichern oder beim Finanzamt anmelden. Ein Ansatz, den die Organisation Terre des Femmes kategorisch ablehnt: Durch Prostitution würden die „Frauen und ihre weibliche Sexualität zur Ware degradiert“, heißt es in einer Erklärung, mit negativen Folgen für das „allgemeine Bild der Frau“.

Wollersheim Bild der Frau misst sich am Alter: „Der Trend geht klar zu jüngeren“, sagt er. 18 bis 27 oder 28. Woran das liegt? „Keine Ahnung“, die Freier würden schließlich auch immer jünger. Einmal habe er einer ausgemusterten Prostituierten geholfen, einen Job im Supermarkt zu bekommen. Die sei „nicht ganz Banane“ gewesen, aber dummerweise schon über 30, zu alt fürs Anschaffen in seinen Clubs. Als Mann bevorzuge man doch eher junge Frauen. „Eine Frau, die nicht aufhört, attraktiv zu sein, und trotzdem häuslich ist“, sagt er.

Im privaten Leben hat er eine solche Frau gefunden. Sophia springt vom Stuhl, als von ihr die Rede ist. Sie geht in die Küche, kramt in einem Schrank und holt Ausschnitte mehrerer Boulevardtitel und auch der örtlichen Lokalzeitung. Berichte über sie und ihren Bert, den sie zum ersten Mal im Fernsehen gesehen hat. Sie schrieb ihm damals eine Mail: „Kannst Du mir einen Hostessen-Job besorgen?“ Ihr Studium hatte sie abgebrochen, und sie hielt sich mit Jobs etwa auf der „Tuning-World“ über Wasser, einer Messe für Autozubehör. Bert traf sich mit ihr, beim nächsten Mal ließ er sie mit einer Stretchlimousine von zuhause abholen. Später ließ Wollersheim die junge Frau nach Las Vegas nachfliegen, für sie der Beginn „unserer Liebesbeziehung“. Im Herbst 2010 heirateten sie dort in einer der „Wedding Chapels“. Für Bert war es die dritte Hochzeit und der Bruch eines Versprechens: Eigentlich sollte er keine heiraten, die jünger ist als seine 27-jährige Tochter aus erster Ehe. Das hatte sich seine Tochter gewünscht. Nur: In Wollersheims Welt wächst seine Tochter langsam aus dem Attraktivitätsrahmen heraus.

Die Vorbereitungen zur Hochzeit verwurstete der TV-Sender RTL 2 zur Doku „Die Wollersheims – eine schrecklich schräge Familie“, die in diesem Jahr ausgestrahlt wurde. Darin sieht man Bert, wie er sich beim Autohändler umschaut, und Sophia, wie sie sich ihre künstlichen Fingernägel machen lässt. Auch beim „Promi-Dinner“ war Wollersheim zu Gast, und im Nachtprogramm läuft eine Sendung, in der er gemeinsam mit zwei Porno-Darstellerinnen barbusige Frauen begutachtet. Mit diesem Format ist er eher unglücklich, sagt er, weil es ihn in die schmuddelige Porno-Ecke zieht, was seinem Geschäft nicht gut tue. Genüsslich ascht er in den „Bärbel-Schäfer“-Aschenbecher, der auf seinem Wohnzimmertisch steht. Klar, dass er in dieser schon lange abgesetzten Nachmittagstalkshow auch schon Gast war.

Was für Wollersheim einen geschäftlichen Balanceakt darstellt  – seine geldpotenten Kunden im Puff möchten nicht gerne gefilmt werden -, ist für Sophia ein Siebenmeilenschritt in Richtung Prominenz: „Wir werden heute überall erkannt“, sagt sie und erzählt, wie sie im „Phantasialand“ einmal von ihren Fans hat weglaufen müssen. „So viele waren das.“ Selbstredend hat sie eigene Autogrammkarten. Und einen Künstlernamen: Sophia Vegas Wollersheim hieß in ihrem Leben vor Bert noch Hildebrand. „Wie der Ex-Nationalspieler“, beeilt sie sich zu sagen.

Zur Info:

Prostitution in Deutschland

Groben Schätzungen der Bundesregierung zufolge arbeiten bis zu 400 000 berufsmäßige Prostituierte (darunter ein Drittel Ausländerinnen) in Deutschland, mit einem Jahresumsatz von 14 Milliarden Euro. Diese Zahlen sind allerdings alles andere als verlässlich. Die Prostituierten-Selbsthilfeorganisation Madonna e.V. geht von weit niedrigeren Zahlen aus. Für NRW rechnet sie mit höchstens 30 000 Prostituierten. Seit dem 1. Januar 2002 ist das Prostitutionsgesetz in Kraft, mit dem die rechtliche und soziale Situation der Frauen und der im Vergleich wenigen Männern verbessert werden soll. Theoretisch können Prostituierte somit in reguläre Beschäftigungsverhältnisse eintreten, was Angaben der Organisation Madonna e.V. allerdings so gut wie nie vorkommt. Demnach sind die meisten selbstständig tätig, können sich beim Finanzamt dabei regulär anmelden. Der Straftatbestand „Förderung der Prostitution“ wurde mit dem Gesetz abgeschafft, stattdessen stellt es heute „Ausbeutung von Prostituierten“ unter Strafe. Als Ausbeuter gilt, wer Frauen in persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit bringt oder jemanden zur Prostitution zwingt (Zuhälterei). Frauenorganisationen kritisieren an dem Gesetz, dass der Polizei die Hände gebunden sind: Im Falle krimineller Machenschaften muss diese nachweisen, dass Zwang ausgeübt wird, was nicht leicht ist. (ben)





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