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„Ein Generationenwerk ist zerstört worden“

Analyse erschienen bei FAZ.NET (14.10.2018, Abend der bayerischen Landtagswahl)

Von Martin Benninghoff

Für die einen schrumpft die CSU auf Normalmaß, für die anderen ist die Schlappe der Christsozialen schlichtweg eine „Katastrophe“. Der großen Koalition in Berlin und Bundeskanzlerin Merkel dürften unangenehme Wochen bevorstehen.

Als Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Abend nach der ersten Prognose vor die Kameras tritt, spricht er von „Demut“ nach dem schlechten Ergebnis seiner Partei, aber auch von einem klaren Wählerauftrag zur Bildung einer bürgerlichen Koalition. Relativ schnell schaltet er vom Wundenlecken aufs Pläneschmieden um, was bleibt ihm anders übrig? Man kann aber auch schlicht von einer „Katastrophe“ sprechen und von einem „Elend für die CSU“, wie es zeitgleich Söders Parteifreund Peter Ramsauer tut, der frühere Bundesminister und Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Er legt noch eine Schippe drauf: „Ein Generationenwerk ist zerstört worden“, sagt er im Gespräch mit FAZ.NET. Die Analyse nach einer einfachen Landtagswahl klingt anders, diese Wahl haut selbst die erfahrensten Köpfe der bayerischen Staatspartei a.D. vom Sockel.

Ein Generationenwerk, das sofort Namen wie Franz-Josef Strauß, Theo Waigel oder Edmund Stoiber assoziiert. Tatsächlich ist die historischen Schlappe eine Zäsur in der Erfolgsgeschichte der Partei, die über Jahrzehnte mit absoluten Mehrheiten regiert hat. Seit 1962 konnte sie stets alleine regieren, mit Ausnahme der Jahre von 2008 bis 2013, als sie die FDP mit ins Boot holen musste. Auch damals brach eine große Krise in der CSU aus. Doch Horst Seehofer konnte den Burgfrieden wieder herstellen und 2013 die absolute Mehrheit zurückholen.

Was ist nun passiert – und was ist anders als 2008? Haben es Söder und sein Parteichef Horst Seehofer dieses Mal im Alleingang verbockt? Oder gibt es andere Gründe? Immerhin hat sich Seehofer am Abend im ZDF für eine Diskussion über „personelle Konsequenzen“ offen gezeigt. Der ehemalige CSU-Chef Erwin Huber legte ihm sogar indirekt den Abtritt nahe: Er selbst habe nach der Landtagswahl 2008 die Verantwortung übernommen und sei zurückgetreten. „Und das hat zum Erfolg geführt.“

Misstrauen gegen „die da oben“

Ganz so einfach ist es nicht, meinen mehrere Politiker aus dem Unionslager, andere Gründe werden angeführt: „Die Volksparteien sind seit ungefähr 20 Jahren im Niedergang“, sagt etwa Ramsauer. „Die Entwicklung hat vor Bayern nicht Halt gemacht.“ Dazu sei die große Koalition im Bund abgestraft worden. Auch der ehemalige Erste Hamburger Bürgermeister, Ole von Beust, CDU, meint, das „schlechte Ergebnis ist der Preis der großen Koalition“. Es gebe „großes Misstrauen gegen ‚die da oben’“ in der Bevölkerung. Philipp Amthor, einer der jüngsten Abgeordneten der CDU-/CSU-Fraktion im Bundestag, sagt: „Es gab offenbar Schwierigkeiten, bei den Wählern durchzudringen. An der guten Sacharbeit in Bayern kann es jedenfalls nicht gelegen haben.“

Die CSU, Opfer ihres eigenen Erfolges? Vieles spricht für diese These: Bayern steht, was die wirtschaftlichen Eckdaten und die geringe Arbeitslosigkeit angeht, auf der Spitzenposition im innerdeutschen Vergleich. Es ist größter Nettozahler im Länderfinanzausgleich, obwohl es lange Zeit als Agrarstaat am Tropf zum Beispiel von industriell geprägten Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen hing. Das Verhältnis hat sich heute umgedreht. Dadurch zieht Bayern ein junges, gut ausgebildetes Publikum an, eher urban geprägt, weniger im traditionellen und kirchlichen Milieu verhaftet. Der frühere Ministerpräsident Edmund Stoiber hatte gegenüber der F.A.Z. kürzlich von den „Neubayern“ gesprochen, die „keine natürliche Bindung zum Land, zur CSU“ haben. Laut Statistischem Bundesamt sind in den vergangenen zehn Jahren rund 1,1 Millionen Deutsche nach Bayern gezogen.

