Das Interview erschien bei FAZ.NET (13.05.2016).
Von Martin Benninghoff
Stefan Petzner war selbst Rechtspopulist – als politischer Ziehsohn des verstorbenen FPÖ-Stars Haider. Im Interview mit FAZ.NET spricht der Politikberater über die FPÖ, ihr deutsches Pendant und die Fehler der etablierten Parteien.
Fernsehzuschauer werden sich vielleicht an die Tränen erinnern, die Stefan Petzner 2008 nach dem Tod seines politischen und persönlichen Freundes Jörg Haider in aller Öffentlichkeit vergoss. Petzner ist ein ehemaliger österreichischer Politiker des BZÖ, einer Abspaltung der rechtspopulistischen FPÖ. Er wurde von Haider entdeckt und war bis zu dessen Tod ein enger Vertrauter, Sprecher und Wahlkampfleiter.
Nach Haiders Unfalltod und mehreren emotionalen Auftritten sank der parteiinterne Stern Petzners – bis zu seinem Ausschluss 2013. Heute ist er PR-Unternehmer in Wien und strategischer Berater diverser Politiker und Parteien. Unter anderem hat er das „Team Stronach“ in Kärnten beraten und die liberale Partei „Neos“ – welche anderen Parteien zu seinen Kunden gehören, möchte er nicht preisgeben.
Als Politikberater blickt er auf Erfahrungen in erster Reihe zurück: Er war selbst Rechtspopulist und hat mit Haider bei einem der erfolgreichsten Vertreter dieser Zunft gelernt. Mit Blick auf die erstarkten Rechtspopulisten in Österreich und Deutschland rät er: Schaut nach Österreich! Warum, das erklärt er im Interview mit FAZ.NET.
Die rechtspopulistische FPÖ hat in der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl abgeräumt – keiner der Kandidaten der SPÖ und ÖVP hat es in die Stichwahl geschafft. SPÖ-Kanzler Werner Faymann hat hingeworfen, der Nachfolger wird Christian Kern. Was ist los in Österreich?
Das schwache Abschneiden des SPÖ-Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl hat dazu geführt, dass Faymann ins Wanken geraten ist und schließlich die Flucht nach vorne angetreten hat. Das ist ein politisches Erdbeben in Österreich.
Die Stichwahl zwischen dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer und dem linksliberalen Politiker Alexander van der Bellen findet am 22. Mai statt. Wer hat die besten Karten?
Das ist erst einmal völlig offen. Wobei der Hofer durch den großen Abstand im ersten Wahlgang einen gewissen Startvorteil hat. Andererseits nutzt es van der Bellen, dass er nun der Angreifer ist und Hofer verteidigen muss. Die Verteidigungsrolle liegt der FPÖ nicht so wirklich, sie ist das als Fundamentaloppositionspartei nicht gewohnt. Trotzdem klarer Vorteil für Hofer.
Die FPÖ ist unter Ihrem Ziehvater Jörg Haider aufgestiegen und hat es zwischenzeitlich sogar in die Regierung geschafft. Heute scheint sie stärker denn je – was ist ihr Erfolgsrezept?
Österreich hat eine demokratische Anomalie: Seit 1945 regiert bis auf kurze Ausnahmen eine große Koalition aus SPÖ und ÖVP. Diese Parteien haben sehr viel geleistet, zugleich hat sich die Konstellation derart verbraucht, dass sich die Wähler massenhaft abwenden. Die FPÖ hat daraus Kapital geschlagen. Es ist daher falsch, die aktuellen politischen Entwicklungen in Österreich ausschließlich auf die Flüchtlingsfrage zurückzuführen. Klar ist aber auch, dass bei Neuwahlen die FPÖ als klarer Sieger vom Feld gehen würde – und Heinz-Christian Strache ins Kanzleramt ziehen könnte. Das Risiko, nach dem Rücktritt Faymanns Neuwahlen vom Zaun zu brechen, werden SPÖ und ÖVP daher nicht eingehen. Zumindest nicht derzeit.
Deutschland zieht nach, was diese Entwicklung angeht: Große Koalitionen regieren seit einigen Jahren mit Unterbrechung, gleichzeitig verbucht die AfD erste große Erfolge bei Wahlen. Hat die AfD bei der FPÖ gelernt?
Die AfD ist eine Kopie der FPÖ. Vom Stil, von der Kommunikation, der Programmatik – das sind Zwillinge. Und es gibt eine Parallele zwischen Deutschland und Österreich, was den Niedergang der Sozialdemokratie angeht. Die Leute haben das Vertrauen in die Sozialdemokratie verloren, obwohl die Zeit selten so reif war für sozialdemokratische Themen wie jetzt – das ist die Ironie der Geschichte. Zum zweiten spielen die Zuwanderung und ihre Folgen eine große Rolle: Sowohl FPÖ als auch die AfD greifen diese Themen konsequent auf und verknüpfen sie mit der sozialen Frage von Verteilung und Gerechtigkeit.
Sie raten deutschen Politikern, nach Österreich zu schauen, um nicht die gleichen Fehler im Umgang mit der AfD zu machen wie SPÖ und ÖVP mit der FPÖ. Welche meinen Sie?
Ich habe mit Spannung das Strategiepapier von Olaf Scholz verfolgt, das halte ich für gut. In meinem Buch über Jörg Haider und den Rechtspopulismus empfehle ich einen ähnlichen Umgang. Bisher falsch war, die AfD und ihre Anhänger – dasselbe gilt auch für Pegida – pauschal ins rechtsextreme Eck zu stellen und die Nazikeule zu schwingen. Die Probleme in der Zuwanderung sind so groß geworden, dass die Immunisierung gegen rechtspopulistische Parteien in Deutschland durch den antifaschistischen Grundkonsens nicht mehr ausreicht. Bei der AfD ist es wie mit dem Geist, der aus der Flasche gelassen wurde. Es wird schwer sein, den Geist wieder in die Flasche zurückzubekommen. Da drängt die Zeit – wenn es nicht schon zu spät ist.
