Erschienen bei FAZ.NET (09.04.2016)
Von Martin Benninghoff
Guns N’ Roses kehrt zurück: Axl Rose, Slash und Duff McKagan stehen wieder gemeinsam auf der Bühne und feiern alte Zeiten. Bleibt nur die Frage: Haben sie auch etwas für die Zukunft zu bieten?
Wer je ein Konzert der Gitarren-Ikone Slash besucht hat, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren: Die Fans goutierten zwar die neueren Songs seiner Bands wie „Slash’s Snakepit“, „Velvet Revolver“ oder „Slash ft. Myles Kennedy and the Conspirators“ und applaudierten freundlich. Feiern aber wollten sie ihren coolen Gitarristen von Guns N‘ Roses. Der mit seiner Tingeltangelbob-Frisur, dem Zylinder, der Sonnenbrille selbst bei Dunkelheit und der lässigen Gibson Les Paul in der Hand bei jedem Solo-Konzert Band-Evergreens wie „Sweet child of mine“ zum Besten gab und – wie früher bei Guns N‘ Roses – als Zugabe nach „Paradise City“ lud. Inklusive Pyro-Kanonen natürlich und schnellem Solo.
Guns N‘ Roses, deshalb waren die Fans gekommen! Um wenigstens ein Stück der Band zu erhaschen, die nach dem endgültigen Split der Originalbesetzung Mitte der neunziger Jahre, dem Austausch unfreundlicher Botschaften über die Medien, nach Skandalen und Eskapaden ihres exzentrischen und aggressiven Frontmannes Axl Rose zu einem Mythos im Popgeschäft geworden war. Slash war das lebendige Maskottchen, das seit dem Bruch für einige Konstanz am Tourhimmel sorgte, fleißig Soloalben herausbrachte und als Pappaufsteller in jedem zweiten Gitarrenladen Gewähr dafür trug, dass Guns N‘ Roses nicht in Vergessenheit geriet. Rose war dazu kaum in der Lage, da er jahrelang abtauchte und wie ein Phantom nur ab und an von der Boulevardpresse gesichtet wurde. Auch eine Möglichkeit, am Mythos zu arbeiten.
Wer glaubte schon an ein Comeback?
An ein Comeback der Combo glaubte lange Zeit keiner mehr. „Not in this lifetime“ (“nicht in diesem Leben“), hatte Axl Rose in einem Interview gesagt, und auch Slash winkte nur müde ab, wenn er auf einen möglichen gemeinsamen Auftritt mit der Band angesprochen wurde – Lieblingsfrage der Journalisten. Für seine Verhältnisse geriet er regelrecht unwirsch, wenn er einmal mehr über sein zerrüttetes Verhältnis zu Rose ausgefragt wurde und die verpassten Chancen und das viele Geld, das die Band sich hatte durch die Lappen gehen lassen, weil sie viel zu früh und vor allem freiwillig abgetreten war. Obwohl Guns N‘ Roses in veränderter Besetzung und nur mit dem Originalmitglied Axl Rose nie aufgehört hatte zu existieren, war die Band – oder das, was die Fans von ihr erwarteten – praktisch tot.
Bis zum Freitag: Rose, Slash und Bassist Duff McKagan haben es trotzdem getan, das Comeback – 23 Jahre nach dem letzten gemeinsamen Konzert, und das mit aller Ironie, die gealterten Superstars der MTV- und Stadionrock-Ära zur Verfügung steht. „Not in this lifetime“ heißt die Tour, die Guns N‘ Roses zumindest in anteiliger Originalbesetzung in Las Vegas startete und die die Band in Nordamerika fortführen wird. „Not in this lifetime“: Da zitieren sich die Altmeister selbst, und auch wenn nicht wirklich neues Songmaterial zu erwarten war, so ist wenigstens die Ironie neu.
Rose auf dem Thron der Versehrten
Nicht die Tatsache, dass die Band wie üblich mehr als zwei Stunden auf sich warten ließ, überraschte die Fans: Sänger Axl Rose, der früher zumindest ein Dauerläufer auf der Bühne war, thronte während des Konzerts auf einem Stuhl, weil er sich kürzlich einen Fuß gebrochen hatte (angeblich stammt der Thron von „Foo Fighter“ Dave Grohl, der im vergangenen Jahr ebenfalls verletzt auftreten musste).
Eine Woche zuvor hatten die drei Originalmitglieder zusammen mit Dizzy Reed, der schon zu Zeiten der „Use your Illusion“-Tour am Keyboard saß, Gitarrist Richard Fortus, Drummer Frank Ferrer und Neumitglied Melissa Reese am zweiten Keyboard einen ersten Testballon im „Troubadour“ gestartet, jenem legendären Club in Los Angeles, wo die Karriere der Band in den Achtzigern Fahrt aufnahm.
Dabei kam es zur Verletzung. Rose twitterte: „Das hier kann passieren, wenn man etwas tut, was man fast 23 Jahre lang nicht gemacht hat.“ Seine Orthopädin kündigte im Netz an, dass Rose den Fuß weitere vier Wochen nicht belasten dürfe – die nächsten Konzerte finden also auch im Sitzen statt.
Fuß kaputt, Stimme umso besser
Der Fuß kaputt, die Stimme dafür umso besser und so gut wie lange nicht mehr. Das Programm selbst wartete nicht mit großen Überraschungen auf. Selbst das „Godfather“-Theme, das zu Beginn der neunziger Jahre zum Standardrepertoire gehörte, durfte nicht fehlen, natürlich mit direkter Überleitung zu “Sweet child of mine“. Ansonsten eine wenig überraschende Mischung aus Guns N‘ Roses-Klassikern wie „Welcome to the jungle“ und „November Rain“, längst eingebürgerten Coversongs wie „Knockin‘ on heavens door“ und auch Material aus der Nach-Slash-Ära der Band, als die Stimme zwar die gleiche war, aber der Sound der Band insgesamt den Wiedererkennungswert eingebüßt hatte.
