(Erschienen: „Opinion Club“, 11.12.2013)
Wer „Gutmensch“ gescholten wird, hat eigentlich vieles richtig gemacht. Deshalb sollte man sich von dieser etwas dümmlichen Beleidigung niemals irritieren lassen. Und einfach weitermachen. Eine Polemik von Martin Benninghoff
Ich muss gestehen (und mache mich bestimmt unbeliebt): Mir sind 100 Claudia Roths lieber als nur einer dieser nöligen und besserwissenden, aggressiv-pessimistischen Untergangs-Szenaristen, die die Internetforen deutscher Tageszeitungen bevölkern und Andersdenke als „Gutmenschen“ diffamieren. Kurzum, mir sind 100 „Gutmenschen“ lieber als nur einer dieser Negativ-Apologeten, die stets den Untergang des Abendlandes bei der Einführung des, sagen wir mal, Dosenpfandes sehen.
Warum das gesagt werden muss? Weil der Begriff „Gutmensch“, der einst als rhetorischer Kampfbegriff erfunden wurde, um politischen Gegnern einen Schlag zu versetzen, indem man die Debatte von der Sach- auf die Personenebene verlagert, mittlerweile in den normalen Sprachgebrauch übergegangen ist. Mir fällt auf, dass dieses üble Wort immer öfters in journalistischen Texten auftaucht, wo es eigentlich nicht hingehört. Offenbar aber ist das zweitplatzierte Unwort des Jahres 2011 mittlerweile salonfähig geworden. Längst hat es sich aus den Internetforen in die professionell geschriebenen Artikel gestohlen – mit schlimmen Folgen für die, die sich so gescholten sehen.
Der „Gutmensch“ in der modernen Bedeutung ist ja das Gegenteil von gut. Wer so genannt wird, wird als naiv, unkritisch, blauäugig und nervtötend angesehen, als einer, der immerzu die „Political Correctness“ befolgt, aber nie die Vernunft sieht. Selbstredend sieht sich der Kritiker an diesem Punkt als das genaue Gegenteil, als rational, vernunftbegabt und kompetent. Wer „Gutmensch“ ist, ist im Grunde also unfähig, die Dinge im richtigen Licht zu sehen. Wer so genannt wird, ist in den Augen mancher Leute sogar richtig gefährlich für Freiheit, Wohlstand und die eigene (natürlich nationale) Identität.
Betroffenheitsjargon und Gesinnungskitsch
Die Entwicklung der Begriffsbedeutung in den letzten Jahren und Jahrzehnten sagt viel über das Menschenbild in unserer Gesellschaft aus. Weithin bekannt wurde „Gutmensch“ durch das sprachkritische „Wörterbuch des Gutmenschen“ von 1994. Das Buch wandte sich eher als Stilkritik durchaus zu Recht gegen „Betroffenheitsjargon und Gesinnungskitsch“. Im Nachwort erinnert der Herausgeber Bittermann an die sprachkritische Schrift „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ von 1957, und er erläutert, was unter dem „Gutmenschen“ zu verstehen sei: „Die Besorgten (sehen sich) als geduldige, aber empfindsame Menschen. Sie verspüren innerlich intensiv, was von außen her auf sie einwirkt. Aber zugleich kümmern sie sich aktiv um das Leben außerhalb. Häufiger als der Durchschnitt machen sie sich Sorgen um andere Menschen. […] Wichtig ist ihnen aber auch ihre Innenwelt.“
In dieser Definition ist der „Gutmensch“ zwar manchmal selbstbezogen (und daher etwas nervtötend), andererseits aber ein empfindsamer Mensch, der sich um die Dinge da draußen kümmert. Ein Kümmerer, der daraus auch Gewinn für sich selbst zieht. Nach meinem Verständnis also der ideale Typus eines gesellschaftlich interessierten Homo Politicius im griechischen Sinne, der die Dinge zum Besseren wenden möchte – und sich auch dafür einsetzt.
Natürlich: Dabei kann dieser Menschentypus über das Ziel hinausschießen. Oder es verfehlen. Zu wenig oder zu viel tun. Aber keinesfalls verdient er es, von Menschen, die nicht halb so viel tun, diffamiert zu werden.
