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„Die AfD ist eine klar rechtspopulistische Partei“

Erschienen bei FAZ.NET (21.07.2016)

Von Martin Benninghoff

Wenn die AfD „rechtspopulistisch“ ist – sollte man die Linkspartei dann nicht „linkspopulistisch“ nennen? Einige Leser von FAZ.NET plädieren für die begriffliche Gleichbehandlung der beiden Parteien. Nur: Stimmt das inhaltlich? Wir haben bei einem Wissenschaftler nachgefragt.

Populist“ – das ist ein Begriff, der leicht über die Lippen geht, aber erklärungsbedürftig ist. Wer oder was ist denn nun ein Rechtspopulist? Sind die AfD-Politiker Frauke Petry, Alexander Gauland und Björn Höcke lupenreine Rechtspopulisten? Ist die AfD etwa, die 2013 gegründet wurde und sich seitdem sowohl personell als auch in ihren programmatischen Schwerpunkten gewandelt hat, heute in ihrer Gänze eine rechtspopulistische Partei? Und wie sieht es mit der Linkspartei aus: Sind Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow Linkspopulisten?

Einige Leser bei FAZ.NET haben die kritische Frage gestellt, warum wir und viele andere Medien der AfD mitunter das Etikett „rechtspopulistisch“ ankleben, die Linkspartei jedoch nicht in gleicher Weise als populistisch bezeichnen und ohne Adjektiv davonkommen lassen. Sie sehen darin ein Missverhältnis in der Berichterstattung, eine Ungleichbehandlung, ja gar eine unlautere Parteinahme zu Ungunsten der AfD.

So einfach ist es aber nicht: „Rechtspopulistisch“ ist kein Begriff aus dem luftleeren Raum, keine „einfach so“ dahingesagte Parteinahme, sondern fußt auf Kriterien, die mittlerweile in der Politikwissenschaft einigermaßen unumstritten sind: So sind Abgrenzung zu anderen und ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken typisch für Populisten, im Falle der Rechtspopulisten kommt die Ausgrenzung bestimmter Gruppen wie zum Beispiel von Ausländern hinzu– aber auch die Beschwörung von Krise und Niedergang.Ist es also richtig, die AfD als durchweg rechtspopulistisch zu bezeichnen, die Linke und ihre Politiker hingegen ohne ein solches Adjektiv davonkommen zu lassen? Populismusforscher Frank Decker von der Universität Bonn, der sich seit Jahrzehnten mit dem Aufstieg der Populisten im europäischen Ausland, aber auch in Deutschland beschäftigt, hat da eine eindeutige Meinung im Interview mit FAZ.NET.

Wer oder was ist ein Populist?

Populistisch ist nicht gleich populär. Nicht jeder, der wie Horst Seehofer mal guckt, wie Volkes Stimme ist, ist gleich ein Populist. Das zentrale Merkmal des Populisten ist die Anti-Establishment-Orientierung. Populisten opponieren gegen die gesellschaftlichen und politischen Eliten und reklamieren für sich, für das einfache Volk einzutreten. Hier das böse Establishment, das sich vergeht an den Interessen des Volkes, und dort das reine Volk, das in seinem Willen gut ist. Die Populisten negieren die Vielfalt der Meinungen und Interessen und unterstellen einen einheitlichen Volkswillen, und dann ist es folgerichtig, wenn das von einer Person vertreten wird – also, das Prinzip der charismatischen Führerschaft wird häufig in der Wissenschaft als weiteres Kriterium genannt, was ich jedoch nicht überbewerten würde. Gerade die AfD widerlegt das ja: Weder früher Bernd Lucke noch Frauke Petry würde ich als charismatische Führungsfiguren beschreiben.

Dennoch bezeichnen Sie die AfD als klar rechtspopulistisch?

Ja. Wobei: 2013, als die Partei entstanden ist, galt das noch nicht. Die AfD war damals eine liberal-konservative Partei, allerdings mit Teilen, die die Partei in eine rechtspopulistische Richtung trimmen wollten. Das hat funktioniert. Die AfD ist dann spätestens mit der Abspaltung des Lucke-Flügels eine klare rechtspopulistische Partei geworden.

Bewerten Sie dabei eher das Parteiprogramm oder die öffentlichen Statements von Funktionären wie Alexander Gauland, Beatrix von Storch oder Björn Höcke?

