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Hamburg Alaaf

„Das Letzte“, von Martin Benninghoff (Erschienen in der „Financial Times Deutschland“ am 2.2.2012)
 
In einer Hamburger Redaktion sitzen und über Karneval schreiben … ja, geht’s noch? Aus aktuellen Anlässen darf das jedoch ausnahmsweise sein: Erstens rastet das karnevalistische Rheinland in gut zwei Wochen wieder kollektiv aus, wie jedes Jahr. Und zweitens ist der Autor dieser Zeilen gerade im Begriff, von Köln nach Hamburg zu ziehen, was die Fragen aufwirft: Wie geht man als Emigrant mit dem Brauchtum seiner Heimat um? Und wie lebt man als Zuwanderer mit dem Brauchtum seiner Neuheimat?
 
Letzteres hat ein Düsseldorfer Unternehmensberater kürzlich beantwortet, indem er den nach eigener Aussage ersten Deutsch-Türkischen Carnevalsverein (DTC) gründete. Mehr als 40 Mitglieder sollen sich bereits eingeschrieben haben, und via Facebook hat es die Kunde bereits bis in die Türkei geschafft. Von dort kommen gut gemeinte Vorschläge für das Wurfmaterial, wie etwa Kamelle mit Dönergeschmack oder Baklava, die allerdings etwas zu klebrig zum Werfen sein dürfte. Im März will sogar der Bürgermeister der türkischen Urlaubsstadt Bodrum nach Düsseldorf kommen, um zu schauen, ob er diese merkwürdige Erfindung namens Karneval importieren kann.
 
Noch merkwürdiger ist allerdings die Tatsache, dass man als Bald-Hamburger anfängt, über den bis dato ungeliebten rheinischen Karneval zu schreiben. Dabei ist dieser Diaspora-Effekt für manche Zuwanderer typisch. Schon häufig haben sich Freunde, die aus Köln weggezogen sind, in der neuen Heimat plötzlich ein Bild des Doms an die Wand genagelt, obwohl sie vorher mit einem verächtlichen „mehr hat Kölle wohl nicht zu bieten“ an der Kirche vorbeigegangen sind. Jedenfalls nimmt sich der Autor dieser Zeilen vor, den Dom auch künftig in Köln zu lassen und dem Hamburger Michel eine echte Chance zu geben. Hamburg alaaf!
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