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„Das hier ist ein Anfang“

Artikel bei FAZ.NET (erschienen am 17.06.2017)

Von Martin Benninghoff

Nur wenige Muslime setzen bei der Friedensdemo in Köln ein Zeichen gegen Terrorismus. Diejenigen aber, die kommen, lassen sich nicht entmutigen.

„Nicht mit uns“ – das Motto der Demonstration, zu der die Publizistin und Islamlehrerin Lamya Kaddor und der Friedensaktivist Tarek Mohamad aufgerufen haben, um ein Zeichen gegen Terror im Namen des Islams zu setzen, wirkt am Samstag ungewollt komisch. Von prognostizierten 10.000 Teilnehmern stehen am frühen Nachmittag rund 300 bis 500 vor der Bühne auf dem Kölner Heumarkt. Später werden sich ungefähr noch einmal so viele beim Marsch durch die Stadt anschließen.

Das Aufgebot der Journalisten und Kamerateams scheint kaum geringer. Das mediale Echo war nach der Absage des größten deutschen Islamverbands Ditib immens gewesen – und es hallt hier nach. Offenbar hatten einige erwartet, dass es in Köln – im übertragenen Sinne – knallt. Was es nicht tut.

Dafür steht die Enttäuschung über die geringe Teilnehmerzahl den Veranstaltern ins Gesicht geschrieben. Mit etwas Verspätung betritt Lamya Kaddor die Bühne in der Kölner Innenstadt. Kaddor ist Mitgründerin des „Liberal-Islamischen Bundes“, eines Vereins, der Muslime vertreten möchte, die sich mit den gängigen Lehren der großen konservativen Islamverbände, Ditib, Islamrat, VIKS und Zentralrat der Muslime, nicht so recht anfreunden können. Sie ist – gemeinsam mit Tarek Mohamad, der im vergangenen Jahr mit einem Friedensappell via Facebook bekannt geworden war – Organisatorin der Demonstration. „Ich weiß nicht, warum nicht mehr gekommen sind“, ruft sie ins Mikrofon, hält sich dann nicht mehr lange mit Bewältigung auf, sondern geht in die Offensive: „Das hier ist ein Anfang! Egal ob konservativ oder liberal – wir müssen diejenigen, die Terror verbreiten, an den Rand drängen.“ Jubel und Zustimmung.

Einige Muslime sind dann doch dem Ruf gefolgt und nach Köln gereist, so die türkischstämmige Melisa Ören aus Herne im Ruhrgebiet. „Ich will hier zeigen, dass diejenigen, die meinen, sich bei ihrem Terror auf den Islam berufen zu können, vom Glauben her falsch liegen“, sagt die junge Frau, die Kopftuch trägt und aktiv in der Islamischen Gemeinde Herne engagiert ist. Sadye Davulcu pflichtet ihr bei, nickt mit dem Kopf: „Wir wollen Frieden.“ Sie hält ein gemaltes Bild hoch, auf dem sich zwei Frauen umarmen, die eine trägt ein Kopftuch: „Wir Moslems wollen mit euch Christen Frieden haben“, steht darüber geschrieben. Eine andere Frau trägt ein Schild mit der Aufschrift: „Wir sagen NEIN zu Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Salafismus/Scharia Polizei und Islamophobie“.

Ören und Davulcu ziehen mit ihren Schildern und ihrer islamischen Kleidung – neben dem Kopftuch tragen sie lange Mäntel – die Kamerateams an. Das Großaufgebot der Polizei steht derweil de facto arbeitslos am Rand. Auf der Zufahrt zur Deutzer Brücke parken Polizei-Einsatzwagen, an den Ausgängen der Altstadtgassen, die zum Heumarkt führen, warten ebenfalls einsatzbereite Polizisten in voller Montur. Nach den Zusammenstößen von Salafisten und rechten Hooligans 2014 und der Silvesternacht 2015/2016 will die Polizei nun alles richtig machen, zumal das Image der Ordnungshüter noch nicht ganz wiederhergestellt ist. Sicherlich ein Grund, weshalb sogar der Kölner Polizeichef höchstpersönlich Präsenz zeigt: Polizeipräsident Jürgen Mathies läuft am Rand auf und ab, die Botschaft: Jetzt geht nichts mehr schief.

Dabei hatte man offenbar mit möglichen Störern aus dem rechtsradikalen Milieu gerechnet, auch von Salafisten, wobei Kaddor sich wundert, dass „ich zur Demo eigentlich relativ wenig Hassmails bekommen habe“, sagt sie gegenüber FAZ.NET. Auf der Bühne dann ruft sie die Zuschauer auf, sich „keinesfalls provozieren zu lassen“ – Provokateure fehlen allerdings weitgehend, auch als sich der Tross vom Heumarkt in Richtung Innenstadt aufmacht.

Die Veranstalter machen das Beste aus der geringen Teilnehmerzahl

Nicht nur Muslime sind gekommen, es sind viele Nicht-Muslime wie Renate Frank aus Köln, die mit ihrem Mann dabei ist, um „die Muslime zu unterstützen“. Der zeigt sich „enttäuscht, dass nicht mehr Muslime gekommen sind, das wäre ein wichtiges Zeichen“ gewesen. Rabeya Müller, muslimische Theologin und Imamin, wie Kaddor Mitbegründerin des „Liberal-Islamischen Bundes“, macht das Beste aus der mangelnden Teilnehmerzahl: „Jeder einzelne hier hilft beim ersten Schritt.“ Müller war ursprünglich Katholikin und konvertierte später zum Islam, sie ist Autorin zahlreicher Bücher zum Islam und zur Stellung der Frau. „Ich hätte allerdings gut gefunden, wenn Ditib mit dabei gewesen wäre“, so Müller weiter.

