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Kamelle mit Dönergeschmack

 Reportage, erschienen im „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 16.02.2011

Von Martin Benninghoff

Plötzlich platzt das Thema, das bereits seit einer halben Stunde unerwähnt durch den Raum wabert, mit einem schrillen Telefongebimmel in die Unterhaltung: Integration und Zuwanderung. Ramazan Yagan springt auf und hechtet quer durch sein karges Kellerbüro in einem Neusser Einfamilienhaus zum Hörer. „Ja klar“, hört man ihn sagen, „am soundsovielten? Kein Problem! Wir kommen. Gerne! Auf Wiederhören!“ Er legt auf, das Gespräch ist kurz, sein Gesicht zeigt Zufriedenheit. „Das war der Integrationsausschuss“, sagt er, „die wollen, dass wir bei einer ihrer Sitzungen vorbeikommen und unseren Verein vorstellen.“

Yagan berät beruflich Unternehmen, wie sie sich richtig aufstellen, um am Markt zu bestehen. Der 48-jährige Unternehmensberater hat auch mit Insolvenzen zu tun bei Firmen, die in handfesten Schwierigkeiten stecken. Seine eigene Unternehmung nach Feierabend läuft dagegen wie am Schnürchen: Er ist der Präsident des Deutsch-Türkischen Carnevalsverein (DTC), nach eigener Aussage der erste deutsch-türkische Karnevalsverein in Deutschland.

Im November gründeten er und weitere sechs Türken, drei Deutsche und ein Mazedonier den Verein im Düsseldorfer Karneval, und schnell entwickelte sich die Idee zu einem lokalen Renner, vor allem für die örtliche Presse und Kommunalpolitiker. Aber auch für diese Zeitung, denn warum sonst sollte man über den 66. Düsseldorfer Karnevalsverein berichten, noch dazu von Köln aus? Deutsch-türkisch – das klingt aber nach mehr als nur jeckes Brauchtum, das klingt nach einem harmonischen Miteinander in althergebrachter Tradition, nach einem positiven Beispiel gelebten Zusammenseins in einem Umfeld oftmals negativer Schlagzeilen. „Dabei ging es uns gar nicht um Integration“, sagt Yagan, der einen kleinen Packen neuer Mitgliedsanträge in der Hand hält. „Sehen Sie? Immer wieder neue Anfragen.“ Spätestens bis zum Ende des Jahres soll der Verein 100 Mitglieder haben, jetzt sind es knapp 40.

Rolf Rosenkranz kann sich da ein Lächeln nicht verkneifen. Der 63-jährige Insolvenzverwalter sitzt auch an diesem Tag wie so häufig in Yagans Kellerbüro, wo die beiden ansonsten über Insolvenzen ihrer Kunden beraten, und in einer ruhigen Minute im Herbst 2011 die Vereinsidee ausheckten. Seit Jahrzehnten ist Rosenkranz in Karnevalsvereinen aktiv, seine Tochter Rebecca war die Venetia in Düsseldorf, die Prinzessin. „Ich bin bekannt wie ein bunter Hund“, sagt er mit dem Selbstbewusstsein eines erfahrenen Vereinsmeiers. Eigentlich hätte er statt Peter Zwegat die RTL-Dokuserie „Raus aus den Schulden“ moderieren sollen, erzählt er. „Als ich aber die Drehbücher gelesen habe, war mir das zu fernab von der Realität.“

Statt den zerknirschten Schuldenkrisenmanager zu geben schrieb er lieber sein eigenes Drehbuch: Nach der Gründungssitzung im November kündigte er am 15. Dezember des vergangenen Jahres den deutsch-türkischen Verein in einer Mitteilung an, die er gegen 14 Uhr an die örtliche Presse verschickte. „Kurz danach brach die Lawine los“, sagt er. Bis abends habe das Telefon nicht mehr stillgestanden, die Lokalzeitungen meldeten sich, Radiostationen ebenso, Kollegen riefen an. Tage später wollte ein RTL-Team in Neuss vorbeikommen, um einen TV-Beitrag über die ungewöhnliche Konstellation von Zuwanderern und Karneval zu berichten. Rosenkranz lehnte das rundweg ab: „Das war nach dem Motto: Erfahrener Deutscher bringt blöden Türken den Karneval bei – das fand ich unmöglich.“

