Analyse bei FAZ.NET (erschienen am 20.06.2017)
Von Martin Benninghoff
Irgendwie wird schon alles gutgehen – so lautete bislang die Devise bei Nordkorea-Reisen. Doch der Tod des amerikanischen Studenten Otto Warmbier nach langer Haft wirft Fragen auf.
Der am Montag nach langer Haft in Nordkorea verstorbene Amerikaner Otto Warmbier war mit der Reiseagentur „Young Pioneer Tours“ mit Sitz im chinesischen Xi’an unterwegs. Dessen Geschäftsführer und Gründer, Gareth Johnson, zeigte sich in den vergangenen Monaten wenig kommunikativ im Umgang mit Journalisten. Ein knappes halbes Jahr nach Warmbiers Inhaftierung Anfang 2016 wollte er sich zu dem Fall gar nicht äußern, zumindest nicht zitierfähig. Er wollte die diplomatischen Bemühungen, Warmbier freizubekommen, nicht durch irgendwelche unbedachten Äußerungen gefährden. Noch in der vergangenen Woche, als der 22 Jahre alte Student im Koma lag und zurück in seine Heimat geflogen wurde, hielt sich Johnson bedeckt – dieses Mal im Interesse von Warmbiers Familie und ihres Anspruches auf Privatsphäre, wie er durchblicken ließ. Warmbier war aus angeblich „humanitären Gründen“ freigelassen worden. Am Montag starb er. Nach Angaben der Ärzte hatte Warmbier während der Haft schwere Hirnverletzungen erlitten.
Neben diesen Gründen der Vorsicht und Pietät dürfte ein weiterer Grund Johnson zum Schweigen animiert haben: Seine Agentur, die der britische Auswanderer 2008 in China gegründet hatte, bietet vornehmlich jungen, abenteuerlustigen Touristen Nordkorea-Reisen an. Als einer der wenigen Anbieter organisiert sie Tauch- und auch Radtouren in Nordkorea, wirbt damit, einen dorthin zu bringen, wo noch nie zuvor westliche Reisende gewesen seien, zum Beispiel im von Pjöngjang fernen und weitaus schlechter zugänglichen Nordosten des Landes nahe der chinesischen und russischen Grenze.
„Young Pioneer Tours“ spricht sehr direkt und gekonnt junge Leute an. Die Agentur offeriert, Touristen an Orte zu bringen, „von denen deine Mutter dich fernhalten will“. Das Ganze für einen Budget-Preis von knapp 1000 Euro für vier Tage und drei Nächte. Eines ist klar: Johnson bangte von Beginn an nicht nur um das Leben Warmbiers, sondern auch um die Geschäftsgrundlage seines Unternehmens.
In E-Mails wandte er sich gegen alles und jeden, der Nordkorea zum unsicheren Reiseland erklären wollte. Selbst nach dem Tod Warmbiers bewirbt die Agentur das abgeschottete kommunistische Land noch immer als „einen der sichersten Orte der Welt“. Die Antwort auf die Frage: „Wie sicher ist Nordkorea?“ wurde auf der Homepage allerdings verändert: Noch am Montag begann sie mit den Worten „Extremely safe!“ Jetzt klingt das so: „Auch wenn Sie anderes gehört haben, ist Nordkorea für Menschen aus den meisten Ländern wahrscheinlich einer der sichersten Orte der Welt, wenn Sie sich an die Regeln halten, die wir Ihnen erklären.“
Zum Beispiel an die Regel, möglichst keine politischen Debatten mit den lokalen Reiseführern vom Zaun zu brechen oder bestimmte Orte zu fotografieren. Oder Propagandaplakate mitzunehmen. Eine Regel, an die sich Warmbier möglicherweise nicht gehalten hatte, folgt man den Vorwürfen des nordkoreanischen Regimes, das dem Studenten den Diebstahl eines Propagandaplakates im Pjöngjanger Touristen-Hotel „Yanggakdo“, das vornehmlich von Pauschalgruppen aus dem Westen und China frequentiert wird, vorhielt. Auf dem als „Beweis“ vorgelegten verwackelten Video lässt sich Warmbier jedoch nicht identifizieren. Und selbst wenn: Nach den bisherigen Erfahrungen hatten solche Dumme-Jungen-Streiche zumindest für Nordkorea-Reisende ohne koreanischen Migrationshintergrund meist „nur“ eine Ausweisung aus dem Land zur Folge. Warmbier aber wurde zu jahrelangem Arbeitslager verurteilt. Wurde ihm womöglich seine amerikanische Staatsbürgerschaft zum Verhängnis?
Johnson sieht das offenbar so, denn nur rund anderthalb Stunden, nachdem die Nachricht von Warmbiers Tod am Montagabend die Runde machte, nahm seine Reiseagentur Nordkorea-Besuche für amerikanische Touristen aus dem Programm. Das Risiko sei „zu groß gewesen“, teilte das Unternehmen auf seiner Facebook-Seite mit. „Wir werden für US-Bürger keine Reisen mehr nach Nordkorea organisieren.“ Schon bislang gab es Restriktionen für Amerikaner, die beispielsweise lange Zeit den Zug von Peking nach Pjöngjang nicht nehmen, sondern nur mit dem Flugzeug einreisen durften. Aber gerade solche Einschränkungen verstärkten für abenteuerlustige Amerikaner den Impuls, in das Land zu reisen, das der ehemalige Präsident George W. Bush einst zur „axis of evil“, zur Achse des Bösen, zählte. Wer war schon in Nordkorea?
