Artikel erschienen bei FAZ.NET (23.05.2017)
Von Martin Benninghoff
Die Tragödie in Manchester erinnert an den Anschlag auf das Bataclan 2015 in Paris. Dutzende Rockfans starben. Julia Schmitz entkam knapp. Im Interview schildert sie, was ihr damals geholfen hat.
Frau Schmitz, Sie haben vor knapp zwei Jahren mit Ihrem Mann den Bataclan-Anschlag in Paris knapp überlebt. Seitdem gab es einige Terroranschläge, dieses Mal wieder auf ein Konzert. Weckt das Erinnerungen?
Ich weiß zumindest genau, was die Überlebenden und die Angehörigen der gestorbenen Opfer nun durchmachen müssen. Bei uns haben damals ja viele gesagt, mit dem Bataclan-Anschlag sei eine neue, rote Linie überschritten worden. Das ist jetzt auch wieder so, weil der Angriff auf ein Konzert von einem Teenie-Star auf Jugendliche zielt – im Gegensatz zu einem „Eagles-of-Death-Metal“-Konzert. Bei uns ist das Erlebte anderthalb Jahre her. Der Anschlag von Manchester erinnert einen daran. Aber es nicht so, dass man wieder in ein Loch fällt. Bei mir zumindest nicht.
Was war damals passiert? Es ist die Nacht vom 13. November 2015. Plötzlich, mitten im Gitarrensolo in der Pariser Konzerthalle bricht eine Schießerei los. Panik bricht aus, Julia und Thomas fliehen von ihrem Platz auf der Galerie des Bataclans, laufen durch Gänge, hetzen Treppen runter und wieder hoch. Und verschanzen sich schließlich in einem Raum, der sich später als Backstage-Bereich der Band herausstellen wird.
Bange Stunden in der stickigen Luft des Raumes, sie kauern auf dem Boden zusammen mit einigen anderen. Dann hören sie Schreie und Schüsse und irgendwann die Attentäter vor der Tür, die versuchen, in den Raum zu gelangen. Es ist der Moment, als Thomas und Julia mit ihrem Leben abschließen: „Wir haben wirklich gedacht, wir sterben jetzt. Hoffentlich geht es schnell und tut nicht weh.“
Können Sie sich noch gut an die erste Zeit nach dem Anschlag erinnern? Was war wichtig für Sie, um das Erlebte zu verarbeiten?
Bei einem solchen Konzert sind es ja Tausende Menschen, die aus der Halle strömen und gar nicht richtig wissen, was passiert ist. Die gehen vielleicht nach Hause und wissen aber gar nicht, wie ihnen geschieht. Die haben auch Fragen. Brauche ich Hilfe? Man fühlt sich in solchen Momenten alleine gelassen.
Julia und Thomas Schmitz kamen in Paris nur knapp mit dem Leben davon: Sie mussten von Einsatzkräften befreit werden und wurden von ihnen herausgebracht. Am Abend des Anschlags warteten vor der Halle in Paris Psychologen, die sich vor Ort kümmerten, auch wenn es einige sprachliche Hürden gab. Für diejenigen, die zu Beginn der Schießerei direkt aus dem Bataclan fliehen konnten, stellten sich viele Fragen erst, als sie schon zu Hause waren. Etliche Opferangehörige und Überlebende haben sich auch deshalb via soziale Medien gesucht – und bis heute in Selbsthilfeorganisationen gefunden.
Können Sie den Überlebenden und den Opferangehörigen irgendwas raten, wie man mit dem Erlebten besser klarkommt?
Das ist schwer zu sagen und von Fall zu Fall unterschiedlich. Ich bin damals sehr offensiv damit umgegangen, wollte alles wissen, was die Medien bringen, habe alle Informationen aufgesaugt. Mein Mann Thomas war da zurückhaltender. Für uns beide war es aber hilfreich, mal professionelle Hilfe zu suchen. Nicht, dass wir die hinterher total gebraucht haben. Aber zu wissen, da ist jemand, zu dem wir im Notfall gehen können, war sehr hilfreich.
Einige Wochen nach dem Bataclan-Anschlag flogen die beiden nach Australien – die Reise war schon lange geplant gewesen. Zwei Wochen vorher hatten sie eine Psychotherapeutin aufgesucht. Nach der Rückkehr von der Reise ging es für die beiden auch emotional aufwärts. Thomas ging wieder arbeiten, und der Alltag funktionierte wieder.
Leider sind die Reaktionen auf Anschläge ja fast schon ritualisiert: Trauerbekundungen, Prominente twittern und so weiter. Hilft das eigentlich den Opfern? Hat es Ihnen geholfen?
Ob irgendwelche Popstars etwas twittern, das ist an uns vorbeigegangen und war mir egal. Aber natürlich hilft die Anteilnahme, aber vor allem die von Freunden und Familie. Die Berichterstattung hilft auch, weil sie die Menschen auf das Erlebte aufmerksam macht.
Die Fragen stellte Martin Benninghoff.