Die Mehrzahl der Vereinsmitglieder – darunter deutsch-türkische Ehepaare genauso wie auch ein Marokkaner – hatte bislang mit Karneval nicht viel am Hut. „Darum sehe ich meine Aufgabe ein klein wenig als Mentor“, sagt Rosenkranz. Als Mentor, der den Karneval behutsam näherbringt. Rosenkranz trägt an diesem Tag die zurückhaltende Vereins-Kostümierung: als Basis ein schlichter schwarzer Anzug, dazu eine Krawatte mit aufgestickten roten Pailletten. Aus seiner Tasche zieht er den Prototyp der Narrenkappe hervor, bestickt mit dem Vereinsnamen. So im Vergleich dezent gekleidet ziehen Rosenkranz und Yagan derzeit von Sitzung zu Sitzung, um sich in der Karnevalszene von Neuss und Düsseldorf bekanntzumachen. Ab dem 11.11.2012 wollen sie dann selbst aktiv werden, eigene Sitzungen organisieren und im nächsten Jahr zumindest als „große Fußgruppe“, wie Rosenkranz sagt, am Düsseldorfer Rosenmontagszug teilnehmen.

Damit hat es der Verein schon bis in die Türkei geschafft: „Über Facebook erkundigen sich Freunde aus der Türkei, was wir bei unserem ersten Straßenkarneval werfen wollen“, erzählt Yagan. Vorschläge für das Wurfmaterial gebe es zuhauf: „Das reicht von Baklava bis hin zu Kamelle mit Dönergeschmack.“ Yagan lacht. „Ist ja nur ein Gag. Uns geht es doch darum, das Brauchtum unserer Heimat anzunehmen und selbst ein fester Teil davon zu werden.“ Rosenkranz ergänzt: „Wir wollen weder eine klassische Karnevalssitzung noch türkische Folklore.“

Was aber wollen sie dann? „Einfach dabei sein und mitfeiern“, sagt Yagan. Für ihn ist der Karneval in einer Karnevalsregion wie dem Rheinland schlicht und einfach Andockstation, wenn man am gesellschaftlichen Leben teilnehmen will. Seine Eltern, die ursprünglich aus dem osttürkischen Erzincan stammen, schickten ihren in Deutschland geborenen Sohn von Anfang an in den deutschsprachigen Unterricht, weil zuhause Türkisch gesprochen wurde und er doch Deutsch gut sprechen lernen sollte. Mit acht ging er in den Fußballverein, er wollte Profisportler werden. „Mit dem Verein waren wir damals häufig zu Gast bei Karnevalsvereinen“, sagt er, „mein erster Kontakt mit den Narren sozusagen“. Auch nahmen ihn seine Eltern mit zum Rosenmontagszug: „Die waren der Meinung, es gehöre dazu, sich mit dem Brauchtum der neuen Heimat anzufreunden.“ Dass Karneval einen christlichen Ursprung hat, davon wussten weder Yagan noch seine Eltern zu dem Zeitpunkt. „Wir dachten, es gehe darum, den Winter zu vertreiben.“ Damals seien sie noch Zaungäste gewesen, die sich das bunte Treiben interessiert anschauen, aber eigentlich nicht weiter involviert waren. Sich in irgendwelchen althergebrachten Karnevalsvereinen zu engagieren, sei undenkbar gewesen.

Rosenkranz nickt nachdenklich: Er, der seit 45 Jahren in diversen Düsseldorfer Brauchtumsvereinen aktiv ist, weiß um die teils konservative Klientel im organisierten Karneval und deren Klischees über Zuwanderer. Zwar seien die meisten Reaktionen auf die Vereinsgründung positiv gewesen, sagt er, „aber so manch einer hat direkt von irgendwelchen Burkas, Kopftüchern und Zwangsheiraten gesprochen“. „Warum machste dat?“, parodiert Rosenkranz einige seiner Karnevalistenfreunde, die ihn an der Theke beiseite genommen hätten. „Muss dat sinn?“ Als eine lokale Zeitung zum ersten Mal über den DTC berichtete, meldeten sich zudem die üblichen Kommentarschreiber in Internetforen: „Warum können sich die Türken nicht in einem deutschen Verein integrieren?“, war zu lesen. „Was aber ist an unserem Verein nicht Deutsch?“, fragt Rosenkranz.

