Rezension erschienen bei FAZ.NET (18.07.2016)
Von Martin Benninghoff
Marius Müller-Westernhagen zeichnet zwei Konzerte in der Berliner Volksbühne für „MTV Unplugged“ auf – und überrascht mit einer unaufgeregten und abgespeckten Show.
Wer ihn da sieht, wie er auf seinem Barhocker sitzt, gekleidet nur in schlichter schwarzer Hose und Hemd, keine Rüschen, keine Sonnenbrille, kein einziger Kostümwechsel in rund zweieinhalbstündiger Show, mag kaum glauben, dass da Marius Müller-Westernhagen vor einem sitzt. Der Westernhagen!
Selbstironisch ist er geworden, er spöttelt übers Alter, nippt an „elektrolytischen“ Getränken („kein Whiskey“) und witzelt spöttisch mit seinem Gitarristen Carl Carlton – wie Westernhagen ein Urgestein der Deutschrock-Szene – über die guten alten Zeiten, als Platten noch Platten hießen und im Regal standen. Zwei entspannte Dinosaurier der deutschen Rockszene, die offenbar keinerlei Angst vor dem Aussterben haben.
Der Weg zu so viel Entspanntheit war weit für Marius Müller-Westernhagen: Im deutschsprachigen Raum lange Zeit ein Superstar, räumte er in den Neunziger Jahren so ziemlich alle Preise ab, die man im kommerziellen Popsektor einheimsen kann. In Sachen Inszenierung ein Weltstar, den man allerdings nur im deutschsprachigen Raum kannte, setzte er hierzulande neue Maßstäbe.
Und heute? In der Berliner Volksbühne sitzt ein gealterter, aber nicht alter Proberaummucker, der – so scheint es zumindest – weitgehend mit den Spielregeln der Musikindustrie gebrochen hat und nur noch sein Ding macht: deutschsprachigen Bluesrock. Dargeboten mit seiner Band um den amerikanischen Multiinstrumentalisten Kevin Bents, die ihn seit dem Ende der Ära seines früheren Langzeitgitarristen Jay Stapley im Studio und den Tourneen bei seiner Abspeckkur vom Stadion- zum Proberaummucker begleitet.
Setting für die Abspeckkur
Am vergangenen Wochenende bot ihm der Musiksender MTV ein geeignetes Setting für eine weitere Runde Abspeckkur. Westernhagen zeichnete zwei Konzerte in der Berliner Volksbühne für das Format „MTV Unplugged“ auf, das am 28. Oktober als Album und als Konzertfilm unter der Regie von Fatih Akin auf den Markt kommen soll.
„Unplugged“ heißt vor allem: weniger ist mehr. Statt E-Gitarren akustische Instrumente, dazu neue Arrangements alter Songs, eine Coverversion von David Bowies „Heroes“ und ein neuer Song. Auf die Art hat schon so mancher Altstar durch das seit 1989 produzierte Format dem Spätherbst der eigenen Karriere einen neuen Impuls gegeben: Paul McCartney etwa und vor allem Eric Clapton, der mit seinem „Unplugged“-Album ein paar Grammys abräumte.
1994 lud MTV dann den ersten deutschsprachigen Künstler ein, damals noch für „MTV Europe“: ausgerechnet Westernhagens langjährigen Hauptkonkurrenten Herbert Grönemeyer. Dessen Nachfolger mussten sich dann schon mit der deutschen Variante des Musiksenders zufrieden geben: „Die Fantastischen Vier“ etwa, „Die Ärzte“, „Sportfreunde Stiller“ und zuletzt „Revolverheld“.
Der Star ist nie genug
Für einen anderen alten Hasen der Deutschrockszene, Udo Lindenberg, geriet „MTV Unplugged“ 2011 gar zu einer weiteren Sprosse auf der Comeback-Leiter, weil er seinen alten Songs mit Künstlern wie Jan Delay und Clueso ein neues Gewand verpassen konnte, um eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Ein geschickter Schachzug, der heute ohnehin zum Instrumentarium der „Unplugged“-Reihe gehört: Der Star ist nie genug, es sollen möglichst auch noch andere Prominente ein Gastspiel geben.
Westernhagen, der 2002 mit seinem harten, rauen und weithin unkommerziellen Album „In den Wahnsinn“ sämtliche Ambitionen seines damaligen Managements in den Wind schlug, weiter auf dem Pfad des Stadionrockers zu wandeln, ist da schon ein deutlich sperrigerer Partner als Lindenberg. Er erfüllte den Wunsch von MTV, weitere Musiker einzuladen, aber gewissermaßen nur halbherzig.
Mit der Freundin auf der Bühne
Zwar begrüßte auch Westernhagen Gastmusiker auf der Bühne, aber „nur Leute, die ich gut finde, und zu denen ich eine Verbindung habe“, wie er süffisant und spitz in Richtung MTV bemerkte. Offenbar ist ihm die familiäre Bindung fast schon genug, denn neben seiner Lebensgefährtin, der südafrikanischen Sängerin Lindiwe Suttle, holte er seine Tochter Mimi zu „Lass uns leben“ auf die Bühne. Bald danach kündigte er die noch recht unbekannte Berliner Straßenmusikerin Elen Wendt an, die Westernhagen 2015 auf dem Berliner Alexanderplatz entdeckt und gleich schon als Vorgruppe zu seiner Arena-Tour im vergangenen Jahr gebucht hatte.
Ganz auf Prominenz verzichtete er dann doch nicht: Udo Lindenberg trommelte am Samstag bei einem Song mit (am Sonntag war er nicht dabei), und „Selig“-Frontmann Jan Plewka trällerte „Mit 18“ derart unbekümmert im Duett mit Westernhagen, dass der arg strapazierte Hit aus der Frühzeit des Sängers so frisch wie lange nicht mehr klang. Dass Westernhagen mitunter etwas zu entspannt plauderte und fast schon gelangweilt wirkte, mag damit zu tun haben, dass er schon seit Jahren merklich keine Lust mehr auf seine alten Evergreens hat. Daran konnte auch das neue Arrangement von „Willenlos“ nur wenig ändern. Die Art der Präsentation geriet da in den Augen mancher Zuschauer zu lax.
Gut tat der Show umso mehr die Entscheidung, den langjährigen Lindenberg- und Robert-Palmer-Gitarristen Carl Carlton als Lead- und Slidegitarrist mit ins Lineup zu nehmen. In Verbindung mit Violine und Flöte gab er dem bluesig-erdigen Sound der Band eine weitere Klangfarbe – und vor allem brachte er Mehrwert abseits der Musik: Carlton und Westernhagen plauderten munter drauflos – ungewöhnlich für den sonstigen Bühnenalleinherrscher. Auch in dieser Hinsicht scheint aus dem Egozentriker Westernhagen zumindest ansatzweise ein Teamplayer geworden zu sein.