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Der neue Kalte Krieger

Erschienen auf „Opinion Club“  (6.11.2013)

Von Martin Benninghoff

„Populist“ ist ein Kampfbegriff, der inflationär gebraucht wird. Das ist schlecht, weil der Begriff dadurch an Trennschärfe verliert. Dahinter verbirgt sich ein Menschentypus, der gefährlich für Frieden und Wohlstand ist

Italiens Premier hat es jüngst auch getan: In der „Süddeutschen Zeitung“ hat er am vergangenen Wochenende vor Wahlerfolgen der „Populisten“ gewarnt. Man müsse Alternativen herausstellen, ein „Europa der Völker gegen das Europa der Populisten“, forderte Enrico Letta. Und so recht er hat, so abgenutzt und unterhalb der Wahrnehmungsschwelle verortet wirkt dieser Begriff mittlerweile: „Populist“. Irgendwie wohlfeil, langweilig, beliebig.

Andererseits, Warnungen vor Populismus müssen nicht deshalb falsch sein, nur weil sie öfters zu hören sind. Im Gegenteil: Populismus – richtig definiert – ist tatsächlich eine große Gefahr, die Europa und seine politischen Systeme von innen aushöhlen kann. Möglich, dass sich diese abstrakt klingende Gefahr bei den Europawahlen im nächsten Jahr konkret ausbilden wird, wenn Europas populistische Anti-EU-Parteien mit großen Stimmenzuwächsen ins EU-Parlament einziehen sollten – wovon derzeit auszugehen ist.

Was also ist ein „Populist“?

Für viele ist Horst Seehofer beispielsweise ein Populist. Sicher, er sagt oft das, was die Leute hören wollen, oder er sagt oft das, wovon er ausgeht, was die Leute hören wollen. Deshalb ist er aber lange noch kein Populist, sondern eher ein Opportunist. Das kann man ablehnen, die Demokratie wird an Opportunismus aber nicht zugrunde gehen. Jedenfalls ist es die Aufgabe von Regierungschefs, für Mehrheiten zu sorgen, also die Gunst der Massen für sich zu gewinnen. Wenn das in opportunistischer Bierzelt-Rhetorik passiert – nun gut, das ist eben Geschmackssache. Außerdem muss sich Seehofer mit der Konsequenz herumschlagen, seine Ankündigung umzusetzen. Populismus und Realpolitik verhalten sich oft zueinander wie Feuer und Wasser.

Echter Populismus ist etwas anderes, etwas viel Zerstörerisches, etwas, das unseren Gesellschaften zunehmend gefährlicher wird, weil es so weit verbreitet ist und sich wie ein metastasierendes Krebsgeschwür durch die Bevölkerung frisst. Populismus ist das Gift, eine komplexe Welt durch eine Schwarz-Weiß-Brille zu sehen, den Blick für die Realitäten zu verlieren und schlicht und einfach die falschen Konsequenzen zu ziehen, weil die Entscheidungsgrundlage fehlerhaft ist. Der Populist ist der neue Kalte Krieger. Der Populismus ersetzt den Kalten Krieg in seiner Funktion, Mauern und Zweiteilungen in die Köpfe der Menschen zu setzen.

Klingt abstrakt, ist aber ganz einfach und konkret, weil jeden Tag zu beobachten.

Beispiel Zuwanderung: Integration funktioniert eigentlich ganz gut in Deutschland, zumindest mittlerweile. Die Bildungserfolge türkischstämmiger Kinder in den Schulen haben sich verbessert, auch wenn es natürlich noch immer Probleme gibt, die allerdings kräftig thematisiert werden (was gut ist). Umfragen zeigen jedoch immer wieder starke Vorbehalte und Ablehnung von Muslimen, was die Berliner Kultursoziologin Naika Fourotan zu dem Bonmot veranlasst hat, Integration funktioniere in den Augen der Bevölkerung ganz gut, aber „minus Muslime“.

Das Entscheidende ist, es geht ja nicht um eine Ablehnung des politischen Islamismus, das ist Konsens in der Gesellschaft. Vielmehr scheint, wie der Migrationsforscher Klaus Bade richtig diagnostiziert, die undifferenzierte und schwarz-weiße Anti-Islam-Haltung Ausdruck „projizierter Kulturängste“. Einfacher ausgedrückt: Wer irritiert ist und sich alleine gelassen fühlt, braucht ein Feindbild, um sich seiner selbst wieder sicherer zu werden. „Das Fremde“ eignet sich da offenbar, weil es einen in der Abgrenzung selbst näher an die „Mehrheitsgesellschaft“ heranrückt. Bade drückt das so aus: „Wenn uns schon als Deutsche angeblich nichts mehr verbindet als die Mitgliedschaft in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft, dann wollen wir wenigstens dadurch wieder Geschlossenheit finden, dass wir uns gemeinsam klar darüber werden, was wir nicht sind und nicht werden wollen.“

Diese Zweiteilung in „Wir“ und „die anderen“ prägt das Denken von Populisten. Und sie macht anfällig für die Statements der Populisten. Die erfolgreichen Parteien und Politiker dieser Richtung – ob AfD oder FPÖ in Österreich, ob Le Pen in Frankreich oder Geert Wilders in den Niederlanden – spielen gekonnt auf dieser Klaviatur mit den weiß-schwarzen Tasten. Dass sich das Thema Zuwanderung eben nicht zweiteilen lässt – in „Wir“ und „die anderen“ – sehen die Populisten nicht, oder sie wollen es nicht sehen. Dass sich Integrationsprobleme nur selten aus der Schuld des einen oder des anderen speisen, sehen diese Leute nicht.