Alles fließt da mit ein. Das ist ganz wichtig, dass man sich nicht auf das offizielle Programm beschränkt. Denn das Grundsatzprogramm der AfD kann man nicht als Hardcore-Rechtspopulismus bezeichnen. Die Äußerungen einiger Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit und vor allem im Wahlkampf sprechen da eine andere Sprache, vor allem in Ostdeutschland. Dokumente kann man natürlich besser auswerten, aber solche Auftritte sind sehr wichtig, weil sie letztlich zur Wählerunterstützung führen. Welcher Wähler liest denn ein Programm?

Halten wir uns trotzdem ans Programm und deklinieren einige Positionen durch. Da steht zum Beispiel: „Die Allmacht der Parteien und deren Ausbeutung des Staates gefährden unsere Demokratie.“ Parteienkritik ist doch legitim: Ist das populistisch?

Ja, es gibt ja eine legitime Kritik an Parteien, wenn Parteien eben auch Eigeninteressen vertreten; aber so ein Begriff wie „Ausbeutung des Staates“ – das verweist auf einen populistischen Diskurs.

Die AfD fordert die Einführung eines Straftatbestandes der Steuerverschwendung durch Staatsdiener und Amtsträger. Gut, da kann man doch sagen: Das ist eine legitime Forderung, über die man politisch diskutieren kann?

Die Frage ist: Was ist damit beabsichtigt? Ob das ein ehrliches Bekenntnis ist, darüber kann man streiten. Das Argument soll möglicherweise gegen die Eliten instrumentalisiert und eingesetzt werden. Ein anderes Argument ist die Einführung der direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild. In der Schweiz gibt es einen extremen Konsensdruck, das ganze System ist darauf ausgelegt, dass sich alle Beteiligten verständigen – und das ist nicht die Vorstellung der Populisten, wo Mehrheiten entscheiden sollen und Minderheitenrechte beschnitten werden. Das ist im Grunde gar nicht ehrlich gemeint, aber es dient den Parteien dazu, ihre Kritik am Parteiensystem zu untermauern.

Die AfD fordert „mehr Kinder statt Masseneinwanderung“ und mobilisiert heute stärker als zu den Anfangstagen mit fremdenfeindlichen Parolen…

Absolut, und das kommt bei einer rechtspopulistischen Partei zur vertikalen Dimension – dem Eliten-Bashing – hinzu. Auf der horizontalen Ebene werden bestimmte Gruppen ausgegrenzt, die vermeintlich nicht zum Volk dazugehören, und das sind die Migranten. Da bedient die AfD auf beiden Ebenen, der vertikalen und horizontalen Dimension, das Freund-Feind-Denken. Das ist ganz typisch für ausnahmslos alle europäischen Rechtspopulisten, und das lässt sich ja in deren Sinne ganz wunderbar miteinander verbinden: Die Eliten werden verantwortlich gemacht dafür, dass sie angeblich die Migranten ins Land lassen. Auch kalkulierte Tabubrüche, die so betonte politische Inkorrektheit, gehören dazu.

Manche Populisten lassen ein strategisches Verhältnis zum Thema Islam und Migranten aufblitzen – und nutzen solche Aufregerthemen als gutes Mobilisierungsinstrument. Glauben Rechtspopulisten etwa nicht an ihre Inhalte?

Ja, es gibt einen gewissen Opportunismus bei diesen Parteien, ein instrumentelles Verhältnis zu manchen Inhalten oder Forderungen wie etwa dem Ruf nach direkter Demokratie. Aber dieser Opportunismus – vor allem bei der Frage der Ausgrenzung anderer – braucht ein Fundament; insofern würde ich schon sagen, dass so jemand wie der Gauland an das glaubt, was er erzählt.

Ihr zentrales Populismus-Kriterium ist Eliten-Bashing: Trifft das nicht auch für die Linkspartei zu, deren Vertreter gerne Banker pauschal als Gierhälse darstellen?

Die Linkspartei hatte ihre linkspopulistische Phase zu den Zeiten Oskar Lafontaines. In Lafontaines Reden fand sich ganz stark dieser Anti-Establishment-Ton, also wenn er beispielsweise von den „Bonzen“ sprach.

Lafontaine ist 2009 von der Bundesbühne abgetreten, aber Frau Wagenknecht teilt heute aus – zum Beispiel gegen den „undemokratischen Filz in Brüssel“. Ist sie eine Populistin?