Von Beust sieht allerdings auch Fehler im Wahlkampf der CSU: „Ein Schlingerkurs funktioniert da nie“, sagt er. In der Flüchtlingspolitik erst hart bis fast zum Koalitionsbruch, dann wieder softer, dazwischen noch ein Kreuz-Erlass und andere typischen Themen aus der Schublade der Identätspolitik – das sei nicht mehr vermittelbar gewesen. Amthor, der in der Partei noch etwas werden möchte, mag über das Spitzenpersonal der CSU kein kritisches Wort verlieren. „Die CSU sollte und wird sich nicht zerfleischen“, prognostiziert er. Ganz so sicher ist da ein altgedienter Politiker wie Ramsauer nicht: „Die Erfahrung zeigt, dass sich eine Führungsdebatte nach einem solchen Ergebnis nicht vermeiden lässt.“ Führen will er die aber nicht – zumindest nicht am Abend der Wahl.

Lackmustest bei Hessenwahl

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kann die erwartete Schlappe der CSU noch kritische Folgen haben. Eine schwächelnde CSU schwächt die Union insgesamt bei Wahlen im Bund. Zudem könnten wieder einmal Stimmen laut werden, die eine Abspaltung der CSU von der Schwesterpartei fordern, um sich von er oft kritisierten Berliner Politik freizuschwimmen. Der Lackmustest dafür kommt allerdings erst noch in knapp zwei Wochen bei der hessischen Landtagswahl. Dort steht mit Ministerpräsident Volker Bouffier ein Politiker zur Wiederwahl, der sich sehr deutlich in der Flüchtlingspolitik an die Seite der Kanzlerin gestellt hat – und wenige Stunden vor der Bayernwahl die CSU heftig attackierte, deren Verhalten der Schwesterpartei CDU „viel Vertrauen gekostet“ habe. Die Wiederwahl von Angela Merkel auf dem Parteitag Anfang Dezember ist nicht mehr ganz so sicher, wie es einmal schien. Aber eine Kanzlerschaft ohne Parteivorsitz? Das hatte sie immer abgelehnt.

Die nächsten zwei Wochen dürfte die Kanzlerin allerdings von ihren eigenen Leuten keine Revolte erwarten. Sorgen machen muss sie sich aber wegen der SPD, die nach diesem desaströsen halbierten Ergebnis in Bayern, zu einem großen Unsicherheitsfaktor in der großen Koalition geworden ist. Der Kurs der Parteivorsitzenden Andrea Nahles, durch Sacharbeit in der Regierung bei den Wählern zu punkten, ist gescheitert, trotz eines Gute-Kita-Gesetzes oder Nachbesserungen bei der Mietpreisbremse. Selbst politische Gegner wie Ramsauer sehen den Niedergang der SPD mit gemischten Gefühlen: „Das erfüllt mich mit großer Sorge, dass diese älteste deutsche Volkspartei, die viel für die Stabilität im Land getan hat, in dieser Krise steckt.“ Amthor macht die SPD allerdings selbst dafür verantwortlich: „Bei der SPD sehe ich die Debattenkultur kritisch. Sie hätte besser die gemeinsamen Erfolge in Berlin betonen sollen, anstatt Opposition in der eigenen Regierung zu spielen.“ Auch für die Sozialdemokraten wird die Hessenwahl die ungleich größere Bewährungsprobe als die ohnehin schon im Vorfeld abgehakte Bayernwahl: In Hessen war die SPD über Jahrzehnte prägende politische Kraft und stellte zuletzt mit Hans Eichel einen Ministerpräsidenten. Sollte die Wahl ebenso krachend verloren gehen, stellt sich die Frage nach der Personalie Nahles. Spätestens dann, wenn nicht schon in den nächsten Tagen.

Die Grünen haben die SPD als die treibende linke Kraft zumindest im Süden und Südwesten Deutschlands abgelöst. Bleibt die Frage, ob die Partei in eine Koalition mit der CSU geht. Politiker wie Ole von Beust sind Anhänger von Schwar-Grün, im tiefen Süden allerdings wird sie von der Mehrheit der CSUler kritisch gesehen. „Weltanschaulich sind die das krasse Gegenteil. Eine Koalition mit den Grünen schließe ich aus“, sagt Ramsauer. Das seien „Wölfe im Schafspelz“, seiner Darstellung nach „die überwiegende Auffassung der CSU-Leute an der Basis“. Er wünscht sich eine Koalition mit den Freien Wählern, wenn es denn sein müsse unter Einbezug der FDP. Danach sieht es aber nicht aus, offenbar reicht es für eine Koalition von CSU und Freien Wählern. Die wahrscheinlichste Option ist deshalb die bürgerliche Variante aus CSU und Freien Wählern. Wobei sich die CSU schon fragen lassen muss: Was ist bürgerlich im Jahr 2018? Kann bürgerlich nicht auch grün sein?

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