Obwohl die Türkei derzeit andere Sorgen hat – ich meine das schreckliche Grubenunglück – hier mein neuester Kommentar zu Erdogans Besuch im Mai (Opinion-Club, am 14.05.2014 erschienen).
Von Martin Benninghoff
Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan spricht am 24. Mai in Köln. Das wird für medialen Rummel sorgen. Schlimmer aber sind seine Fans und die Anhänger der Gülen-Bewegung, die sich in Deutschland zunehmend in Stellung bringen
Recep Tayyip Erdogan lässt sich nicht so leicht aufhalten: Die Lanxess-Arena in Köln ist jedenfalls schon für den 24. Mai für seinen Auftritt gebucht, auch wenn er sich noch gar nicht offiziell erklärt hat, ob er ins Rennen um den türkischen Präsidentenjob gehen will. Wenn er denn kandidiert, und danach sieht es derzeit aus, dann wird er in Köln seinen ersten Wahlkampfauftritt in Deutschland haben (auch wenn er aktuell behauptet, mit Wahlkampf habe das nichts zu tun). Ausgerechnet in Deutschland also, dessen Staatsoberhaupt Joachim Gauck wohl nicht mehr zu seinen besten Freunden wird. Sei’s drum, Deutschland ist für Erdogan wichtig: Dort leben die meisten der mehr als fünf Millionen Auslandstürken. Und die dürfen in diesem Jahr erstmals mitwählen.
Wo ist das Problem, könnte man einwenden. War Barack Obama als Präsidentschaftskandidat nicht auch in Deutschland, um eine Wahlkampfrede in Berlin zu halten? Gut, er durfte letztlich nicht vor dem Brandenburger Tor sprechen, aber das will Erdogan ja auch nicht: Die Kölner Lanxess-Arena ist eine schnöde Mehrzweckhalle mit ungefähr so viel Symbolcharakter wie die A 61 zwischen, sagen wir mal, dem Kreuz Meckenheim und der Abfahrt Bad Neuenahr.
Das Problem bei Erdogan ist ein anderes: Erstens, seine Auftritte in Deutschland sind kontraproduktiv für die türkischstämmigen Menschen hierzulande, deren Lebenswirklichkeit meilenweit entfernt ist von den Versprechungen, die ihnen ein türkischer Ministerpräsident machen kann. Und bereits 2008 sorgte Erdogans Besuch in Köln inklusive seiner wirren Warnung, sich bloß nicht assimilieren zu lassen, für erheblichen Zwist. „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Das saß.
Schlimmer aber als die Selbstdarstellung eines egomanen Politikers mit autokratischen Zügen ist der Import eines heftigen türkischen Dreikampfes zwischen säkularen und kemalistischen Gruppen, Anhängern der umstrittenen Gülen-Bewegung und Erdogan-Jüngern. Zwar konnte Erdogan bei den Kommunalwahlen in der Türkei einen satten Sieg einfahren, für die personalisierte Präsidentschaftswahl dürfte es weitaus knapper werden. Und da zählt jede Stimme der mehrheitlich eher konservativen türkischstämmigen Menschen in Deutschland.
Geländegewinne in Deutschland
Es geht also um Geländegewinne in Deutschland. Die Säkularen sind dabei freilich nicht das Problem, zumal sie sich kaum organisieren. Problematisch sind eher die ehemaligen Verbündeten der konservativen türkischen Lager: Die islamisch-reaktionäre Gülen-Bewegung breitet sich derzeit offensiv in Deutschland aus, meist über Schulen und Nachhilfeorganisationen für türkischstämmige Kinder. Nach allen Berichten aus dem Inneren dieser Einrichtungen werden Kinder und Jugendliche vor allem nach dem Unterricht im „Freizeitprogramm“ konservativ-islamisch beeinflusst, andere sprechen von Indoktrination. Klar, dass die AKP, also Erdogans Partei, nach dem Zerwürfnis mit Gülens Bewegung nachlegt: Hat man es früher den konservativen Moscheevereinen der staatlichen Religionsbehörde bzw. ihrem deutschem Ableger Ditib überlassen, das konservative Wahlvolk bei der Stange zu halten, so tritt in letzter Zeit, und vor allem lautstärker als früher, ein anderer Akteur auf: der in Köln ansässige gemeinnützige Verein UETD. Der veranstaltet natürlich auch die Erdogan-Sause am 24. Mai in der Lanxess-Arena.
Den Verein gibt es seit 2004. Zwar behauptet er, unabhängig zu sein und nicht von der AKP finanziert zu werden, glaubhaft ist das aber kaum. In letzter Zeit wurden zig neue Ortsvereine in Deutschland gegründet, nach Medienberichten sollen es bereits 30 sein. Die Organisation verteidigt die Erdogan-Politik, setzt sich ansonsten für die Förderung der türkischen Muttersprache ein – nicht ganz unwichtig, wenn Türkeistämmige in Deutschland Erdogan wählen sollen -, und macht sich für den Islam stark. Auch das nicht gerade das Programm eines laizistischen Staates, wohl aber das Programm des erzkonservativen Erdogan.
Wenn man sich die Entwicklungen der vergangenen Monate in der Türkei anschaut – von den Gezi-Protesten bis zum jüngsten Absturz der Türkei in der Freedom-House-Weltrangliste der Pressefreiheit -, dann lässt der gesteigerte Organisationsgrad der Erdogan-Anhänger in Deutschland nichts Gutes erwarten. Es ist auf jeden Fall gut zu wissen, dass mindestens einer an Deutschlands Staatsspitze genau hinschauen wird: Bundespräsident Gauck.