Ditib, die Türkisch-Islamische Union, der deutsche Ableger der türkischen Religionsbehörde, hatte sich im Vorfeld der Demonstration von den Organisatoren distanziert und ihr eigenes Mitwirken ausgeschlossen. Mit bemerkenswerten Argumenten: „Forderungen nach ‚muslimischen’ Anti-Terror-Demos greifen zu kurz, stigmatisieren die Muslime und verengen den internationalen Terrorismus auf sie, ihre Gemeinden und Moscheen – das ist der falsche Weg und das falsche Zeichen, denn diese Form der Schuldzuweisung spaltet die Gesellschaft“, hieß es in einer Mitteilung des Verbandes. Man war beleidigt: „Den Personen, die diese aktuelle Demonstration organisieren, hätte bewusst sein müssen, dass für eine gemeinsame Veranstaltung Vorgespräche notwendig sind.“ Besonders beeindruckend diese Kritik: Den im Ramadan derzeit fastenden Muslimen sei es „schlichtweg nicht zumutbar, stundenlang in der prallen Mittagssonne bei 25 Grad zu marschieren und zu demonstrieren“. Dass der Himmel in Köln am Samstag durchweg bedeckt war und die Temperatur kaum die 20-Grad-Marke überschritten hat – geschenkt.

Den Organisatoren Kaddor und Mohamad dürfte die Verweigerungshaltung des größten islamischen Verbandes in Deutschland, was das Interesse der deutschsprachigen Medien an der Veranstaltung angeht, mehr genutzt als geschadet haben, denn die darauf entzündete politische Debatte innerhalb und außerhalb der islamischen Gemeinschaften gab der Veranstaltung öffentliche Aufmerksamkeit: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), zeigte kein Verständnis für Ditib: Der Verband stelle sich „noch weiter ins Abseits und droht vollends seine Glaubwürdigkeit zu verspielen.“ Der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, nannte das „eine vertane Chance für die Türkisch-Islamische Union“, Mitorganisator Mohamad ein „Armutszeugnis“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten, die Absage sei „einfach schade“. Es sei doch „gut, wenn Muslime klarmachen, dass in ihren Reihen und Moscheen kein Platz für Hass und Gewalt ist.“

Andererseits hätte eine Teilnahme von Großverbänden wie Ditib oder dem Islamrat, der ebenfalls abgesagt hat, Tausende mobilisieren können. Und so zeigt die mangelnde Teilnehmerzahl das Dilemma der Islampolitik. Die meisten der fünf bis sechs Prozent Muslime in Deutschland sind nicht in Verbänden oder kirchenähnlichen Gemeinschaften organisiert. Und diejenigen, die sich organisieren, tun dies in einem Verband wie Ditib, der offenbar wenig Interesse hat, sich mit Leuten wie Kaddor auf einer Bühne zu zeigen. Daran ändert auch nichts, dass der Vorsitzende des konservativen Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, zur Demo-Teilnahme aufgerufen hatte. Mazyek ist – wie Kaddor – ein bei deutschen Talkshowredaktionen beliebter Gesprächsgast, aber wie groß sein Einfluss auf die muslimischen Gruppen wirklich ist, zeigte auch diese Demo in Köln: mäßig groß.

Die Botschaft des Tages: Es geht weiter

Muslimische Intellektuelle wie der konvertierte Rechtsanwalt und Publizist kritisieren Mazyek: „Leider hat […] Aiman Mazyek sich vorschnell für den Kölner Event eingesetzt, statt erst einmal auszuloten, ob eine gemeinsame oder notfalls eine alternative Aktion aller Muslime möglich gewesen wäre“, schrieb er in der „Islamischen Zeitung“. Er bringt den Konflikt unter deutschen Muslimen auf den Punkt: „Dieser Einsatz gegen den Terrorismus ist dabei keine Frage von ‚liberaler’ oder ‚konservativer’ Haltung, sondern Ausdruck und Umsetzung einer klaren Lehre, die für unterschiedliche Positionen Raum lässt und sich im Rahmen der anerkannten Rechtsschulen bewegt.“ Soll heißen: Der Terrorismus als „Erfindung“ der Neuzeit könne vor allem durch eine fundierte Theologie bekämpft werden – eine Theologie allerdings, die sie selbst mit Verweis auf die traditionellen Rechtsschulen definieren.

Für Sajid Mubashir von der Ahmadiyya Gemeinde sind solche intellektuellen Debatten an diesem Tag weit weg. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Muslime für Frieden“ und ist mit seiner Familie gekommen, die allerdings noch etwas unsicher am Rande des Heumarktes steht. „Wir wollen zeigen, dass Islam kein Terror ist“, sagt er. „Viele Deutsche denken das aber, und dem wollen wir entgegnen.“ Später rollt er mit seinen Mitstreitern ein Plakat seiner Gemeinde aus – mit dem Slogan „Liebe für Alle, Hass für Keinen“. Die Kamerateams sind dankbar für das Motiv. Ob sich die Spaltung der islamischen Szenerie in Deutschland durch Friedensappelle dieser Art allerdings überwinden lässt, ist nach diesem Tag in Köln so unklar wie eh und je. Die Botschaft an die nicht-muslimische Mehrheitsgesellschaft allerdings ein Anfang – weitere Demos dieser Art sollen folgen.

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