Politisch lebensfern und intellektuell wirr
Wir erleben das in gesellschaftspolitischen Debatten fast tagtäglich. Vor kurzem ist die Diskussion um ein Verbot von Prostitution neu entflammt. Es geht um die Frage, wie den oft aus Not oder sogar Zwang anschaffenden Frauen geholfen werden kann. Alice Schwarzer hat die Debatte mit ihrem Magazin „Emma“ und einigen Talkshowauftritten zuletzt mit angefeuert, ihr zugleich aber eine Schlagseite gegeben, typisch auch für die Debatten um Islam und Integration. Im Kern kritisiert sie (durchaus zu Recht), dass das rot-grüne Prostitutionsgesetz der Regierung Schröder zu einer Verschlechterung der Lage von Prostituierten geführt habe. Im Unterton diffamiert sie jedoch die Befürworter des Gesetzes, zwar ohne den Begriff „Gutmensch“ zu verwenden, in der Umschreibung aber in eine ähnliche Richtung gehend: „Ihre Überlegungen sind politisch so lebensfern wie intellektuell wirr und dazu ungetrübt von jeglicher Sachkenntnis.“
Ein nicht funktionierendes Gesetz gehört geändert. Klar. Aber auch als Kritikerin sollte man anerkennen, dass das Ziel, Prostituierte besser zu stellen, ein gutes Ziel war und ist. Es gibt also keinen Grund, die damalige rot-grüne Regierung unter Schröder abzukanzeln, weil sie versucht hat, einen Graubereich zu durchleuchten, auch wenn der Versuch letztlich gescheitert zu sein scheint. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Warum nicht die Größe beweisen, zu sagen, ja, das war ein richtiges Ziel, allerdings haben sich die Instrumente nicht bewährt?
Ein Schema der Kritik, das typisch für gesellschaftspolitische Debatten geworden ist: Gerade beim Thema Integration und Islam werden die aktiven Sozialarbeiter und Migrationsforscher seit Jahren von rechter Seite als „Gutmenschen“ abgetan. Gerade die, die sich täglich mühen, die Probleme im Zusammenwachsen verschiedener Menschengruppen aus aller Herren Länder abzumildern, müssen sich derart diffamieren lassen. Das kränkt viele – und zeigt, wie wenig Anerkennung wir jenen zollen, die die wirklich harte Arbeit machen. Nichts gegen Beifall für Bastian Schweinsteiger oder Sebastian Vettel: Aber die arbeiten vor allem für sich selbst und brauchen nicht noch mehr Bewunderung und noch mehr Applaus. Es sind die stillen und idealistischen Helden, die Sozialarbeiter und Entwicklungshelfer, die täglich das Zusammenleben möglich machen – und ihnen weht manchmal in der öffentlichen Wahrnehmung ein eisiger Wind entgegen.
Ist diese Ansicht schon „Gutmenschentum“? Na klar, werden die frustrierten Passiven dieser Gesellschaft ätzen. Selbst in so mancher Zeitungsredaktion werden in der morgendlichen Redaktionskonferenz gerne bestimmte Themen als „Gutmenschenthemen“ oder manche Gastautoren als „Gutmenschen“ abqualifiziert. Es sind häufig die Fleißigen und Aktiven, die – vielleicht aus Neid? – derart diffamiert werden. Und gerade Journalisten, die vielleicht darunter leiden, dass sie zwar permanent bewerten, aber nur zu selten etwas wirklich verändern können, tun sich mit Diffamierung der Motivierten und Engagierten hervor. Da wäre mehr mediale Selbstkritik durchaus wünschenswert.
Für eine Gesellschaft ist das kein gutes Zeichen. In einer guten Gesellschaft sollte man den Aktiven und Fleißigen ihre hehren Ziele nicht übelnehmen, im Gegenteil: Man sollte sie dafür loben. Und dann im Detail schauen, ob die Werkzeuge und Strategien auch sinnvoll sind. Alles andere wäre eine ungute Verkehrung der Werte. Aber vielleicht ist es ja schon das Gesabbel eines „Gutmenschen“, wenn ich mir eine gute Gesellschaft wünsche.
Der deutsche Journalisten Verband sieht diesen Kampfbegriff von Nazis (er wird direkt Goebbels zugeschrieben) erfunden und angewandt zuerst gegen den Münsteraner Bischof van Galen, der sich gegen die Ermordung Behinderter (Euthanasie)ausgesprochen hatte.
Dass die „braune Sprachsoße“ im Alltagsgebrauch auch in anderen unmenschlichen Worten wieder zu finden ist, sieht man u.a. am Verb „entsorgen“, das gerne in Personalabteilungen gebraucht wird. Menschen als Menschenabfall.