So wie Savanna Washington, die 2013 mit „Young Pioneer Tours“ eine Reise von China in den Nordosten Nordkoreas unternahm. Die New Yorkerin, die in Kürze einen Dokumentarfilm über das Leben in Nordkorea herausbringen will, zeigt sich gegenüber FAZ.NET bestürzt: „Die Nachricht vom Tod Warmbiers hat mich tief getroffen. Ich bin sicher, er hat das Land besucht, um die Welt dort etwas besser zu verstehen, so wie die meisten von uns, die da waren.“ Sie hält Reisen in ein Land wie Nordkorea weiterhin für richtig: „Es ist wichtig, dass die Welt lernt, was in Nordkorea vor sich geht – und es ist genauso wichtig, dass die Nordkoreaner etwas vom Rest der Welt lernen.“ Und das ginge vor allem durch Reisen.
Wandel durch Annäherung? Das sehen nicht alle so: Das Auswärtige Amt rät von „nicht erforderlichen Reisen“ ab, und dazu dürften touristische Trips zählen. „Politische Risiken, auch für den Einzelnen, sind sehr hoch. Ein solches Regime kann jederzeit etwas konstruieren, um sich ein menschliches Faustpfand aus einer Gruppe herauszuholen“, sagt Friedrich Christian Haas, Geschäftsführender der Beratungsgesellschaft „AKE“, die Unternehmen berät, die in Risiko- oder Krisenregionen aktiv sind.
Neben Sicherheitsbedenken sind auch medizinische Probleme einzukalkulieren: „Die Krux liegt meines Erachtens in der katastrophal schlechten medizinischen Versorgung“, sagt Haas. Die ist zumindest auf dem Land rudimentär und auch in Pjöngjang meist nicht annähernd auf europäischem Niveau – vor allem bei Abenteurer- und Sportreisen sind Verletzungen natürlich an der Tagesordnung.
Darüber hinaus spielen ethisch-moralische Bedenken eine wichtige Rolle: Touristen bringen Devisen ins Land und stabilisieren damit, wenn auch ungewollt, das Regime, das das Tourismus-Geschäft fest in der Hand hält und die Preise für Hotels und Transfers diktiert. Ausländische Agenturen, die die Touristen an die Landesgrenze bringen, können lediglich Wünsche äußern, aber ihr Einfluss ist begrenzt.
„Größtes Freiluftgefängnis der Welt“
Die Menschenrechtslage in dem „größten Freiluft-Gefängnis der Welt“, wie der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Wenzel Michalski, Nordkorea nennt, sei so verheerend, dass jeder Handel mit dem Land gestoppt werden müsse. „Besonders muss das Ausleihen von nordkoreanischen Zwangsarbeitern auf europäische Baustellen aufhören“, sagte er am Dienstag dem Bayerischen Rundfunk. Nordkoreanische Arbeiter fällen Bäume in China und Sibirien, sie schuften in Angola und anderen afrikanischen Staaten. Laut des südkoreanischen Thinktanks „Asan“ sandte Nordkorea erstmals im Jahr 1967 Arbeiter ins Ausland, in die damalige Sowjetunion. Seitdem floriert das Geschäft mit den Devisen-Sklaven. Im vergangenen Jahr kamen Berichte auf, wonach die Zwangsarbeiter sogar mitten in der EU malochten, in Polen nämlich.
Wie man auch immer die moralische Frage für sich beantwortet, es bleibt die ungeklärte Sicherheitslage: „Young Pioneer Tours“ will künftig keine Amerikaner mehr mitnehmen – nachdem sie das offenbar jahrelang für machbar hielten. Wer kann eine Gewähr dafür geben, dass Briten, Deutsche, Schweden oder Argentinier sicher sind? Es gibt nur die vage Vermutung, dass das Regime in Nordkorea kein Interesse an einem inhaftierten Europäer haben könnte. Aber welches Interesse hat es, einen amerikanischen Studenten zu inhaftieren, wenn man ihm noch nicht einmal Spionage vorwerfen kann, sondern lediglich den Diebstahl eines Plakates – selbst wenn derlei Vergehen in Nordkorea drakonische Strafen nach sich ziehen können?
Gareth Johnson, der Gründer von „Young Pioneer Tours“ hat sich schon seit Jahren auf Schwierigkeiten mit seinem Geschäftsmodell eingestellt. Nachdem er anfangs ausschließlich auf Nordkorea-Touren gesetzt hatte, nahm er nach und nach weitere Ziele ins Programm auf, Iran und Eritrea beispielsweise, auch für den Fall, dass ein internationaler Zwischenfall wieder einmal zu einer befristeten Grenzschließung führen könnte. Ganz von Nordkorea lassen will er aber nicht.
Andere, vom Fall Warmbier nicht direkt betroffene Reiseanbieter ziehen keine Konsequenzen aus dem Tod des Studenten: „Bei uns läuft alles ganz normal“, sagt Malika Ben Naoum-Horst von der Agentur „Korea-Reisedienst“ in Hannover. Auch ein amerikanischer Reisender habe sich angemeldet – und wolle im Juli nach Pjöngjang reisen. Business as usual im heiklen im Nordkorea-Geschäft.