Gut möglich, dass etliche Zuwanderer auch wegen solcher Ressentiments nur wenig Lust auf traditionelle deutsche Brauchtumsvereine haben. Von den knapp 16 Millionen Menschen hierzulande, die eingewandert sind oder von Einwanderern abstammen, engagieren sich nur unterdurchschnittlich viele in Vereinen, sagen Studien. Laut einer Umfrage von 2008 des Sinus-Instituts befürchtet ein knappes Drittel der Zuwanderer, keinen Anschluss in einem solchen Verein zu finden oder gar ausgegrenzt zu werden. Bei den Sportvereinen sieht es zwar besser aus, aber auch dort stammt nur jedes siebte Mädchen aus einer Zuwandererfamilie, rechnet der Deutsche Olympische Sportbund vor.

Wie viele Zuwanderer in Karnevalsvereinen aktiv sind, ist nicht bekannt. Die Sprecherin des Kölner Festkomitees Siegrid Krebs erzählt von Bemühungen schon vor Jahren im Stadtteil Mülheim, einen deutsch-türkischen Verein auf die Beine zu stellen. Ob daraus ein echter eingetragener Verein geworden sei, das weiß sie nicht. „Ich wäre sowieso vorsichtig mit Ankündigungen irgendwelcher ersten deutsch-türkischen Vereine“, sagt Krebs, der noch ein Scherz der besonderen Art in den Knochen steckt: Vor gut drei Jahren war das Kölner Festkomitee einem Fernsehgag aufgesessen, als sich ein angeblich türkischer Karnevalsverein als TV-Satire des Senders RTL herausstellte. Die vermeintlichen Neujecken mit Kopftuch und Schnauzbart provozierten dabei typische Reaktionen auf dem politisch verminten Integrationsfeld: Das Festkomitee hatte die Aktion begrüßt, derweil sich die rechte Bürgervereinigung „Pro Köln“ lautstark zu Wort meldete, nun drohe ein Burka-Gebot für Karnevalistinnen. Am Ende lag der Gag darin, dass ausgerechnet im Karneval niemand einen Spaß verstanden hat.

Im Kölner Karneval ist das Thema Integration eher im sogenannten alternativen Karneval erwünscht, der „Stunksitzung“ zum Beispiel, oder auch der „Immisitzung“, die es seit der Session 2009/2010 gibt. „Imi“ steht für „imitierte Kölner“, die es zum Beispiel aus Rheinbach oder Bergisch Gladbach nach Köln geschafft haben, und „Immi“ für Immigranten, also Zugezogene aus anderen Ländern. „Und die bilden, anders als oft im Kölner Karneval, die Mehrheit im Künstlerensemble“, heißt es in der Pressemitteilung. Das Motto: „Jede Jeck ist von woanders.“ „Aber Migranten sind auch im offiziellen Kölner Karneval stark im Kommen, und das ist auch gut so“, sagt Sitzungspräsidentin Katja Solange Wiesner. „Wir werden mit der Immisitzung nicht mehr lange exotisch bleiben“, ist sie sich sicher. „Es gibt unendlich viele Gruppierungen, die Karneval feiern und überhaupt nicht fragen, woher man kommt“, sagt Krebs vom Festkomitee. Um genau zu sein: 111 Karnevalsvereine sind dem Kölner Festkomitee angeschlossen. „Darin auch viele Türken.“ Eine gewisse Zurückhaltung attestiert sie jedoch muslimischen Zuwanderern. „Was sie angeht, muss man akzeptieren, dass Karneval ein christliches Fest ist“, sagt sie. „Karneval und Kirche gehören eben zusammen, da wird gar nicht diskutiert.“

Für Yagan und Rosenkranz spielt die Religion indes keine Rolle. „Darüber haben wir noch nie gesprochen“, sagt Rosenkranz und sucht zur Bestätigung den Blick Yagans. „Wir haben Spaß“, ergänzt Yagan. Und ganz nebenbei könne man Kontakte pflegen: Im März kommt der Bürgermeister des türkischen Badeortes Bodrum auf dem Rückweg von der Touristikmesse in Berlin nach Neuss, um den Verein zu besuchen. „Wer weiß, vielleicht können wir eine Partnerschaft begründen, um den Karneval nach Bodrum zu bringen“, sagt Yagan, jetzt wieder ganz Netzwerker. „Wir schreiben Geschichte“, glaubt er. „Naja, ein großes Wort“, erwidert Rosenkranz.

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