Erschienen bei FAZ.NET (18.09.2016)
Von Martin Benninghoff
Bei der Wahlparty der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus herrscht im Angesicht der Wahlniederlage fast heitere Stimmung. Bis der Spitzenkandidat kommt.
Es gibt ihn ja, diesen Effekt der Erleichterung im Angesicht der Katastrophe, wenn einen das Gefühl beschleicht, sowieso nichts mehr ändern zu können. Man ist dann einfach nur noch froh, wenn alles vorbei ist. Irgendwie.
Wie sonst ist die beinahe ausgelassene Stimmung zu erklären, die am Sonntagabend im Fraktionssaal der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus herrscht? Wenige Minuten vor Bekanntgabe der ersten Zahlen um 18 Uhr fließt der Wein reichlich, und die bereitgestellte Currywurst findet regen Absatz. Man lacht, schäkert, haut sich auf die Schulter. Dabei lassen die Umfragewerte kaum Interpretationsspielraum: Die CDU steht vor einem historisch schlechten Ergebnis.
Als klar ist, dass die schlimmsten Befürchtungen mit einem Ergebnis rund um 18 Prozent nahe an der Wirklichkeit sind, wird es dann doch noch mucksmäuschenstill im Saal. Die Kameras der Journalisten klicken, jeder will enttäuschte CDU-Politiker aufnehmen oder filmen. Doch die Miene von Eberhard Diepgen, dem letzten CDU-Bürgermeister Berlins, ist allenfalls als stoisch zu bezeichnen.
Er hat es kommen sehen, sicher, wie die meisten anderen auch. Im Interview schaltet er sofort in den Bürgermeister-Modus: „Ich sehe nur, dass alle Volksparteien massiv verloren haben“, sagt er, um gleich danach der SPD mit ihren 22 bis 23 Prozentpunkten den Regierungsauftrag abzusprechen. Das ist ungefähr die Linie, die auch Spitzenkandidat Frank Henkel später in seinem Erklärung verfolgen wird. Die Botschaft: Die CDU ist Opfer eines Trends geworden, der auch die SPD erfasst hat.
Diepgen spricht, im Hintergrund explodiert Kurth
Diepgen geht gleich weiter und gibt ein Interview, als der ehemalige Berliner Finanzsenator Peter Kurth, der 2009 Kölner Oberbürgermeister werden wollte und scheiterte, im Hintergrund fast explodiert. Das könne doch nicht wahr sein, dass der erste, der ein Interview gebe, der Herr Diepgen sei. Wo seien denn die jungen Spitzenleute der CDU? Mario Czaja zum Beispiel, der Noch-Senator für Gesundheit und Soziales?
Czaja bringt auch ein anderes Urgestein der Berliner CDU ins Spiel: Klaus-Rüdiger Landowsky, den früheren Chef der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, der 2001 im Zuge des Bankenskandals die Segel strich. Dieser empfiehlt seiner Partei eine personelle Neuaufstellung mit Leuten „mit Vision“, nennt Czaja namentlich und auch Burkard Dregger, den Sohn des legendären früheren Vorsitzenden der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion.
Es sei zwar wichtig, „Arbeiter“ zu haben, aber man müsse eben auch Leute „fürs Herz“ haben, die potentielle Wähler auf der Gefühlsebene ansprechen könnten, sagt Landowsky. Das geht nebenbei gegen den Spitzenkandidaten Frank Henkel, der selbst die Blässe des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) nicht nachhaltig für sich nutzen konnte.
Dann kommt Henkel. Höflicher Applaus, als er sich mit seinem Gefolge, unter anderem mit Kulturstaatssekretärin Monika Grütters, den Weg durch die Kameraleute und Parteifreunde bahnt. „Das ist kein guter Tag für die Volksparteien“, hebt er an. Im Hintergrund unwirsches Gemurmel bei einigen CDU-Leuten, die offenbar nicht in Ordnung finden, dass ihr Spitzenmann die Schuld an der Wahlniederlage einem allgemeinen Bundestrend zuschreibt.
„Ein absolut unbefriedigendes Wahlergebnis“
Das Wahlergebnis? „Absolut unbefriedigend“, sagt Henkel. Zurücktreten will er dennoch nicht, stattdessen spricht er davon, die CDU als möglichen Bündnispartner anbieten zu wollen, stimmt seine Leute aber auch auf Opposition ein, um einen möglichen „Linksblock“ aus SPD, Grünen und Linken „unter Druck zu setzen“.
Den obligatorischen Strauß Blumen überreicht dann Monika Grütters, die Henkel zum Erstaunen einiger CDU-Anhänger vor allem in den hinteren Reihen einen „tollen Wahlkampf“ bescheinigt. Das unwirsche Gemurmel wird lauter, der ehemalige Senator Kurth kann sich ein bitteres Lachen nicht mehr verkneifen. Als Henkel hinausmarschiert, wenden sich viele Gäste wieder der Currywurst auf den Cateringtischen zu – der einzigen Konstante auf Berliner Wahlpartys. In guten wie in schlechten Zeiten.