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Es ist ja schwer zu begreifen, warum manche Bands einfach nicht in Vergessenheit geraten, obwohl sie schon Jahrzehnte weg von den Bühnen sind. Abba zum Beispiel zehrt noch immer vom einzigartigen Sound und den für Popmusik besonders raffiniert-eingängigen Kompositionen in Verbindung mit einem Look und einer Bildsprache in den Musikvideos, die bis heute einen enormen Wiedererkennungseffekt hat.
In dem riesigen Zirkus längst untergegangener Rockgrößen der achtziger und neunziger Jahre stachen die Jungs um Rose und Slash eben auch mit hohem Wiedererkennungswert heraus: Der erste Ton – war es ein Slash-typisches Pentatonik-Riff seiner singenden Gibson „Paula“ oder die unvergleichliche Reibeisen-Stimme von Rose – gehörte immer nur dieser Band und keiner anderen. Das schaffen nur wenige: Aerosmith, Radiohead, U2, Coldplay, System of a Down, Rammstein, Muse, um einige im Rockbereich zu nennen. Den erfolgreichen Bands gelingt das, andere sind noch auf der Suche nach ihrem Sound.
Meilensteine der MTV-Ära
Die Musikvideos von Guns N‘ Roses waren Meilensteine der MTV-Ära, trieften zwar oft vor Pathos und Schmalz, hatten aber in der Zeit einerseits zwischen den Hair-Metal-Bands wie Van Halen und etwas später Mötley Crüe und andererseits den Totalverweigerern der Grunge-Ära wie Nirvana das Potential zu Klassikern, weil sie Geschichten erzählten und nicht nur Frickel-Soli egozentrischer Gitarristen oder depressive Untergangsstimmungen propagierten. Das galt auch für die Musik: Der Sound von „Appetite for destruction“, dem Debütalbum der Band, das sich weltweit rund 35 Millionen Mal verkaufte, ist auch zeitlos, derweil man anderen Produktionen der Achtziger kaum noch zuhören mag.
Die Einzigartigkeit im Sound war ausprobiert, erspielt und eben kein Produkt der Marketingüberlegungen irgendwelcher Popakademie-Absolventen. Guns N‘ Roses war die Band von punkigen und angebluesten Hardrock-Dilettanten, die ihre Instrumente erst lernen mussten, als sie schon erste Konzerte gaben. Dass Slash auch heute noch gerne von manchen Medien als „Gitarrengott“ bezeichnet wird, ist natürlich einerseits völlig übertrieben, wenn man Fusionjazzwunder wie Al Di Meola oder Rocktausendsassas wie Steve Vai zum Maßstab nimmt. Aber Slash hat dafür die bekanntesten Rockriffs aus simplen Pentatonik-Skalen herausgeschält. Das muss man auch erst einmal schaffen.
Dabei wäre es freilich Unsinn, den Erfolg der Band einzig und alleine der Musik zuzuschreiben. Mit ihrem Deal bei der Plattenfirma Geffen Records, der Heavy-Rotation ihres Videos zu „Sweet child of mine“ bei MTV und den penetrant lancierten Schlagzeilen über Sex- und Drogeneskapaden zog eine beispiellose Marketingmaschine los, die die Band in Privatjets brachte und auf die größten Bühnen der damaligen Rockwelt. 1991 spielte Guns N‘ Roses bei „Rock in Rio“ vor 140.000 Menschen, die Tour zum Doppelalbum „Use your illusion“ stellte Anfang der Neunziger alles Gewesene in den Schatten.
Von der Garagenband zum Major-Act
Aus der Garagenband wurde damit ein Major-Act, an dem die Musiker persönlich fast zugrunde gingen. Der Original-Drummer Steven Adler, der bei der Produktion des Doppel-Albums wegen seiner Drogen-Probleme geschasst wurde, überlebte seine Eskapaden nur mühsam. Auch Slash wäre fast gestorben, wenn er Drogen, Alkohol und Zigaretten nicht losgeworden wäre. Seit er Mitte Dreißig ist, bringt ihn ein Herzschrittmacher wieder in den richtigen Rhythmus. Axl Roses kongenialer Songwriter Izzy Stradlin war zeitig ausgestiegen, weil er diesem Lebensstil nichts mehr abgewinnen konnte. Künstlerisch war das wohl der Anfang vom Ende.
Bleibt die Frage, ob Guns N‘ Roses zu Neuem fähig ist: Stradlin jedenfalls verweigert sich dem Comeback, und die Songwriter-Fähigkeiten von Axl Rose und Slash alleine sind nicht belegt. Nach Stradlins Abgang als wichtigem Songwriter machte sich die Band nur noch an das Coveralbum „The Spaghetti Incident“, ein Rolling-Stones-Cover sowie das Quasi-Axl-Rose-Solo-Album „Chinese Democracy“, das zwar nicht so schlecht war, wie es die vornehmlich deutschen Rezensenten im Gegensatz zu den amerikanischen machten, aber eben auch kein Meisterwerk ist. Gerät das Comeback nur zur Nostalgie-Schau, dürfte das Interesse bald verblassen. Guns N‘ Roses wäre dann Geschichte – und das Thema Comeback beerdigt.