Ja, das stimmt. Wenn sich Wagenknecht in der Partei durchsetzen würde…sie spielt auf der Klaviatur.

Mit Sätzen wie „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht dann eben auch verwirkt“ – solche Sätze erwartet man eher von rechts?

Genau. Und etliche rechtspopulistische Parteien wiederum sprechen Wähler an, die früher linke Parteien gewählt haben – in Ostdeutschland gehen ja viele Wähler direkt von der Linken zur AfD. Für Wagenknecht und Lafontaine ist es dann wohl nicht verkehrt, gewisse Versatzstücke des Rechtspopulismus einzubauen. Das hatte Lafontaine damals auch gemacht mit seinen „Fremdarbeitern“, weil er damit eben eine gewisse Wählerklientel erreicht.

Ein anderes Verbindungsstück zwischen Links- und Rechtspopulismus: anti-amerikanische und eher Putin-freundliche Töne…

Das kann man dieser Anti-Establishment-Stoßrichtung zuordnen, weil die Bindung an Amerika und an den Westen zur deutschen Staatsräson gehört, und wer das angreift, greift zugleich die Eliten des Staates an. Bei Alexander Gauland haben wir dieses starke anti-amerikanische Element, das einhergeht mit einer positiven Assoziation von Putin – für ein autoritäres Demokratiemodell.

Wie geht man mit Populisten um? Die Linkspartei regiert auf Länderebene und stellt mit Bodo Ramelow in Thüringen einen Ministerpräsidenten. Wäre das ein Versuch wert, die AfD sich „abregieren“ zu lassen, damit die Partei von ihren Populismen ablässt und pragmatischer wird?

Diese Strategien des Einbeziehens und des Ausgrenzens sind beide gescheitert. In Österreich hatte die FPÖ nach der Regierungsbeteiligung zwar einen Absturz, aber als die Große Koalition wieder regierte, konnte sie ihren Wiederaufstieg rasch organisieren. Ich habe aber auch meine großen Zweifel, ob es etwas bringt, die Populisten zu stigmatisieren. Denn dann kommen sie ja gerade in die Rolle, in der sie sich selbst sehen: als Außenseiter, der die Stimme des Volkes artikuliert. In diese Rolle sollte man sie nicht ohne Not drängen. Mit Argumenten kommt man ihnen auch nicht bei, weil Rechtspopulisten mit Emotionen in die Diskussion gehen. Im Grunde müsste man ihnen mit Emotionen begegnen, aber das ist natürlich schwierig, gerade für Regierungsparteien, weil die ja immer sehen müssen, was machbar ist – die können ja nicht das Blaue vom Himmel versprechen.

Es gibt die Versuche von Union und SPD, mit populistischen Tönen zu punkten – wie CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer kürzlich mit dem Satz: „Wer zu uns kommt, muss sich nach unseren Regeln richten.“ Der Satz könnte locker von der AfD kommen. Ist das eine erfolgversprechende Strategie?

Ja, ich vermute, die AfD wäre in Bayern stärker, wenn die CSU solche Töne nicht ansprechen würde. Das ist nur eine Vermutung. Populismus gehört schon immer auch zu einer demokratischen Auseinandersetzung dazu. Das zentrale Element – das Establishment-Bashing – fehlt natürlich, und die CSU ist in der Lage, pragmatische Regierungspolitik zu betreiben. Ich glaube auch, dass einer der Gründe dafür, dass die AfD entstanden ist, schon in der CDU zu finden ist. Die CSU hat insofern nicht ganz Unrecht, dass die starke Liberalisierung der CDU in den Wertefragen erst die Nische für die AfD eröffnet hat.

Sollten Medien die AfD „rechtspopulistisch“ nennen oder lieber nicht?

Wir brauchen die Adjektive, um die Wirklichkeit zu ordnen. Die sind unverzichtbar. Es ist aber wichtig, in den Medien deutlich zu machen, was man unter „rechtspopulistisch“ versteht. Um letztlich die Vorurteile zu widerlegen, wie zum Beispiel die Gleichsetzung von „populistisch“ und „populär“ – das ist nicht das gleiche. Die Populisten sind noch nicht einmal populär, auch wenn sie behaupten, die Mehrheitsmeinung zu vertreten. Sogar in Österreich erreichen sie nur bis zu 30 Prozent bei der Parlamentswahl. Man sollte das erklären und die Kriterien für die Einordnung als rechtspopulistische Partei offenlegen.

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