Prominenter Auswuchs dieser populistischen Weltsicht ist Samuel Huntingtons These vom „Kampf der Kulturen“, vereinfacht ausgedrückt vom angeblichen Kampf des Westens gegen den Islam. So widerlegt diese These auch ist – unter anderem durch den hervorragenden, gerade 80 gewordenen indischen Ökonomen Amartya Sen – so wirkmächtig bleibt sie in den Köpfen vieler Leute. Es ist ja auch so schön einfach, die komplexe Welt auf zwei Pole zu reduzieren und dann natürlich selbst am richtigen zu stehen. Und so wird die Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland dann auch geführt: Für die einen ist eine doppelte Staatsbürgerschaft der Königsweg zur Integration, für den anderen ein Unding, weil man sich für eine Identität – deutsch oder ausländisch –  gefälligst zu entscheiden hat. Dieses Schwarz-Weiß-Denken aber ist falsch: Identität ist ein komplexer Prozess – und auch das hat Amartya Sen wunderbar aufgeschrieben -, der kein Entweder-Oder kennt. Man kann locker eine Identität haben, die sich aus zwei oder mehreren Hintergründen zusammensetzt. Und bei Migranten ist das oft auch so, ohne dass sie in Loyalitätskonflikte geraten.

Populismus ist aber nicht nur ein Problem bei der Zuwanderung. Populismus ist eine zeitgenössische Unart der Selbstprofilierung, wie man zuletzt bei Susanne Gaschkes Fiasko als Kieler Oberbürgermeisterin sehen konnte. Eigentlich ist der Fall ja eine lokale Posse, die überregional kaum Bedeutung hätte, wenn sich die ehemalige „Zeit“-Journalistin nicht selbst so wichtig nehmen würde. Anders ausgedrückt, sie geriert sich als Seiteneinsteigerin in eine Art politische Kaste oder Klasse, die hermetisch abgeriegelt und längst schon der Wirklichkeit entrückt ist. Ihr Feindbild: „testosterongesteuerte Politik- und Medientypen“, wie sie bei ihrer Rücktrittsrede sagte. Dass sie damit alle Politiker über einen Kamm schert – geschenkt. Wozu differenzieren, wenn man sich durch populistische Schwarz-Weiß-Klassifikationen selbst reinwaschen kann? Es ist eigentlich erstaunlich, dass das Frau Gaschke – die ansonsten übrigens nicht gerade als Populistin aufgefallen ist – abgenommen wird. Ähnliche Versuche hatte schon der Ex-Bundespräsident Horst Köhler aufgeboten, weil auch er sich gerne als Seiteneinsteiger profilierte, der mit den Parteikarrieristen nichts am Hut hat. Das war schon einmalig, dass sich ein Bundespräsident auf Kosten von Berufspolitikern selbst popularisiert.

Beides unschöne Beispiele, die aber nicht existenzgefährdend sind. Derzeit gibt es gravierendere Fälle von Populisten, die den Zusammenhalt der europäischen Gesellschaften ernsthaft gefährden. Wenn ein Drittel der Österreicher zum Beispiel ihr Kreuz bei populistischen Parteien machen. Je komplizierter Systeme werden, je größer und unübersichtlicher politische Konstruktionen wie die Europäische Union werden, desto anfälliger sind die Menschen für die lauten Vereinfacher. Deren Motto: Wir sind das Volk, ihr seid die bösen Politiker. Wir sind die Guten, ihr die Schlechten. Wir sind die Deutschen, Österreicher, Südtiroler, und ihr seid nur die Fremden.

Bei Populisten gibt es daher erstaunliche Querverbindungen zwischen Themen, die eigentlich inhaltlich nichts miteinander zu tun haben: Rechtspopulisten wettern ja nicht nur gegen Europa, „die Politiker“ oder Zuwanderer. Auch der Klimawandel wird oftmals pauschal geleugnet, weil das Nachdenken darüber ein weiterer schwerwiegender Eingriff in die eigenen Lebensgewohnheiten darstellt. Und am einfachsten ist dann, gleich das ganze Problem vom Tisch zu wischen, statt sich die Mühe zur Differenzierung zu  machen. Heraus kommt oft eine Schwarz-Weiß-Einteilung in „Wir, das sind die Typen mit Durchblick“ und „die anderen, all die Gutmenschen, Feministinnen, Klimalügner, politisch korrekten Volksvertreter“.

Eine persönliche Anmerkung zum Schluss: Vor diesen Leuten, die den Mut nicht aufbringen, die Welt als komplex hinzunehmen, kann es einem nur grauen. Und die Kommentarspalten der deutschen Online-Zeitungen sind voll mit derartigen Statements. Es könnte gut sein, dass diese Leute bald mehr Einfluss bekommen, dann zum Schaden aller. Die wahren Realisten sind jene, die die Welt als so komplex wahrnehmen, wie sie nun mal ist. Der Kalte Krieg ist vorbei.

Martin Benninghoff, Journalist in Hamburg, ist Co-Autor des Buches „Aufstand der Kopftuchmädchen“, das sich mit der Reform des Islam und der Integration in Europa beschäftigt. Seine OC-Kolumne MyGration erscheint jeden Mittwoch.

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