Was raten Sie den sogenannten „etablierten“ Parteien?
Man muss in die sachliche, inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD gehen. Parteiprogramme werden ja leider nie gelesen, aber wer das AfD-Programm liest, würde sagen, „da stehen so viele Verrücktheiten drin, das will ich nicht.“ Das sollte man den Wählern einfach und klar kommunizieren. Die Wurzel allen Übels liegt darin, dass die etablierten Parteien Entwicklungen und Probleme im Bereich der Zuwanderung und Integration über 30 Jahre lang ignoriert und negiert haben. Die FPÖ in Österreich und nun die AfD in Deutschland nutzen das aus. Über lange Zeit aufgestaute Gefühle von Angst, Sorgen, Wut – und auch Vorurteile und Ressentiments – werden von ihnen geschickt aufgegriffen. Und die großen Parteien haben das verschlafen, Themen wie Ghettobildung oder Parallelgesellschaften oder islamistische Tendenzen anzusprechen und auch Lösungen anzubieten. Man hätte diese Themen niemals den Rechtspopulisten überlassen dürfen und darf es jetzt erst recht nicht! Ich bin daher verwundert darüber, dass alle so tun, als sei ein rechtspopulistisches Phänomen wie die AfD quasi über Nacht über Deutschland hereingebrochen. Das war doch längst absehbar und nur eine Frage der Zeit.
War das denn wirklich so: Ist jeder Diskurs über Zuwanderungsprobleme abgewürgt worden? Die Talkshows im Fernsehen beschäftigen sich häufig damit, Sarrazins Buch wurde in wichtigen deutschen Zeitungen vorabgedruckt, die CSU stimmt einwanderungskritische Töne an…
Aber wie hat die Politik reagiert? Die SPD wollte Sarrazin ausschließen anstatt zu schauen, was der da geschrieben hat. Das Buch ist teilweise problematisch, aber man hätte schon ernsthaft darüber debattieren müssen, ob er bei einem Teil seiner Problemanalysen nicht doch richtig liegt. Das hat man aber nicht gemacht. Es ist doch kein zielführender Diskurs, wenn er im Kern zum Ziel hat, eine echte Debatte gar nicht zuzulassen und Sorgen und Ängste komplett ausblendet. Verfehlte Zuwanderungspolitik und unterlassene Integration gehen übrigens auch zulasten bereits hier lebender Einwanderer – die sind auch Opfer.
Geht diese Differenzierung, die Sie vornehmen, nicht unter in den Slogans der Rechtspopulisten?
Die sind schon klar im Vorteil: Es ist viel einfacher, Ängste und Vorurteile zu schüren und über Stimmungen und aufgestaute Emotionen Politik zu machen als eine sachliche Diskussion zu führen. AfD und FPÖ deklinieren das bei jedem Thema konsequent durch. Egal ob Mietpreise, Arbeitslosigkeit oder Probleme im Bildungssystem – Du kannst für jedes Thema Ausländer oder Flüchtlinge als Sündenböcke darstellen. Eine Politik der Feindbilder funktioniert bei aufgeheizter Stimmung umso besser, das wissen AfD und FPÖ. Nur: Es hilft nicht, wenn die andere Seite mit den gleichen Mitteln der Diffamierung zurückschlägt. Im Gegenteil.
Die AfD setzt stark auf das Thema Islam – das hat sie sich auch bei der FPÖ abgeguckt?
Die FPÖ hat 2006 plakatiert „Daham statt Islam“ – sie war nach Wilders in den Niederlanden die zweite politische Kraft, die das Thema aufgegriffen hat.
Sie haben über Ihren politischen Ziehvater Jörg Haider gesagt, er habe allergisch auf Satire reagiert. Welche Mittel der politischen Auseinandersetzung haben Sie gefürchtet, als Sie noch selbst noch in der Führung der rechtspopulistischen BZÖ waren?
Ja, Satire, generell Kunst und Kultur. Rechtspopulisten attackieren nicht ohne Grund Satiriker wie jene der „Heute Show“. Humor, Witz und Ironie gehören neben der sachlichen Auseinandersetzung zu den schärfsten Waffen gegen rechtspopulistische Politiker. Genutzt hat uns die Ausgrenzung durch die anderen Parteien, weil man damit auch unsere Wähler und Anhänger ausgegrenzt hat. Der Effekt ist nur eine noch stärkere Bindung der Wähler an uns. Man kann einzelne Politiker ins Visier nehmen – sollte man sogar: Beim Herrn Höcke zum Beispiel ist ja offensichtlich, dass er im rechts-rechten Bereich anzusiedeln ist. Aber man darf niemals ganze Wählergruppen pauschal ausgrenzen.
Die AfD wird auch in deutschen Medien häufig als rechtspopulistisch bezeichnet: Hat Ihnen dieses Etikett früher mehr genutzt oder mehr geschadet?
Die Bezeichnung hat uns zu Haiders Zeiten weder genutzt noch geschadet, deshalb haben wir die auch nicht offensiv benutzt. Was uns immer genutzt hat, war, wenn man uns als rechtsextrem oder als Nazis bezeichnet hat. Sie können dann in die Rolle des Opfers und Ausgegrenzten schlüpfen. Das haben wir auch mitunter provoziert. Die Bezeichnung der AfD als rechtspopulistische Partei ist absolut zutreffend – falsch wäre eine pauschale Zuordnung als rechtsextreme Partei. Der Heiko Maas macht das gerne – das ist sehr verkürzt, und damit macht er es sich zu einfach.